# taz.de -- Depressionsforschung: Tief betrübt und ohne Antrieb | |
> Die Depression hat viele Ursachen und entwickelt sich in einem komplexen | |
> Zusammenspiel aus Genen und Umwelt. | |
Bild: Wenn düstere Gedanken den Alltag bestimmen. | |
"Der Psychiater fragte mich, ob ich an Selbstmord denke, und widerstrebend | |
gab ich das zu. Ich sagte ihm aber nicht, dass die Dinge um mich her zum | |
Umbringen waren: Die Dachbalken luden zum Aufhängen ein, genauso die | |
Ahornbäume; die Garage war ein Ort, um giftige Abgase einzuatmen." So | |
beschreibt der amerikanische Schriftsteller William Styron in seinen 1990 | |
erschienenen Lebenserinnerungen seinen Gemütszustand während einer | |
depressiven Phase. | |
Die Schilderung macht den Leidensdruck des Erkrankten deutlich. Die | |
Depression raubt jegliche Lebenskraft, und die niederschmetternde | |
Traurigkeit geht mit einer Vielzahl von Symptomen einher - mit | |
Antriebslosigkeit und Verlangsamung, mit Angst und Schlafstörungen, mit | |
Schuldgefühlen und auch Selbstmordgedanken. | |
Die Depression ist zudem eine häufige Erkrankung. Es wird geschätzt, dass | |
das Risiko, zumindest einmal im Leben an einer Depression zu erkranken, bei | |
zehn bis 15 Prozent liegt. Umso wichtiger ist es herauszufinden, was zu | |
einer Depression führt, um wirksame Therapieverfahren entwickeln zu können. | |
Bei der Entstehung der Depression spielen die Gene offenbar eine nicht | |
unwesentliche Rolle. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, liegt in | |
der Normalbevölkerung bei zehn Prozent. Hat man einen eineiigen Bruder oder | |
eine eineiige Schwester mit Depressionen, dann steigt das Risiko auf über | |
50 Prozent. | |
Bisher ist es nicht gelungen, für eine Depression verantwortliche Gene zu | |
finden. Man hat jedoch herausgefunden, dass bei Depressiven Stresshormone | |
wie etwa die Glucocorticoide andauernd erhöht sind. Am Max-Planck-Institut | |
für Psychiatrie in München wird zurzeit intensiv geforscht, warum dies so | |
ist. | |
Bei Stress kommt es zu einem raschen Anstieg der | |
Glucocorticoidkonzentration im Blut. Diese Stresshormone bereiten den | |
Körper auf Flucht oder Verteidigung vor. Erregbarkeit und Aufmerksamkeit | |
nehmen zu und der Zuckerspiegel im Blut steigt an. Glucocorticoide | |
vermitteln ihre Wirkungen über sogenannte Corticosteroidrezeptoren: | |
Verbinden sich Glucocorticoide mit diesen Rezeptoren, hat dies biologische | |
Wirkungen in verschiedenen Organen zur Folge. | |
"Es gibt etliche Hinweise dafür, dass Erkrankungsrisiko und Verlauf einer | |
Depression mit der Funktion von Corticosteroidrezeptoren in Zusammenhang | |
stehen", erklärt Florian Holsboer, Leiter des Münchener | |
Max-Planck-Instituts. | |
"Dadurch kommt es zu einer Erhöhung zweier Eiweißhormone im Gehirn." Diese | |
beiden Hormone - CRH und Vasopressin - aktivieren das Stresshormonsystem | |
und steigern die Ausschüttung von Glucocorticoiden. | |
Zudem fördern sie Angst und Depression, und zwar bei Patienten mit akuter | |
Depression und in geringerer Ausprägung auch bei solchen, die ein ererbtes | |
oder auch erworbenes Risiko für eine Depression haben. Man fand heraus, | |
dass die Wirkungen von CRH durch CRH1-Rezeptoren vermittelt werden. | |
Transgene Mäuse, bei denen dieser Rezeptor fehlte, waren weitaus weniger | |
ängstlich als andere Nager. Dies führte dazu, dass man Substanzen | |
entwickelte, die CRH1-Rezeptoren ausschalteten. So hoffte man, wirksame | |
Mittel gegen eine Depression zu bekommen. | |
Es zeigte sich jedoch, dass die Substanzen nur bei einer bestimmten Gruppe | |
von Patienten wirksam sind, bei denen die Überproduktion von CRH die | |
Ursache der Depression ist. Bisher gibt es jedoch noch kein einfaches | |
Testverfahren, mit dem sich diese Patienten erkennen lassen. | |
Ob es einmal einen einfachen Test hierzu geben wird, ist zweifelhaft. Das | |
Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt ist komplex - insbesondere bei der | |
Depression. | |
Offenbar sind nicht nur die Gene schuld an den hormonellen Veränderungen: | |
Werden neugeborene Mäuse an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen von ihren | |
Müttern getrennt, so ist das ein traumatisierendes Erlebnis. Die Tiere | |
zeigen lebenslang depressionsähnliches Verhalten - und produzieren vermehrt | |
Vasopressin. | |
Erfolgreicher war die Forschung in der Entwicklung eines Testverfahrens, | |
das die Wirksamkeit herkömmlicher Medikamente untersucht. Viele Patienten, | |
die unter einer schweren Depression leiden, verzweifeln, wenn sie nach | |
einem wirksamen Antidepressivum suchen. Tatsächlich führen die Medikamente | |
nach acht bis zwölf Wochen nur bei sechzig Prozent der Betroffenen zu einer | |
Heilung. | |
Wovon hängt ein Therapieerfolg ab? Das Wissenschaftlerteam um Holsboer fand | |
dieses Mal eine eindeutige Antwort in den Genen. Die Forscher richteten ihr | |
Augenmerk auf das Gen ABCB1, das an einer entscheidenden Stelle im Gehirn | |
eingreift: der Blut-Hirn-Schranke. | |
Dieser Schutzmechanismus kontrolliert, welche Stoffe in welchen Mengen zum | |
höchsten Steuerungsorgan gelangen, und verhindert damit das Eindringen von | |
schädlichen körperfremden Substanzen. Damit ein Antidepressivum überhaupt | |
wirken kann, muss es die Blut-Hirn-Schranke überwinden und in das | |
Hirngewebe hineingelangen können. | |
Sogenannte P-Glykoproteine erschweren den Übertritt der Antidepressiva aus | |
den Blutgefäßen in das Hirngewebe. Das ABCB1-Gen enthält die Informationen | |
zur Herstellung der P-Glykoproteine. Es gibt individuelle Unterschiede im | |
ABCB1-Gen und von der jeweiligen Version hängt ab, wie stark der Übertritt | |
eines Antidepressivums ins Gehirn gebremst wird. | |
"Bereits heute wird an mehreren Kliniken das ABCB1-Gen untersucht", erklärt | |
Holsboer. "So können die Mediziner besser entscheiden, welches | |
Antidepressivum in welcher Dosierung sie dem Patienten geben sollen." Ob | |
dies der Pharmaindustrie gefällt, ist fraglich. Viel einträglicher wäre für | |
sie ein Einheitsmedikament, "One size fits all", und die einzige | |
Variationsmöglichkeit besteht in der Dosierung. | |
Andererseits können auch Kosten gespart werden. Wird bei allen im Gehirn | |
wirkenden Medikamenten untersucht, ob sie als Substrat des P-Glykoproteins | |
dienen - und zwar schon, bevor sie ihre Wirksamkeit in klinischen Studien | |
beweisen müssen - so fallen möglicherweise keine Substanzen durch, die | |
durchaus bestimmten Patienten helfen könnten. | |
25 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Claudia Borchard-Tuch | |
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