# taz.de -- Israel: Politische Archäologie | |
> Mit israelischen Friedensaktivisten durch das Gewirr der Jerusalemer | |
> Altstadt. | |
Bild: Arbeit an der israelischen Trennmauer. | |
Wir sitzen beim Briefing für eine spezielle Tour durch die Altstadt | |
Jerusalems. Gleich hinter dem Damaskus-Tor hat ToursInEnglish sein | |
Hauptquartier, das Alternative Travel Center. Und bei frisch gepresstem | |
Orangensaft auf der Veranda gibt sich Tourguide Itamar alle Mühe, 60 Jahre | |
Stadtgeschichte mithilfe großer Folien zu erklären. | |
Ein knappes Dutzend Leute um die 30 haben sich eingefunden. Ein russisches | |
Pärchen, ein paar europäische Backpackerinnen, und obwohl es eine Führung | |
auf Englisch ist, sind auch einige jüdische Israelis dabei. Das Besondere | |
an der Tour ist, dass nicht nur Felsendom, Klagemauer und Grabeskirche auf | |
dem Programm stehen, sondern aus dem Stadtbild heraus immer wieder aktuelle | |
politische Bezüge hergestellt werden. | |
Erste Station, passenderweise gleich an der Via Dolorosa, ist das | |
österreichische Hospiz. In dem Pilgerhaus aus dem 19. Jahrhundert bekommt | |
man laut Itamar nicht nur die besten Wiener Schnitzel des Nahen Ostens, | |
sondern von der Dachterrasse auch einen hervorragenden Überblick über die | |
Struktur der Altstadt, aufgeteilt seit Jahrhunderten in ein christliches, | |
ein jüdisches, ein kleines armenisches und ein muslimische Viertel, in dem | |
wir uns noch immer befinden. | |
Von hier oben sieht man, dass von einigen Häusern israelische Fahnen wehen. | |
Die Organisation Ateret Cohanim (Krone der Priester), so erfahren wir, | |
organisiert den Aufkauf von Immobilien und den Einzug stramm zionistischer | |
Juden ins muslimische Viertel. Die meist recht jungen Siedler zeigen mit | |
Flaggen und Parolen auf den großen Balkonen starke Präsenz - Provokationen, | |
die immer wieder gewalttätigen Streitereien führen. | |
Alternative Travel Tours wurden vor bald drei Jahren vom altgedienten | |
israelischen Friedensaktivist Fred Schlomka gegründet und bieten auch | |
größere Touren durch Israel/Palästina. Die meisten Tourguides sind jüdische | |
Israelis, aber auch Palästinenser und ein Beduine sind im Team. Alle kommen | |
sie aus dem Milieu der israelischen Friedensbewegung. Für Itamar, der uns | |
durch Jerusalem führt, waren es traumatische Erlebnisse während seines | |
Militärdienstes, die ihn vom überzeugten Zionisten zu einem Aktivisten für | |
die Aussöhnung mit den Palästinensern bekehrt hatten. Lange Zeit leitete er | |
Führungen in Jad Vaschem, verlor aber seine Stelle, als er während des | |
letzten Gazakrieges im Dezember 2008 wiederholt die Instrumentalisierung | |
des Holocausts durch die israelische Rechte kritisierte. | |
In der Altstadt Jerusalems führt uns Itamar durch die strengen Kontrollen | |
vor dem jüdischen Viertel und der Klagemauer. Nach der jordanischen | |
Besetzung Palästinas und Ostjerusalems (inklusive der Altstadt) im ersten | |
israelisch-arabischen Krieg 1948, fiel den Besatzern nichts Besseres ein, | |
als das komplette jüdische Viertel einzureißen. Im Sechstagekrieg 1967 von | |
Israel erobert, wurde es wiederaufgebaut. Heute wirkt das Viertel viel | |
eleganter und gepflegter als der Rest der Altstadt - es genießt Privilegien | |
in der Verteilung kommunaler Infrastrukturmittel. | |
Südlich der Klagemauer stehen wir auf einer Anhöhe und blicken auf ein | |
großes Loch, das vor uns im Boden klafft. Über die Jahrhunderte wuchs | |
Jerusalem auf den eigenen Trümmern vergangener Epochen dutzende Meter in | |
die Höhe - auf dem Platz vor dem ehemaligen jüdischen Tempel graben sich | |
Archäologen Schicht für Schicht zurück in die Vergangenheit. | |
Im Falle Israels und besonders Jerusalems steht bei Ausgrabungen aber nicht | |
immer nur reines akademisches Interesse im Vordergrund: Wo es um | |
historische Rechtfertigung von Besitzansprüchen und Landnahmen geht, wird | |
Archäologie zum Politikum. Wenig hilfreich scheint in diesem Zusammenhang, | |
dass die private jüdische Organisation El-Ad die Ausgrabungen finanziert. | |
Zum Schrecken seriöser israelischer Archäologen hat die vorrangig von | |
amerikanischen Spenden lebende extremistische Gruppe damit großen Einfluss | |
auf die historische Analyse der Stätten. Sie bestimmt, welche der zig | |
Schichten von Fundamenten Jerusalems erhalten bleiben und welche zerstört | |
werden, und liefert damit eine ihrer Weltsicht entsprechende | |
Interpretation. | |
Von unserem Aussichtspunkt sehen wir nicht nur den Platz vor der | |
Klagemauer, sondern weit nach Ostjerusalem hinein. Ein Gürtel von | |
Siedlungen, deren Bau Israel im Osten Jerusalems vorantreibt, schließt sich | |
um die Altstadt, um sie von den mehrheitlich von Palästinensern bewohnten | |
Vororten abzuschirmen. Dutzende Kilometer hinein ins palästinensische | |
Westjordanland reichen hier die bereits fertiggestellten Abschnitte der | |
acht Meter hohen Mauer. Die neuen Straßen, die dorthin führen, sind | |
ausschließlich für jüdische Siedler zugängig. Facts on the ground schaffen, | |
so lautet die bewährte Devise israelischer Siedlungspolitik. Auch hier im | |
Osten Jerusalems wird Archäologie für politische Zwecke eingespannt. Das | |
heute von Palästinensern bewohnte Viertel Silwan war einst Zentrum der | |
Davidstadt - und steht im Weg für den Abschluss des Siedlungsrings um die | |
Altstadt. El-Ad kontrolliert auch dort die Ausgrabungen und kauft Häuser | |
für jüdische Siedler auf. Die wachsende palästinensische Bevölkerung erhält | |
keine Baugenehmigungen für dringend benötigte Wohnhäuser, illegal | |
errichtete Bauten werden regelmäßig von israelischen Baggern wieder | |
eingerissen. Wieder sehen wir zahlreiche israelische Flaggen, bewaffnete | |
Siedler und sogar Wachtürme. | |
Selbst wenn der Siedlungsring in ein paar Jahren fertiggestellt sein wird, | |
stehen die Chancen auf einen dauerhaften Frieden schlecht. Im Zentrum lebt | |
weiter eine wachsende muslimische Mehrheit, getrennt sowohl von Israel als | |
auch dem Westjordanland. Das Fazit, das uns Itamar gibt, ist wenig | |
optimistisch: Der Konflikt wird so auf ewig weitergären - und sporadisch | |
gewaltsam ausbrechen. | |
28 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rupprecht | |
## TAGS | |
Reiseland Israel | |
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