Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schwarz-gelbes Sparpaket: Operation Nagelschere
> Die Bundesregierung feiert ihren Sparerfolg. Doch von den selbst
> gesetzten Zielen ist das Ergebnis weit entfernt.
Bild: Knoten geplatzt? Von wegen.
Bei ihrer Annäherung an die Wirklichkeit, die am Tag nach der
nordrhein-westfälischen Landtagswahl mit dem Verzicht auf Steuersenkungen
begonnen hatte, ist die Koalition von CDU/CSU und FDP wieder ein kleines
Stück vorangekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte bei der
Vorstellung der gemeinsamen Sparpläne am Montag in Berlin, mit Blick auf
den Koalitionsvertrag gehe es darum, "das rechte Maß zwischen
Grundausrichtung und Annäherung an das real Bestehende zu finden". Es war
das Eingeständnis, dass die Grundausrichtung des Regierungsbündnisses bis
zum Düsseldorfer Wahltag mit der Realität nicht viel zu tun hatte. Und dass
sie dort auch mit ihren Sparbeschlüssen noch immer nicht ganz angekommen
ist.
Um insgesamt 26,6 Milliarden Euro will die Koalition das Defizit im
Bundeshaushalt bis zum Jahr 2014 verringern. Das sind noch immer 5,8
Milliarden Euro weniger als von der Schuldenbremse eigentlich verlangt.
Selbst zu diesen Zahlen kommt Schwarz-Gelb nur mit einer Fülle von
Luftbuchungen und Prüfaufträgen.
2 Milliarden Euro soll 2012 eine Finanzmarktsteuer bringen, die von der
Regierung lange abgelehnt und zuletzt nur halbherzig vorangetrieben wurde.
Mit weiteren 2 Milliarden Euro ist eine Reform der Streitkräfte
eingerechnet, obwohl die Koalition etwa über die Abschaffung der
Wehrpflicht noch heftig streitet. Fast 4 Milliarden Euro soll die
Verwaltung selbst einsparen - wie, steht noch gar nicht fest.
Etwas konkreter wird es nur bei Arbeitslosen und bei Umweltsündern. Im
Umweltbereich will die Koalition ungerechtfertigte Vergünstigungen bei den
Energiesteuern abschaffen, eine Luftverkehrsabgabe einführen und der
Strombranche eine Gegenleistung für verlängerte Laufzeiten abverlangen, die
jedoch ebenfalls noch nicht beschlossen sind. Das bringt insgesamt fast 5
Milliarden Euro. Dass hier teils lang gehegte Forderungen der
Umweltverbände in Erfüllung gehen, liegt paradoxerweise an der FDP. Weil
sie sich gegen eine höhere Einkommen- oder Mehrwertsteuer sträubte, verfiel
die Koalition auf die Ökologie.
"80 Milliarden Euro sparen Sie auch nicht mit der Nagelschere", sagte
FDP-Chef Guido Westerwelle bei der Vorstellung der Pläne. In Wahrheit
verringert die Regierung das Defizit nur um 26,6 Milliarden Euro, und zwar,
weil sie tatsächlich nur mit der Nagelschere operierte. Die Einschnitte bei
den Arbeitslosen, die prompt wütenden Protest provozierten, bringen
vergleichsweise wenig Geld. So schlägt die Abschaffung des Elterngelds für
Empfänger von Hartz IV mit nur 0,4 Milliarden Euro zu Buche. Die
Abschaffung der Zuschläge, die den Übergang vom Arbeitslosengeld I abfedern
sollen, spart sogar nur 0,2 Milliarden Euro.
Dass die Regierung für diese Personengruppe keine Beiträge für die
Altersvorsorge mehr bezahlen will, entlastet zwar den Arbeitsetat
kurzfristig um 1,8 Milliarden Euro. Das Geld fehlt dann aber bei der
Rentenversicherung, und vielen Langzeitarbeitslosen muss der Staat später
ohnehin Grundsicherung bezahlen. Bei den umstrittenen Fördermaßnahmen für
Arbeitslose will Schwarz-Gelb am Ende 5 Milliarden Euro einsparen. Auch
hier sind allerdings erst noch Gesetzesänderungen nötig.
Mehr Geld ausgeben will die Regierung für die Gesundheit. Der
Staatszuschuss an die Krankenkassen soll 2011 noch einmal um 2 Milliarden
Euro steigen, weil sich die Koalition auf eine Reform nicht einigen kann.
Im Streit über die Kopfpauschale bezeichnete FDP-Staatssekretär Daniel Bahr
am Montag den CSU-Vorsitzenden als "Wildsau", CSU-Generalsekretär Alexander
Dobrindt nannte die FDP im Gegenzug eine "Gurkentruppe".
Alle Pläne, außerhalb des Umweltbereichs Steuern zu erhöhen oder
Subventionen abzuschaffen, sind am Widerstand der FDP gescheitert. Der
überraschende Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler hat Westerwelles
Partei für wenige Wochen wieder in jene starke Position gebracht, die sie
mit der NRW-Wahl schon verloren hatte. Ihre Stimmen werden für die Wahl des
Unionskandidaten Christian Wulff am 30. Juni noch gebraucht. Das Ergebnis
bedauerte am Montag früh im Deutschlandfunk selbst der Chef des
CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk. "Mir fehlt der strukturelle Ansatz, dass
auch der Spitzensteuersatz ein Stück weit einbezogen wird, wenn ich unten
etwas wegnehme", sagte er.
"Es sind ernste Zeiten, es sind schwierige Zeiten", sagte Merkel. Es war
eine Beschwörung, die bei der eigenen Regierung offenbar nicht angekommen
ist.
8 Jun 2010
## AUTOREN
Ralph Bollmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.