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# taz.de -- Gentest für Studis: Die Gier nach frischem Speichel
> Im kalifornischen Berkeley wird jedem neuen Studenten ein Gentest
> aufgedrängt, obwohl Aussagekraft und Datenschutz umstritten sind.
Bild: Er hatte die Idee mit den DNA-Tests für die neuen Studis: Genetikprofess…
BERLIN taz | Für das kommende Wintersemester hat sich die University of
California (UC) etwas Neues einfallen lassen: Wer frisch an den Standort
Berkeley kommt, findet in seinem Begrüßungspaket neben
Informationsbroschüren auch ein kleines Wattestäbchen. Das unscheinbare
Stäbchen hat in den USA inzwischen eine landesweite Diskussion ausgelöst.
Denn es soll jedem sogenannten Freshman das individuelle und kostenlose
Testen bestimmter Gene ermöglichen - ohne Arzt.
Im Visier dieses diagnostischen Tests stehen drei Gene, die den Alkohol-,
Laktose- oder Folsäure-Abbau beeinflussen. Die Ergebnisse sollen jedoch
keine Krankheiten anzeigen, sondern dazu führen, dass die Studenten ihren
Konsum an alkoholischen Getränken, Milchprodukten und Gemüse ihren Genen
anpassen.
Mit dem Wattestäbchen entnimmt jeder Teilnehmer eine Speichelprobe. Diese
wird mit einem Barcode versehen an einem privaten Gendiagnostik-Anbieter
geschickt, die Ergebnisse danach anonymisiert auf einer Webseite
veröffentlicht. Anhand dieser Daten und einer Broschüre sollen die
Studenten dann Rückschlüsse über ihren Stoffwechsel ziehen können. Eine
persönliche Beratung durch einen Arzt oder Humangenetiker ist nicht
vorgesehen.
Der Gentest ist Bestandteil des diesjährigen Einführungsprogramms von
Berkeleys College of Letters and Sciences und könnte an bis zu 5.500
Studenten durchgeführt werden. Im Rahmen des Programms sollen auch
Vorlesungen und Diskussionsforen zum Thema individuelle Gendiagnostik
stattfinden, unter anderem mit Philosophen, Ethikern und Statistikern.
Bisher wurde Neulingen zum Studienbeginn ein bestimmtes Buch oder ein
bestimmter Film geschenkt, das sie zum Einstieg während des Sommers
studieren sollen. Ziel ist es, ein zentrales Diskussionsthema schaffen.
"Mit dem Gentest wollen wir Studenten einen Ausblick darauf geben, was
einmal auf sie zukommen wird - am Beispiel von Genen, die ihnen nützliche
Informationen liefern können", erklärte Mark Schlissel, Dekan des
Fachbereichs Biologie, der New York Times.
Konkreter schilderte Initiator Jasper Rines dem Online-Bildungsportal
Inside Higher Ed die Idee: "Sie sollen lernen, dass man mit Kenntnis der
eigenen Gene seine Gesundheit verbessern kann." Rines ist Genetikprofessor
in Berkeley und Biotech-Unternehmer. Er gilt als Verfechter einer auf
Ernährung ausgerichteten Genomwissenschaft.
Andere teilen diese optimistische Sicht nicht. Sie sei auf traurige Weise
naiv, kritisierte etwa die Wissenschaftlervereinigung Council for
Responsible Genetics. Präsident Jeremy Gruber schrieb in einem
Beschwerdebrief an die Universitätsleitung, man sei schockiert über den
groß angelegten Gentest. Es sei zu befürchten, dass die Erbgutinformation
der Studenten von den ausführenden Unternehmen an Pharmafirmen oder
Versicherungen weitergegeben würde; aufgrund kommerzieller Interessen
gierten diese nur danach.
In den USA dürfen Firmen zugelassene Gentests bereits seit längerem direkt
an Privatpersonen verkaufen. Diese geraten jedoch regelmäßig in die
Schlagzeilen - zum Beispiel, weil im Umgang mit den sensiblen Erbgutdaten
immer wieder geschlampt wird. Marktführer 23andMe etwa, an dem auch der
Google-Konzern Anteile hält, musste erst diese Woche einräumen, dass
Ergebnisse von beinahe 100 DNA-Tests durch eine Panne vertauscht worden
waren.
Erklärtes Ziel des Unternehmens 23andMe ist es, "das Genmaterial möglichst
vieler Menschen auf der Welt zu archivieren". Vorgeblich zu
wissenschaftlichen Zwecken, doch eine kommerzielle Verwertung dürfte
deutlich lukrativer sein.
Medizinerverbände lehnen frei verkäufliche Gentests ab, weil dabei jegliche
fachliche Einordnung fehlt. Doch auch die Aussagekraft solcher Analysen ist
höchst umstritten. Denn fast nie ist ein Gen allein für eine bestimmte
Körperfunktion verantwortlich.
In den USA schaden solche Zweifel allerdings nicht dem Umsatz. Erst im
vergangenen Monat wollte daher die Drogeriekette Walgreens damit beginnen,
entsprechende Tests sogar landesweit anzubieten. Die zuständige
Bundesbehörde intervenierte jedoch; es gab keine Zulassung für das Produkt.
Die Vereinigung Center for Genetics and Society fordert daher, den
"Freshman"-Gentest abzusagen. Dessen Direktor Marcy Darnovsky warnte in
einer Pressemitteilung vor der Signalwirkung des Vorhabens: "Damit gibt die
Universität Produkten ihren Segen, die von Bundesbehörden nicht freigegeben
sind - und es vielleicht niemals werden."
11 Jun 2010
## AUTOREN
Thomas Schmid
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