Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fischarchiv zieht um: Tote Fische leben länger
> Eine der größten Fischsammlungen der Welt lagert im Berliner Museum für
> Naturkunde. Jetzt müssen die 50.000 in Alkohol eingelegten Fische
> umziehen.
Bild: Hoffentlich gewöhnen sie sich in ihrem neuen Zuhause schnell ein.
So stellt man sich eine gut sortierte Alkoholsammlung vor: bis zum Rand
gefüllte Flaschen, sorgsam aufgereiht auf nicht enden wollenden
Regalmetern, die bis an die Decke des großen Raums reichen. In der Luft
liegt der Duft einer Whisky-Destillerie. Nur der Schimmel an den Wänden
stört ein wenig. Und die Tatsache, dass tausende tote Fische in den
Alkoholflaschen eingelegt wurden.
Die Fischsammlung des Museum für Naturkunde gehört zu den größten der Welt.
30 Prozent aller bekannten Fischarten sind hier archiviert, das macht
50.000 Fische in 50.000 Flaschen mit 70-prozentigem Ethanol. Eingelegt sind
außerdem Würmer, Krebse, Spinnen, aber auch Säugetiere. "Insgesamt haben
wir 276.000 Exponate", sagt stolz Reinhold Leinfelder, der Generaldirektor
des Museums. "Bis September müssen sie alle umgezogen sein."
Denn die Alkoholsammlung bekommt ein neues Zuhause im frisch restaurierten
Ostflügel des Museums. Seit einem Bombenschaden im Februar 1945 lag dieser
brach. "Kulturschande Ostflügelruine" nennt Leinefelder den Zustand. Für
29,6 Millionen Euro, die zu gleichen Teilen vom Bund und dem Land Berlin
getragen wurden, hat man ihn nun wieder aufgebaut. Die Wiedereröffnung
erfolgt zum 200. Geburtstag des Museums im Herbst. Dann soll ein Teil der
Sammlung auch für Besucher geöffnet werden.
Peter Bartsch ist der Kurator der Fischsammlung. Jedes Jahr erhält er mehr
als 400 Anfragen von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt, die für ihre
Forschungen die Alkoholsammlung nutzen wollen. "Da geht es um
Verwandtschaftsstudien oder Evolutionsforschung", sagt Bartsch. Die
Forscher brächten etwa eine Fischart mit und verglichen sie mit Exemplaren
aus der Sammlung. "Am Aufbau des Skeletts oder der Schuppenanzahl kann man
dann überprüfen, welche Verwandtschaftsverhältnisse bestehen."
Dabei ist es durchaus erlaubt, die Fische aus ihren Gläsern zu befreien und
sogar Gewebeproben zu entnehmen. "Wir sind da eigentlich restriktiv, aber
für DNA-Untersuchungen reichen ja kleinste Stücke, das lässt sich schon
machen", meint Bartsch. Schließlich sei die Sammlung auch zu
Forschungszwecken gedacht. "Gerade bei seltenen oder geschützten Arten kann
man nicht einfach jedes Mal einen neuen Fisch fangen."
Die ältesten Exponate stammen aus dem Jahr 1780. Großen Zuwachs erhielt die
Sammlung zur Kolonialzeit, als Forschungsexpeditionen immer neue Fischarten
vor allem aus den Tropen brachten. "Dem späteren Museumsdirektor August
Brauer verdanken wir bis dahin unbekannte Tiefseefische", berichtet
Bartsch. "Die fing er Ende des 19. Jahrhunderts auf einer Reise im
Atlantischen und Indischen Ozean." Doch auch heute kämen bis zu 200
Exemplare pro Jahr hinzu. "Natürlich hätten wir gerne eine vollständige
Sammlung, aber die Artenvielfalt ist einfach zu gewaltig."
Besonders stolz ist man im Museum auf die Gläser, die mit einem roten Punkt
versehen sind. Bei den darin eingelegten Fische handelt es sich um
sogenanntes Typusmaterial, also den anerkannten Prototypen einer Art.
"Insgesamt haben wir in unseren wissenschaftlichen Sammlungen zehntausende
dieser Typusexemplare von ausgestorbenen und noch lebenden Tieren", sagt
Generaldirektor Leinfelder. "Damit sind wir ganz vorne in der Welt."
Als Beispiel für den Nutzen dieser Prototypen erzählt er die Geschichte der
Elblachse, die durch Wasserverschmutzung während der Industrialisierung
ausstarben. Damit galten sie als für immer verloren, bis man in Schweden
Lachse entdeckte, die große Ähnlichkeit mit der Variante aus der Elbe
aufwiesen. "Mit Hilfe des Typusmaterials konnten wir beweisen, dass es sich
um die gleiche Lachsart handelte", sagt Leinefelder. Mitte der 90er Jahre
wurde diese Fischart in der Elbe ausgesetzt. "Seitdem gibt es wieder
richtige Elblachse."
Somit erklärt sich, warum man 50.000 Fische in Alkohol einlegen und mitten
in Berlin lagern sollte. Doch die Sammlung ist unter den bisherigen
Bedingungen gefährdet, denn die Räume sind nicht klimatisiert und die
Exponate großen Temperaturschwankungen ausgesetzt. "Die genauen
biochemischen Veränderungen sind schwer einzuschätzen, da es sich dabei um
langfristige Prozesse handelt", sagt Bartsch. "Eventuell gibt es ein
bakterielles Wachstum, doch Genaueres wissen wir nicht."
Wesentlich konkreter ist dagegen das Problem der Verdunstung, das auftritt,
weil man die Gläser nicht vollständig verschließen kann, da sie für die
Forschung leicht zu öffnen sein müssen. "Meine Mitarbeiter sind dauerhaft
damit beschäftigt, zu kontrollieren, dass die Fische nicht auf dem
Trockenen liegen", meint Bartsch. Dann setze schließlich direkt ein
Verwesungsprozess ein, den man sich nicht leisten könne. "Etwa 600 Liter
Alkohol müssen jedes Jahr nachgegossen werden - eine Arbeit, die auf ein
Minimum reduziert wird, sobald wir im klimatisierten Ostflügel sind."
Darüber hinaus umfasst die gesamte Nassammlung 80.000 Liter Alkohol, was
sie laut des Museumsdirektors zum größten kulturellen Gefahrenstofflager
Berlins macht. "Da Alkohol leicht entzündlich ist, bedarf es bestimmter
Sicherheitsvorkehrungen, die derzeit nicht erfüllt werden", sagt
Leinfelder.
Sechs Wochen soll es dauern, bis alle 50.000 Fische in ihren Gläsern auf
den schon bereitstehenden Regalen untergekommen sind. Der Umzug der
kompletten Nasssammlung soll noch einmal so lange dauern. "Wie bei einer
Bibliothek müssen wir die Sammlung eins zu eins ab- und wieder aufbauen",
sagt Bartsch. Mit einfachen Rollwagen würden die Gläser transportiert und
auf die sechs Stockwerke des Nordflügels verteilt. "20 Mitarbeiter und ein
Umzugsunternehmen werden damit beschäftigt sein."
Mit der Eröffnung des Ostflügels im September wird das dortige Erdgeschoss
samt Fischsammlung zum öffentlichen Teil des Naturkundemuseums erklärt.
"Wir wollen keine Inszenierung bieten, sondern einen authentischen Einblick
in die Forschungsarbeit ermöglichen", sagt Leinfelder. Daher würde nicht
eine Auswahl der interessantesten Exponate im Erdgeschoss unterkommen,
sondern ausschließlich die Fische. "Wenn es die Ordnung der Sammlung
erfordert, dass die hässlichsten Fische an exponierter Stelle stehen, dann
ist das so."
Ein Blick auf die wunderschönen, aber langweiligen Forellen neben den
unansehnlichen Tiefseefischen mit ihren Verwachsungen lässt hoffen, dass es
genau so kommt.
29 Jun 2010
## AUTOREN
Juliane Wiedemeier
## TAGS
Fische
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tropische Tiefseefische: An die Küste von Oregon gespült
Eigentlich leben sie in anderthalb Kilometer Tiefe in wärmeren Gewässern.
Jetzt wurden einige großmäulige Lanzenfische an Stränden im Norden der USA
gefunden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.