# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Arroganz der Aufklärung | |
> Mitnichten steht Joachim Gauck für Versöhnung. Das Gegenteil ist der | |
> Fall. | |
Joachim Gauck, wirklich? Das Bundespräsidialamt ist doch keine | |
Gauckbehörde. Es ist ein einigendes Amt, sagen wir ruhig: ein vornehmes, | |
seine ideelle Abkunft vom Königtum ist noch klar erkenntlich. Natürlich | |
wäre es ein souveräner Akt, eine große symbolische Geste, im Jahr zwanzig | |
der deutschen Einheit einen Ostdeutschen zum Bundespräsidenten zu machen, | |
auch wenn die Ostler an der Spitze dieses Landes dann überrepräsentiert | |
wären. Aber Gauck? | |
Gnadenlos gegen Ambivalenz | |
Hätte nicht gerade ein Pfarrer ein größeres Verständnis für das tief | |
Zweideutige aller irdischen Dinge haben müssen, erst recht als erster Mann | |
einer Behörde, die für das Stasi-Erbe der DDR verantwortlich ist? | |
Seltsamerweise fallen einem lauter Worte christlichen Ursprungs ein, will | |
man über das reden, was ihm in diesem Amt fehlte: Gnade zum Beispiel, | |
Barmherzigkeit, nicht im Umgang, im Urteil über die Stasispitzel, wohl aber | |
über das Ostvolk, aus dem er selbst kommt. Denn seltsam war schon, was da | |
vor genau zwanzig Jahren geschah. "Wir sind das Volk!" - Es hat nur Monate | |
gebraucht, da war aus derselben wehrhaften Bevölkerung in der | |
veröffentlichten Meinung plötzlich ein mieses, kleines, duckmäuserisches | |
Volk geworden. Die regierende CDU begann, täglich neu den Kalten Krieg zu | |
gewinnen, und Joachim Gauck, willentlich oder unwillentlich, wissentlich | |
oder unwissentlich, half ihr dabei. | |
Das Volk, plötzlich war es ein Volk von Stasi-Spitzeln, alle | |
DDR-Vergangenheit reduziert auf Stasi-Vergangenheit. Und man konnte es gar | |
nicht glauben, erfuhr man einmal die wirkliche Zahl: Ein bis zwei Prozent | |
der DDR-Bevölkerung waren Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen. | |
Der Eindruck, hier den obersten Abgesandten einer Gegeninquisition vor sich | |
zu haben, blieb. Und das alte Weltbild der Kommunisten und das neue hatten | |
eine fatale Ähnlichkeit miteinander: wieder war es ebenso einfach und | |
unerbittlich. Schwarz oder weiß, Zwischentöne nicht vorgesehen. Gauck for | |
President? | |
Natürlich hat jeder das Recht, einem Land wie der DDR jede Anteilnahme und | |
alles Verständnis zu verweigern. Erst recht einer wie Gauck. Die Russen | |
hatten seinen Vater verhaftet und wegen Spionageverdacht bis nach Sibirien | |
deportiert. Allerdings haben sie ihn 1955, vier Jahre später, wieder | |
freigelassen. | |
Nach einer Fernsehdiskussion vor ein paar Jahren erzählte Gauck, dass er | |
fast vom Stuhl gefallen wäre, als selbst sein Vater irgendwann gesagt habe: | |
Es war doch nicht alles schlecht in der DDR! - Ob der Sohn geahnt hat, dass | |
er mitschuldig sein könnte an dem seltsamen Bewusstsein so vieler | |
Ostdeutscher, zwei Leben gelebt zu haben? Hans-Dieter Schütt hat das einmal | |
so formuliert: Ein Leben, "an das sie sich erinnern, und jenes, das sie | |
nach dem harten Urteilsspruch der Geschichte gelebt haben sollen". Eine | |
Gesellschaft sterbe in einem einzelnen Gemüt viel langsamer ab, als es die | |
äußeren Umstände der Staatsabwicklung vermuten lassen. Gerade dieser | |
anmaßende Duktus der Gaucks hat im Osten viele Wege zur Selbstkritik | |
abgeschnitten. Plötzlich lebte man wieder so doppelt wie in der DDR: mit | |
seiner eigenen Wahrheit und mit einer unbeteiligten Haltung gegenüber den | |
Regierenden, die, heute wie gestern, ohnehin nichts von einem wissen. | |
Köhlers Erfolg im Osten | |
Alles Bewusstseinsschnee von gestern? Aber es war schon erstaunlich, | |
welchen Erfolg Horst Köhler bei den Ostdeutschen hatte. Und vielleicht sind | |
es die Ostdeutschen, die auch seinem Rücktritt mehr Verständnis | |
entgegenbringen, so, als gäbe es noch immer ein verschiedenes | |
deutsch-deutsches Weltverständnis. Verlangt Hochachtung vor einem Amt und | |
dessen Träger nicht auch Hochachtung vor den Motiven, es niederzulegen? Und | |
sollte man nicht viel richtiger von Verzicht als von Flucht und Schwäche | |
sprechen? Es gehört schon Größe dazu, freiwillig und von einem Tag auf den | |
anderen nur noch Horst Köhler statt Bundespräsident sein zu wollen. | |
Die Alternative: Schorlemmer | |
Nun kann man sagen, Gauck hin, Gauck her, einen vollkommenen Kandidaten für | |
Köhlers Nachfolge gibt es ohnehin nicht. Und überhaupt werden nicht nur | |
unter Politikern jene knapp, die nicht irgendwie an den Typus des | |
Apparatschiks erinnern, auch wenn sich die Stromlinienförmigkeit heute | |
anders herstellt. | |
Gibt es wirklich keinen besseren Kandidaten? Natürlich gibt es einen: | |
Friedrich Schorlemmer. Und seine Souveränität wirkt beinahe schon wieder | |
gespenstisch. Es ist obszön, mit erlittenem Unrecht hausieren zu gehen, | |
hatte Ernst Jünger gesagt. Und wie viel Grund dazu hätte Friedrich | |
Schorlemmer gehabt. Dass er als Pfarrerssohn in der DDR nicht das Abitur | |
machen durfte, war wohl das Wenigste. In den Westen durfte er auch nicht, | |
weil die Eltern der Meinung waren, man müsse die Prüfung des Daseins an dem | |
Ort bestehen, an den Gott uns gestellt hat. Also in der DDR. | |
Schorlemmer hatte schon gegen den Einmarsch der russischen Panzer in Prag | |
protestiert, er ließ 1983 auf dem Wittenberger Lutherhof ein Schwert zur | |
Pflugschar umschmieden. Allein schon der Slogan galt als staatsfeindlich. | |
Aber konnte er kleinliche Rücksichten auf Legalität und Illegalität nehmen | |
angesichts einer hochexplosiven ausweglosen Weltlage? | |
Jemand, der niemandem und nichts nachfolgt als sich selbst und seinem | |
Gewissen, ist immer eine Provokation. Und dabei ist Schorlemmer frei von | |
Selbstgerechtigkeit, gegenüber der DDR und ihrer Geschichte aber ist er von | |
einer erstaunlich hassfreien Gerechtigkeit, Gauck dagegen behielt immer | |
etwas von der Anmutung des verfolgenden Verfolgten, der sich nicht über den | |
Horizont seines Amtes erheben konnte, obwohl es paradoxerweise gerade dies | |
von ihm gefordert hätte. | |
Das Amt des Bundespräsidenten ist ein vornehmes Amt. Glaube niemand, solche | |
Worte hätten in einer Demokratie keine Bedeutung mehr. Die Vornehmheit des | |
Geistes ist eine Weite und Lauterkeit, auch Zweckfreiheit der Gesinnung. | |
Ich weiß schon, einer wie Schorlemmer wird nicht Bundespräsident. Noch | |
einmal wird sich Angela Merkel nicht beim Regieren stören lassen. KERSTIN | |
DECKER | |
9 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Kerstin Decker | |
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