# taz.de -- Mit der deutschen Delegation in Nordkorea: Im Land der Generäle | |
> Hochbetrieb auf den Reisfeldern, Soldaten im Einsatz für die | |
> Landwirtschaft - von der außenpolitischen Krise ist in Nordkorea selbst | |
> und in seiner Hauptstadt nichts zu spüren. | |
Bild: Pjöngjang im Mai 2010: Soldatinnen üben für den 65. Parteigeburtstag i… | |
Samstagmorgen kurz vor acht am Stadtrand von Pjöngjang: Die Fahrbahn ist | |
leer, kaum ein Auto zu sehen, nur ein paar Radfahrer und Fußgänger mit | |
dicken Bündeln auf dem Rücken sind unterwegs. Es nieselt leise. Auf den | |
Reisfeldern zu beiden Seiten herrscht Hochbetrieb: Männer und Frauen mit | |
bunten Tüchern auf dem Kopf stehen gebückt und knöcheltief im Wasser, | |
stecken Reihe um Reihe hellgrüner Setzlinge in den Boden. | |
Hier und da flattern rote Fähnchen. Transparente mit weißen Schriftzeichen | |
rufen zu noch größeren Anstrengungen für eine gute Ernte auf. Lange | |
Kolonnen von Soldaten in khakibrauner Uniform wandern vorbei. Jeder trägt | |
einen Spaten über der Schulter, im Einsatz für die Landwirtschaft. | |
Die friedliche Szene an der Flughafenstraße verrät nichts von den | |
Spannungen dieser Tage auf der koreanischen Halbinsel: Seitdem die | |
Regierung in Seoul am 20. Mai Nordkorea vorwarf, ihre Korvette "Cheonan" | |
mit einem Torpedo versenkt zu haben, wächst in der Region die Angst vor | |
einem Krieg. Werden sich die Südkoreaner rächen? Könnte eine unbedachte | |
Handlung eines Soldaten an der Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad | |
der Zündfunke für eine Explosion sein? In Südkorea, wo sich an diesem | |
Wochenende die Regierungschefs aus Seoul, Peking und Tokio treffen, | |
beschwört Chinas Premier Wen Jiabao alle Seiten, Ruhe zu bewahren. | |
Jene Landsleute im Norden, die Seoul anklagt, für den Tod von 46 Seeleuten | |
verantwortlich zu sein, haben zuvor ungewöhnlich reagiert: Das mächtigste | |
Gremium des Landes, die Nationale Verteidigungskommission, an deren Spitze | |
kein Geringerer als Kim Jong Il steht, entschließt sich am vorigen Freitag | |
zum Schritt an die Öffentlichkeit. Es ruft ausländische Diplomaten und die | |
knappe Handvoll internationaler Journalisten in der Hauptstadt zu einer | |
Pressekonferenz. Das ist eine Premiere. | |
Es geht die Marmortreppen des Kulturamtes in Pjöngjang hinauf, hinter den | |
Mikrofonen sitzen drei ernste Offiziere in grünbraunen Uniformen. Über | |
ihnen hängen die Porträts von Staatsgründer Kim Il Sung und seinem Sohn Kim | |
Jong Il. | |
Generalmajor Ban Rim Su, ein Mann Mitte fünfzig, führt das Wort, und seine | |
Botschaft lautet: "Nordkorea ist das Opfer einer großen Verschwörung." Das, | |
verkündet er, werde man sich nicht gefallen lassen. | |
Auf den Tischen stehen Flaschen mit Mineralwasser und Apfelsaft, Ban trägt | |
acht Ordensspangen, darüber eine rote Fahne mit dem Porträt Kim Il Sungs. | |
Einen Moment lang erinnert die Szene an eine Pressekonferenz in anderen | |
Ländern. Doch die grimmige Rhetorik und die Tatsache, dass die Information | |
der Generäle bereits am Vortag in der Presse zu lesen war, lassen vermuten, | |
dass die Militärs das Prinzip einer "Pressekonferenz" noch nicht ganz | |
verstanden haben. Das nationale Fernsehen mit seinen zwei TV-Programmen | |
strahlt das Ereignis am Abend aus. | |
Draußen ist von den internationalen Spannungen nichts zu spüren. Die | |
Straßen sind belebt. Die wenigen Autos sind an den Nummernschildern | |
überwiegend als Dienstwagen zu erkennen, sie gehören der Armee, den | |
Behörden und Staatsfirmen. In letzter Zeit dürfen auch Privatleute ein Auto | |
besitzen; unklar ist allerdings, wer sich eines leisten kann. Da rollen | |
Liebhaberstücke wie alte Mercedes 200 neben der in Nordkorea gebauten | |
Version der chinesischen Marke Brillance sowie Luxuslimousinen aus | |
Deutschland und Japan durch die Stadt. Sogar ein amerikanischer Hummer ist | |
zu sehen, offensichtlich kam er aus China. | |
Bunte Propagandaplakate zeigen heldenhafte Soldaten und Arbeiter im Kampf | |
gegen amerikanische Imperialisten und für eine Zukunft Nordkoreas mit | |
Raketen und modernen Fabriken. Parolen erinnern an die kommenden Paraden | |
zum 65. Geburtstag der Arbeiterpartei in diesem Sommer und fordern zum | |
Kampf für Landwirtschaft und Leichtindustrie auf, um bis 2012 ein | |
"aufblühendes und wohlhabendes Nordkorea" zu erarbeiten. Bis dahin sollen | |
100.000 Wohnungen gebaut werden, berichten Pjöngjanger Funktionäre. Einige | |
neue Straßenlaternen und Ampeln mit Solarzellen sind bereits aufgestellt. | |
Das lange als Bauruine verlassene Pyramidenhotel "Stadt der Weiden" mit | |
über hundert Stockwerken ist inzwischen teilweise verglast worden. Auf | |
einigen Baustellen wird sogar nachts durchgearbeitet. Aus den Lautsprechern | |
am Bahnhof ertönen zu jeder vollen Stunde revolutionäre und patriotische | |
Weisen, Tag und Nacht, ohne Pause. | |
In dieser spannenden Zeit besuchen deutsche Parlamentarier, SPD-Politiker | |
und Angehörige der Friedrich-Ebert-Stiftung Pjöngjang. Sie haben Warnungen | |
des Auswärtigen Amts davor, in dieser heiklen Situation ins Reich der Kims | |
zu fahren, in den Wind geschlagen. Es sei wichtig, sich "vor Ort ein Bild | |
zu machen", sagt Delegationsleiter Johannes Pflug. Die Nordkoreaner haben | |
auch zwei Journalisten, darunter die Korrespondentin dieser Zeitung, die | |
Einreise erlaubt. | |
Die Gastgeber geben sich flexibler als sonst. War es Journalisten früher in | |
der Regel verboten, außerhalb des offiziellen Programms auch nur das Hotel | |
zu verlassen, so laden die Begleiter dieses Mal zum Spaziergang ein. Sie | |
präsentieren den Gästen unter anderem eine in diesen Breiten ungewöhnliche | |
Vogelart. In einer blitzsauberen Farm werden rund 10.000 Strauße gezüchtet. | |
Die Anlage sei die drittgrößte der Welt, berichten die Funktionäre. Die | |
Strauße sollen Fleisch liefern, denn die Ernährungslage ist immer noch sehr | |
angespannt, wie ausländische Entwicklungshelfer berichten. Weil der Winter | |
besonders lang und kalt war, fürchten die Bauern um die nächste Ernte. | |
Staatsangestellte werden freitags als Helfer aufs Land geschickt. "Wer Reis | |
essen will, muss auch dafür arbeiten", sagt Parteifunktionär Ri Yong Chol. | |
Aber der "General", wie Kim Jong Il inzwischen nur noch genannt wird, und | |
seine Militärs haben in den letzten Monaten alle Versuche gestoppt, mehr | |
Marktwirtschaft zu erlauben. Mit der jüngsten Währungsreform wollte er die | |
privaten Händler treffen, er nahm ihnen die Ersparnisse. "Wir halten an der | |
Planwirtschaft fest und bauen auf unsere eigenen Kräfte", zitiert ein | |
Funktionär die offizielle Linie. "Für uns ist China kein Vorbild." | |
Im Jahr 2012 wäre der Staatsgründer und "Präsident auf Ewigkeit", Kim Il | |
Sung, hundert Jahre alt geworden; dieses Ereignis will sein Sohn ganz groß | |
feiern. Das allein, so erklären nordkoreanische Regierungsbeamte, zeige, | |
dass der Angriff auf das südkoreanische Schiff nicht im Interesse des | |
Nordens liegen konnte. | |
Für die wirtschaftliche Entwicklung "brauchen wir eine friedliche | |
Atmosphäre", sagt der 79-jährige Professor Ri Jong Hyok von der | |
Korea-Deutschen Parlamentarischen Freundschaftsgruppe. Er hat einst in der | |
DDR studiert. "Wie könnte man in einer solchen Situation ein Kriegsschiff | |
versenken?" | |
Das fragt sich derzeit auch der Rest der Welt. Eines wird in diesen Tagen | |
deutlich: Die Pjöngjanger werden derzeit nicht für den Kriegsfall | |
mobilisiert, sondern so wie jedes Jahr für große Feiern und Paraden zu | |
Ehren der Partei, des Militärs und der "drei Generäle", wie die Kim-Familie | |
genannt wird. Von Jong Un, dem dritten Sohn Kims, der die Dynastie | |
weiterführen soll, ist in den Gesprächen dieser Woche keine Rede, eher | |
schon von der Beteiligung Nordkoreas an der Fußballweltmeisterschaft in | |
Südafrika. | |
Auf den Plätzen versammeln sich jeden Tag am späten Nachmittag Kinder und | |
Erwachsene zum Training für die Paraden und das Arirang-Massenspektakel im | |
August, manche mit Hula-Hoop-Reifen. Die Alten sitzen mit ihren Angeln | |
unter den Weiden am Taedong-Fluss, das trübe Wasser schreckt sie nicht ab. | |
Gegen sechs Uhr abends bilden sich vor den Bushaltestationen lange | |
Schlangen. Es sind Schüler in weißblauer Kleidung mit rotem Pioniertuch, | |
Männer und Frauen mit Akten- oder Einkaufstaschen, die nach Hause | |
zurückkehren. | |
Zehntausende von Einwohnern machen sich zu Fuß auf den Weg, viele schleppen | |
schwere Bündel. Fahrräder sind in Pjöngjang nach wie vor rar, im Zentrum | |
sind sie ganz verboten, Frauen dürfen in der Hauptstadt nicht auf den | |
Sattel, das hält der "General" für unschicklich oder zu unsicher, je | |
nachdem, wen man fragt. | |
In den staatlichen Läden langweilen sich die Angestellten vor den paar | |
Konservendosen und Flaschen, die ihre Regale schmücken. Obwohl einige der | |
freien Märkte, die nach der Währungsreform im Winter geschlossen waren, | |
wieder geöffnet sind, ist das Angebot dünn: Wer allerdings Euros, Dollars | |
oder chinesischen Yuans besitzt, darf wieder in den Devisenläden einkaufen; | |
das war Anfang des Jahres für einige Wochen verboten. | |
Im Zentrum sind viele der kleinen Verkaufsstände verschwunden, die einst | |
Saft und Obst anboten. Nun sind Eiskrem und Kunstblumen zu haben. | |
Pjöngjanger, die in die Nähe des internationalen Koryo-Hotels kommen, | |
können allerdings etwas Besonders kaufen: Obst und Honigpfannkuchen. | |
Mit der beharrlichen Weigerung, sich zu reformieren, haben Pjöngjangs | |
Mächtige ihr Land, das früher einmal reicher war als Südkorea, in den | |
vergangenen zwei Jahrzehnten in den Bankrott getrieben. Für die Bewohner, | |
die sich so sehr ein leichteres Leben wünschen und Kontakt zur Außenwelt, | |
ist es eine Tragödie. Die Militärs jedenfalls werden, wenn es nicht klappen | |
sollte, ihr Land bis 2012 zum "Aufblühen und Prosperieren" zu bringen, | |
sicher wissen, wer die Schuldigen sind: Südkorea, die USA und alle | |
Ausländer, die sich immer wieder gegen ihr Land verschwören. | |
2 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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