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# taz.de -- Parlamentswahlen in den Niederlanden: Sparen statt Integration
> Die Krise prägt den niederländischen Wahlkampf. Ein neues Kabinett unter
> Premier Balkenende ist unwahrscheinlich. Rechtsliberale und
> Sozialdemokraten liegen in den Umfragen vorne.
Bild: Vor nicht allzu langer Zeit brachte "Frau Antje" Tulpen aus Amsterdam. Je…
AMSTERDAM taz | Zwölfeinhalb Millionen Wähler entscheiden am Mittwoch über
die neue Zusammensetzung der Zweiten Kammer in Den Haag. Der Ausgang ist
offen wie selten zuvor: Weil mit Christ- und Sozialdemokraten die bisher
größten Parteien an Boden verlieren dürften, wird eine Koalitionsbildung
kompliziert. Zudem wurde in den drei Monaten seit dem Scheitern der letzten
Regierung das Parteienspektrum heftig durcheinandergewirbelt.
Deutlichstes Anzeichen dafür ist der Aufstieg der Volkspartij voor Vrijheid
en Democratie (VVD), die mit rund 23 Prozent die Prognosen anführt. "Die
Wirtschaft kann etwas VVD vertragen", tönen die Rechtsliberalen
selbstbewusst. Strikte Haushaltsdisziplin, schmerzhafte Einschnitte und
Steuererleichterungen sollen die Krise bekämpfen und Arbeitsplätze
schaffen. Dahinter folgt mit knapp 20 Prozent die Partij van de Arbeid
(PvdA). Lange lieferte sie sich mit der VVD ein Kopf-an-Kopf-Rennen, doch
je mehr wirtschaftliche Themen die Debatte dominierten, desto deutlicher
fiel die PvdA schließlich zurück - nicht zuletzt, weil sie wiederholt
Zahlen ihres Wahlprogramms korrigieren musste.
Abgeschlagen bei 14 Prozent liegt der Christen Democratisch Appèl (CDA) des
bisherigen Premierministers Jan Peter Balkenende. Schon bei den
Kommunalwahlen vom März deutlicher Verlierer, vermochte sich der CDA im
Wahlkampf nicht entscheidend zu profilieren. Nach acht Jahren und vier
Kabinetten unter Führung Balkenendes, davon drei vorzeitig gescheiterte
Regierungen, sind Partei und Premier gleichsam unbeliebt. Balkenende hat
angekündigt, nur als Regierungschef ins Parlament zurückzukehren. Da dieser
von der größten Koalitionspartei gestellt wird, steht wohl sein politisches
Ende bevor.
Ablösen wollte Balkenende eigentlich Geert Wilders. Dessen populistische
Partij voor de Vrijheid (PVV) lag noch im Winter an der Spitze der
Umfragen. Ihr erfolgreiches Abschneiden bei den Kommunalwahlen ließen sogar
Wilders Premier-Ambitionen realistisch erscheinen. Seine Ankündigung, das
Land "von der linken Elite zurückzuerobern", sorgte gerade im Ausland für
Beunruhigung. Dahinter verschwand, dass dem scheinbar unaufhaltsamen
Aufstieg des Islamgegners Grenzen gesetzt sind: Keine andere Partei wird
von derart vielen Niederländern entschieden abgelehnt.
Das liegt auch am Auftreten der PVV nach den Kommunalwahlen. Ihr Festhalten
an einem Kopftuchverbot in öffentlichen Institutionen ließ sie schnell aus
den Koalitionsgesprächen ausscheiden. Bei vielen Wählern entstand der
Eindruck, die PVV fühle sich in der Opposition am wohlsten, inzwischen sind
sie von rund 20 auf etwa 12 Prozent gestürzt.
Davon profitiert die VVD, die im Bereich Sicherheit,
Kriminalitätsbekämpfung und Zuwanderung nahe bei der PVV liegt. Auch sie
fordert, der Staat müsse "die Straße zurückerobern", Strafen sollen erhöht
und die Grenzen weniger durchlässig werden. Draußen bleiben bei der VVD
allerdings nicht Muslime, sondern "chancenarme Migranten". Neutralere
Formulierungen machen die VVD zur sozialverträglichen Alternative zur PVV,
außerdem sind Wirtschaftsthemen eine ausgewiesene VVD-Domäne, wogegen die
Freiheitspartei damit kaum punktet.
Die Dominanz sozioökonomischer Fragen verhinderte letztlich auch den
Zweikampf zwischen Wilders und dem PvdA- Kandidaten Job Cohen. Dessen
überraschende Kandidatur im März hatte bei den zuvor abgeschlagenen
Sozialdemokraten Euphorie ausgelöst. Cohen, Befürworter einer
"Gesellschaft, die niemanden ausschließt", sollte als multikultureller
Gegenspieler des xenophoben, islamfeindlichen Wilders inszeniert werden.
Doch das Duell fiel aus: Seit bekannt wurde, dass das neue Kabinett 29
Milliarden Euro einsparen muss, heißt die Antwort auf die Frage
Assimilation oder Integration: sparen.
Über die Regierungsbildung wird in den Niederlanden, wo für eine Mehrheit
in der Regel drei Parteien gebraucht werden, heftig spekuliert. Erreichen
könnten die nötigen 75 Sitze am ehesten eine Koalition aus VVD, PvdA und
den linksliberalen D66 (7 Prozent), die bereits zwischen 1994 und 2002
regierte. Nach ihrem Dauerstreit im gescheiterten Kabinett Balkenende IV
ist jede Konstellation mit CDA und PvdA nahezu ausgeschlossen. Eine
Rechts-Koalition aus VVD, CDA und PVV gilt als rechnerisch möglich, eine
Zusammenarbeit der Christdemokraten mit der PVV ist jedoch
unwahrscheinlich. Ein Linksbündnis aus PvdA, D66, Sozialisten (9 Prozent)
und Groen Links (6 Prozent) ist dagegen kaum mehrheitsfähig.
8 Jun 2010
## AUTOREN
Tobias Müller
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