# taz.de -- Interview zu Regeln im Internet: "Das ist unterschichtenfähig" | |
> Wer im Netz die Beachtung von Normen einfordert, wird angepöbelt, sagt | |
> Medienkontrolleur Norbert Schneider. Dabei könne auch eine moderne | |
> Gesellschaft nicht ohne Regeln existieren. | |
Bild: Facebook und Co im Visier staatlicher Regulierung. | |
taz: Herr Schneider, Verbraucherministerin Ilse Aigner hat demonstrativ | |
verlangt, ihren Facebook-Account zu löschen, und behält sich rechtliche | |
Schritte gegen das soziale Netzwerk vor. Beginnt gerade ein öffentliches | |
Umdenken über das Kontrollieren und Regulieren im Internet? | |
Norbert Schneider: Ich bin mir nicht sicher, ob solche Aktionen wirksam | |
sind. Sie schaden natürlich nicht, aber die Vermutung, dass sich hier die | |
Politik selbst in Szene setzt, liegt nahe. Nach allem, was ich weiß, ist | |
der Umgang mit Daten bei Facebook rechtswidrig. Und hier beginnt das | |
Dilemma, weil es solche Anbieter in heftige Imageprobleme stürzen wird, die | |
geglaubt haben, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. StudiVZ befleißigt | |
sich doch nicht so sehr eines intensiven Umgangs mit seinen Kritikern, weil | |
es um moralische Fragen, sondern ums Image geht. Das Image entscheidet über | |
den Wert des Unternehmens. | |
Facebook ist das eine, die Debatte über Kinderpornografie im Internet etwas | |
ganz anderes. Wofür plädieren Sie? Warnen? Sperren? Löschen? | |
Alles, was es im Netz gibt, wird man auch irgendwie bekommen. Ich würde in | |
diesem engen Zusammenhang aber vorziehen, hier etwas erst gar nicht zu | |
bekommen. Aber die Debatte über solche Themen ist mir oft zu aufgeblasen. | |
Da gibt es andere Bereiche, die kaum stattfinden. | |
Welche denn? | |
Die Datendebatte. Was da derzeit diskutiert wird, ist alles wichtig und | |
richtig, erfasst aber noch überhaupt nicht die Dimension des Ganzen. Das | |
Geplänkel, das da zwischen einer Verbraucherministerin und einem Netzwerk | |
wie Facebook stattfindet, ist noch meilenweit weg von der Frage, was hier | |
eigentlich zu tun ist. | |
Was forden Sie denn? | |
Man muss mit den Veranstaltern von Facebook, StudiVZ und so weiter wie mit | |
den Sendern in der alten, analogen Welt Grundverabredungen treffen. Man | |
muss das Entstehen oder Nichtentstehen von etwas - hier also persönlichen | |
Datensammlungen - thematisieren und nicht den Verlauf à la "Da ist schon | |
wieder jemand bei StudiVZ eingestiegen und hat Daten geklaut, obwohl die | |
Alarmanlage eingeschaltet war". Das muss allerdings die Politik erledigen - | |
Goodwill reicht hier nicht, wir brauchen gesetzliche Vorgaben. | |
Und dann wird alles gut? | |
Auch hier gilt die alte Regulierer-Weisheit: Nicht der Förster hält den | |
Wald sauber, sondern die Angst, er könnte kommen. Es wird also einen | |
schmutzigen Rest geben. Aber den gibt es immer. Es macht keinen Sinn, sich | |
um den schmutzigen Rest zu kümmern, die Erfahrung haben wir schon in der | |
alten analogen Welt gemacht: Da gab es sogar Kinder, die noch nach 22 Uhr | |
ferngesehen haben. | |
Die Regulierer sind in der Netzwelt nicht übermäßig beliebt … | |
Um sich als Regulierer ein paar Ohrfeigen einzufangen, muss man ja nur ein | |
paar kleine spitze Bemerkungen darüber machen, was man im Netz eigentlich | |
nicht darf. Da hat man den denkenden Teil der Netzgemeinde sofort gegen | |
sich - und das in einer pöbelnden Art und Weise, die fast schon wieder | |
unterschichtenfähig wäre. Da gibt es auch kluge Journalisten, die plötzlich | |
jeden Anstand und Sitte fahren lassen und ganz locker "Zensur!" rufen. | |
Aber welche Regulierung will eine moderne Gesellschaft wie die unsere? | |
Über diese Grundsatzfrage wird man noch eine ganze Weile streiten. Aber am | |
Ende wird es ähnliche Restriktionen geben wie im analogen Zeitalter. Das | |
sehen Sie heute schon beim Jugendschutz. Oder nehmen Sie die | |
Urheberrechtsfragen: Es ist ja nicht der Dieb des geistigen Eigentums das | |
neue Problem, sondern die Frage, wie ich seiner habhaft werde. Der | |
Diebstahl bleibt derselbe wie in der analogen Welt. Doch wie man das | |
sanktionieren kann, hat sich durch die Struktur des Netzes und durch seine | |
Globalität komplett verändert. Es wird auch noch längere Zeit dauern, bis | |
man sich hier auf Regeln verständigt hat. Aber sie werden ganz sicher | |
kommen, sonst wird das Internet bald seine Schönheiten verlieren. | |
Was meinen Sie damit? | |
Wenn vor allem kritische Punkte wie Pornografie, Cybermobbing und Datenklau | |
das Image des Netzes prägen, wird es auch wirtschaftlich kritisch: Jedes | |
Geschäftsmodell ist an das Wohlgefallen des Rezipienten gebunden, sonst | |
bleibt der weg. Und erfahrungsgemäß prägen die fünf Prozent der Dinge, die | |
schlecht laufen, das Image einer Sache stärker als die 90 Prozent, die gut | |
funktionieren. | |
Warum hat das Internet dann aber auch unter kritischen Intellektuellen | |
einen so guten Ruf? | |
Merkwürdigerweise ist die Affinität der Intellektuellen hier sehr viel | |
größer als beim Fernsehen. Was daran liegt, dass das Internet derzeit die | |
Avantgarde ist. Und der Intellektuelle möchte immer Avantgarde sein, | |
natürlich risikofrei. Zudem geraten viele Intellektuelle durch ihr | |
Schreiben heute zwangsläufig ins Internet. Die ganzen Vorbehalte, die man | |
gegen das Fernsehen seit Urzeiten hegt, gibt es beim Netz nicht. Aber auch | |
hier gibt es Anzeichen von Ernüchterung. Spätestens, wenn der erste große | |
Datenskandal am geistigen Schaffen vollzogen ist, dann wird sich die | |
Haltung der Späteuphoriker ändern. Zum Beispiel wenn sie merken, dass die | |
Möglichkeit, von ihrer Arbeit als Autoren zu leben, erodiert, weil | |
Urheberrecht im Netz ein weites Feld ist und manche meinen, so etwas gäbe | |
es dort gar nicht mehr. Die Musikindustrie hat es ja schon hinter sich. | |
Viele Internet-Bürgerrechtler lehnen jede Form der Regulierung trotzdem ab. | |
Gesellschaften funktionieren nicht ohne Regelungen. Ich bin immer wieder | |
erstaunt, dass sogar intelligente Menschen dies nicht so sehen. Hier muss | |
man sich Zeit geben und darf sich nicht von Fundamentalisten der einen oder | |
anderen Seite auf die Leimruten locken lassen. | |
Die Rundfunkregulierer werden von den TV-Sendern, für die sie zuständig | |
sind, schon seit Jahren für überflüssig erachtet. Und ausgerechnet die | |
sollen nun wissen, wie es im Internet weitergeht? | |
Es ist nicht alles neu, das ist wirklich ein Märchen. Es müssen Regeln | |
aufgestellt und Verfahren eingeübt werden - Dinge, die schon immer beim | |
Eintritt neuer Medien in die gesellschaftliche Kommunikation zu erledigen | |
waren. Es muss klar sein, wer was kontrolliert - auch um den | |
Kontrollierenden zu kontrollieren. Das Netz bringt da eine neue Qualität, | |
aber man kann viel lernen, wenn man sich andere mediale Umbruchzeiten | |
anschaut: Die Einführung des Buchdrucks ist so lange uninteressant | |
geblieben, wie das Buch kein Massenmedium war. Ab dem 18. Jahrhundert sind | |
dann alle Probleme, die wir heute beispielsweise bei Computerspielen | |
diskutieren, in der damaligen gesellschaftlichen Debatte belegt: | |
Suchtprobleme, Knaben sind besonders gefährdet, aber auch immer die Frauen. | |
Da ist heute aus etwas ganz Negativem etwas höchst Positives geworden. Die | |
"Stiftung Lesen" im 18. Jahrhundert wäre damals allerdings so angekommen, | |
als hätten Sie Sprengsätze auf einem Marktplatz installiert. | |
Reicht es aus, das Internet national zu regulieren? Oder brauchen wir eine | |
Welt-Medienorganisation? | |
Das klingt für manche vielleicht monströs und auch apokalyptisch. Aber in | |
diese Richtung wird es wohl gehen müssen. Die Option, bei der man alles | |
laufen lässt, gibt es einfach nicht. | |
Aber solche Regelungen werden sich nicht überall durchsetzen lassen. Was | |
ist, wenn sich Staaten nicht daran halten? | |
Wir sind nicht in der Vulkanologie: Gegen isländische Vulkane, die dann und | |
wann die Luftfahrt durcheinanderbringen, kann ich auch relativ wenig | |
ausrichten. Aber wir sind glücklicherweise in einem gesellschaftlichen | |
Vertragssystem, mit Akteuren, die unternehmerisch tätig sind. Es wird über | |
weite Strecken gelingen, hier verbindliche Regeln durch- und umzusetzen. Es | |
wird natürlich auch sozusagen mediale Schurkenstaaten geben. Aber das ist | |
gewissermaßen mitgerechnet in einem System dieser Art. Die Alternative | |
wäre: Untersagen, Verbieten, Auslöschen. | |
7 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |