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# taz.de -- Debatte Obama und die Linke: Ein Wunder, dass die USA funktionieren
> Obama ist ein reflektierter Technokrat, kein Mann großer Visionen. Er
> will den US-Kapitalismus effizienter machen und zeitgemäßer gestalten.
> Doch die Linke erwartet mehr.
Bild: US-Präsident Barack Obama kommt zur Begrüßung beim G8-Gipfel.
Die US-amerikanische Linke ist überzeugt, dass die Vereinigten Staaten ihre
eigentliche Revolution noch vor sich haben, und setzt daher auf Reformen.
Für die amerikanische Rechte hingegen ist die Revolution bereits vollendet.
Insofern betrachtet sie die Gegenwart als Zeit des Verfalls, wenn nicht gar
des Verrats. Diese gegenläufigen Auffassungen von der Historie führen zu
einer permanenten Kollision der Moralvorstellungen wie auch der
Einschätzungen, was politisch machbar ist und was nicht.
Anders als in Europa sind unsere politischen Institutionen konservativ. Die
Gewaltenteilung, das extreme Gewicht der Judikative, die
nichtrepräsentative Natur des Senats - das alles verlangt in der Regel
schon für geringste Veränderungen (insbesondere wenn es um die Ausweitung
der Staatsmacht geht) die Arbeit eines Herkules, wenn nicht die von
Sisyphus.
Hinzu kommen die ethnischen und religiösen Unterschiede, gewaltige
regionale Kontraste und die stete Einwanderung neuer Gruppen. Das
eigentliche Wunder ist, dass die USA überhaupt funktionieren. Derzeit,
zweifellos, funktionieren sie erbärmlich - wie nicht zuletzt unser junger,
mittlerweile ergrauter Präsident mit verhärmtem Gesicht und seiner
inzwischen recht gedämpften Art vor Augen führt. Es gibt keine organisierte
Bewegung, die sich den unerbittlichen Kapitalmächten entgegenstellen würde
und sich gleichzeitig durch eine kulturelle und soziale Überlegenheit
legitimieren könnte.
Obama ist von Afroamerikanern, Latinos, Hochgebildeten, von jungen Leuten,
Gewerkschaftsmitgliedern und Frauen gewählt worden. Er hat die Stimmen
derer bekommen, die angewidert waren von der Brutalität, den Lügen und der
Dummheit des Bush-Regimes und die zudem bestürzt über die Krise des
Finanzkapitalismus waren. Die Mittelmäßigkeit von McCain hat ihm geholfen
ebenso wie die Ablehnung der prolligen Gouverneurin Palin. Seine Mehrheiten
im Weißen Haus und im Senat jedoch sind viel kleiner als die des letzten
Reformpräsidenten Johnson - und sie sind in sich tief gespalten.
Die Gegenoffensive der Republikaner belebte die Sinne eines großen Teils
des weißen Amerika, das sich im eigenen Land entthront sieht. Die
komplizierte Gesundheitsreform des Präsidenten hat eine Opposition auf den
Plan gerufen, die mit der Bildersprache der Apokalypse die ohnehin
hasserfüllte Atmosphäre weiter aufheizt. Die Regulierung des Finanzmarktes
wird zurechtgestutzt durch die weit subtileren Interventionen seitens der
gläubigen Diener der Finanzindustrie - darunter auch der New Yorker
Senior-Senator der Demokraten, Schumer. Die Linken unter den Demokraten
machen gemeinsam mit dem Weißen Haus Front gegen die auflebende Rechte, in
der sich Stimmen finden, die zum gewalttätigen Widerstand gegen die
Regierung aufrufen -und zwar mit Worten, wie man sie zuletzt am Vorabend
des Bürgerkriegs in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts
gehört hatte.
In ihrer Mehrheit hat sich die tief enttäuschte Linke jedoch aufs Jammern
verlegt. Ihr Ärger über das Weiße Haus richtet sich häufiger gegen den
Präsidentenstab als gegen den "guten König" Obama selbst. Natürlich ist die
Linke keine kohärente Einheit. Sie spaltet sich in vielfältigste Gruppen
auf, die alle möglichen Anliegen und Interessen repräsentieren
(Bürgerrechte, Arbeitsmarkt, Umwelt, Gesundheit, Frieden). Ihre
Gemeinsamkeit aber besteht darin, dass sie am stärksten, am
energiegeladensten ist, wenn es darum geht, in Krisenzeiten zu
mobilisieren.
Und das ist das Problem. Es gibt einfach kein längerfristig angelegtes
Erziehungsprojekt, das darauf abzielen würde, die selbstgerechten Attacken
der Medien abzuwehren, die den Kapitalismus, "wie er eben ist",
legitimieren. Die Gewerkschaften hatten mal eines, als sie noch ein Drittel
der Arbeitskräfte mobilisieren konnten (während der Präsidentschaft von
Truman, Kennedy, Johnson) - heute repräsentieren sie gerade mal ein Zehntel
der Angestellten.
Die meisten der Wohltätigkeitsvereine und Lobbygruppen arbeiten eher von
oben nach unten als von unten nach oben: Sie organisieren keine lokalen
Treffen und sie werden von Profis aus Washington geleitet. Jene
Kongressabgeordnete, die den Kapitalismus tatsächlich ernsthaft reformieren
wollen und sich auch gegen den Imperialismus stellen, machen etwa ein
Drittel der Parteimitglieder aus. Das vergleichbare informelle Netzwerk im
Senat ist nicht größer. Die Linke existiert also, aber sie ist eher nicht
in der Position, dem Präsidenten eine wirklich wirksame Unterstützung
gewähren zu können.
Der Präsident selbst, das hat schon seine Autobiografie klargestellt, ist
ein reflektierter Technokrat, große historische Visionen sind seine Sache
nicht. Er versucht, die Nation daran zu erinnern, dass die Welt sich
verändert hat und dass die Hegemonie der USA verschwunden ist: Für viele
reicht das schon aus, um die Rechtmäßigkeit seiner Präsidentschaft zu
bestreiten. Obama wagt es, der "militärischen Überlegenheit" zu entsagen
ebenso wie der Rolle als vermeintlicher Garant globaler Stabilität.
Er versucht, mithilfe der ansatzweise etwas rationaleren Elemente des
amerikanischen Kapitalismus, diesen effizienter zu machen, nicht ihn
abzuschaffen. Derzeit ist er unfähig, viele Demokraten zu überreden, für
die staatliche Unterstützung der über zehn Millionen Erwerbslosen zu
votieren - ein klarer Beweis dafür, dass die Partei moralisch und politisch
am Nullpunkt angelangt ist.
Unter diesen Umständen sind die Beschwerden der Linken ebenso wie die
Ungeduld und die Verärgerung des Weißen Hauses nur Symptome beständigen
Aneinandervorbeiredens. Aber kein Mitleid. Ein Präsident, der nicht mal
versucht, den amerikanischen Lebensstil zu ändern, und Demokraten, die
unfähig sind, landesweit für ein solches Umdenken zu mobilisieren - sie
sind für die nächsten Jahre zur Koexistenz verdammt.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ines Kappert
26 Jun 2010
## AUTOREN
Norman Birnbaum
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