# taz.de -- US-amerikanischer Rasen: Das patriotische Rechteck | |
> Nirgendwo ist der Rasen so heilig wie in den USA. Von den Anwesen | |
> Connecticuts bis zu den Golfplätzen von Beverly Hills liegt ein grüner | |
> Teppich überm Land. | |
Bild: Das Haus von Stan & Priti Cox in Salina, Kansas vor Haegs Aktion. | |
In den USA wird mehr Gras gesät - oder wie Auslegeware verlegt - als | |
irgendein anderes Gewächs. Für den Architekten, Künstler und Ökoaktivisten | |
Fritz Haeg handelt es sich dabei „um eine industrielle Landschaft, die sich | |
als organisches Pflanzenmaterial ausgibt“. Denn die Monokultur aus | |
bestenfalls zwei gar nicht in Nordamerika heimischen Grasarten verlangt die | |
Ausmerzung aller anderen Gewächse. Sie braucht für ihren obligaten | |
Smaragdton Nitrogen und Phosphor, Chemikalien, die in das Grundwasser | |
sickern und das Algenwachstum in Flüssen und Seen fördern. Gar nicht zu | |
reden von den Unmengen Wasser, die Rasensprenger in einer Wüstenstadt wie | |
Los Angeles - Haegs Wohnsitz - vergeuden: ein Drittel des ganzen | |
Wasserbudgets. Nicht zuletzt verschmutzt eine Stunde Mähen mit einer | |
benzinbetriebenen Maschine die Luft ebenso wie eine fünfhundert Kilometer | |
lange Autofahrt. | |
In seinem gerade in zweiter, erweiterter Auflage erschienenen Buch „Edible | |
Estates: Attack on the Front Lawn“, das Essays prominenter Gartendesigner | |
und Landwirtschaftler enthält, beklagt der Ernährungsexperte Michael | |
Pollan, dass Gras weder sterben noch blühen und seinen Samen verstreuen | |
dürfe: „Der Rasen ist von Sex und Tod gereinigte Natur. Kein Wunder, dass | |
die Amerikaner ihn so lieben.“ | |
Trotz der alarmierenden Mischung aus Gift, Vergeudung und Monotonie fühlt | |
sich die Bevölkerung dem makellos gestutzten Rechteck vor der Haustür | |
patriotisch verpflichtet, als handelte es sich um eine horizontal | |
ausgebreitete Flagge. So wählte Fritz Haeg vor fünf Jahren gezielt das | |
Wochenende des 4. Juli für die Vernichtung eines 8 mal 11 Meter großen | |
Fleckens struppigen Bermudagrases vor dem Einfamilienhaus von Stan & Priti | |
Cox in Salina, Kansas. Das Ehepaar war gern dazu bereit, sein plattes, | |
liebloses Rasenstück gegen einen üppigen Gemüsegarten einzutauschen. | |
Fritz Haeg hatte die Bepflanzung mit Mangold, Erdbeeren und Kürbissen | |
direkt am Bürgersteig als subversive Aktion geplant - schließlich | |
insistieren die meisten Hauseigentümervereinigungen, deren striktem | |
Reglement rund 57 Millionen Amerikaner unterliegen, auf einer gut | |
gewässerten, gedüngten, gejäteten Grasfläche von höchstens 10 Zentimeter | |
Höhe und verbieten den Anbau von Obst und Gemüse. | |
Haeg, ein sanfter, leiser Mann, hoffte, für seine subversive botanische | |
Aktion von den örtlichen Behörden verhaftet zu werden. Zu seiner | |
Überraschung tauchte statt der Beamten mit dem ersten Spatenstich am frühen | |
Morgen eine Handvoll Jugendlicher auf, die zwei Tage lang unaufgefordert | |
schufteten - für die Kids aus Salina, einer Stadt mit 46.000 Einwohnern im | |
Epizentrum der Nation, wo Getreidesilos die meisten Häuser überragen, war | |
der Anbau von Kräutern und Salaten ebenso exotisch wie für Teenager in New | |
York City. | |
Auch die Nachbarn demonstrierten eher Neugierde als Feindseligkeit. Und so | |
war es in allen Metropolen, Suburbs und Exurbs, wo Haeg im Zusammenarbeit | |
mit lokalen Museen (darunter der Tate Gallery und dem San Francisco Moca) | |
langweiliges Grün gegen Obst und Gemüse austauschte: „Ich betrachte die | |
Transformation der Vorgärten vor allem als ein soziales Instrument - wer | |
Bohnen und Mais vor dem Haus pflanzt, kennt bald alle seine Nachbarn. Was | |
ist schon unkommunikativer, als sich alle zwei Wochen mit Kopfhörern auf | |
die Mähmaschine zu setzen?“ | |
Fritz Haeg gibt zu, dass „der amerikanische Rasen im Unterschied zur | |
originalen englischen Version ursprünglich auf das Gemeinwohl ausgerichtet | |
war“: In der Tudorzeit wurde er als Geste ostentativer Verschwendung von | |
fruchtbarem Land um Güter und Schlösser erfunden, während man die | |
Agrikultur aus der Sichtweite verbannte - in den USA dagegen zeichnete sich | |
das „kommunale Grün“ durch seine demokratische Intention aus. | |
Doch längst ist das domestizierte Stück Natur vor dem Haus zum Symbol der | |
Abgrenzung verkommen. Als Aushängeschild für gepflegten Grund und Boden ist | |
der Rasen den Grundstücksmaklern teuer, er fungiert als Währung wie der | |
Dollarschein. | |
Der Ernährungswissenschaftler Pollan spürte als Kind in den 60er Jahren zum | |
ersten Mal „den heißen Atem der Mehrheitstyrannei“, weil sein Vater den | |
Rasen im Vorgarten verwildern ließ. Die Nachbarn boten wiederholt ihren | |
eigenen Mäher an - „das Messer der Zivilisation“ -, schließlich | |
beauftragten sie den einzigen verbliebenen Freund des „Dissidenten“, ihn an | |
seine Bürgerpflichten zu erinnern. | |
Haeg sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der rasant wachsenden | |
Popularität von Nutzgärten und dem Platzen der Immobilienblase: Die | |
aktuelle Wirtschaftskrise hat die notorisch rastlosen Amerikanischer zur | |
Sesshaftigkeit gezwungen. „Man legt keinen Garten an, wenn man im nächsten | |
Jahr umziehen will“, erklärt Haeg, selbst ein chronischer Nomade. „Ein | |
Gemüsegarten vor dem Haus ist zu individualistisch, um die | |
Grundstückspreise zu heben, damit macht man keinen schnellen Sale.“ | |
Die akute Finanznot tut ein Übriges, um Vorstädter zu Subsistenzfarmern zu | |
machen, wie während des zweiten Weltkrieges - 1945 hatten 80 Prozent aller | |
Haushalte War Gardens und dann Victory Gardens, die jedoch sehr bald dem | |
rapide wachsenden Wohlstand der Nachkriegsära zum Opfer fielen. Haeg hofft | |
auf eine Wiederbelebung der urbanen Landwirtschaft. Angesichts der immer | |
weiter expandierenden Food Deserts, in denen nichts als frittiertes, | |
überzuckertes und chemisch konserviertes Essen zu finden ist, glaubt er an | |
die Oase vor der eigenen Schwelle, die das „banale, leblose Feld uniformen | |
Grases durch den chaotischen Reichtum der Biodiversität ersetzt.“ | |
Damit zählt Fritz Haeg, der nicht nur die Pflanzung attraktiver | |
Gemüsegärten, sondern auch den Bau eleganter Unterkünfte für einstige | |
Bewohner unserer heutigen Städte wie Biber, Waschbären, Adler und Kojoten | |
zu seiner künstlerischen Praxis zählt, zur radikalsten Fraktion der | |
„Locavore“-Bewegung. Längst ist sie mit Bauernhöfen auf den Dächern von | |
Brooklyn und Bienenstöcken in Manhattan in den Trend gerückt, doch werden | |
nach wie vor nur zwei Prozent aller Nahrungsmittel in den USA lokal | |
angebaut. Noch ist nicht absehbar, ob die ehemaligen Kartoffeläcker in den | |
Hamptons, die mit dem sattesten Rasen der Nation bepflastert sind, in | |
absehbarer Zeit wieder in ihren ländlichen Zustand zurückkehren werden. | |
Das Gemüse auf einem typischen amerikanischen Dinnerteller hat eine | |
Lkw-Reise von durchschnittlich 2.000 Kilometern hinter sich. Es stimmt Haeg | |
optimistisch, dass seit Beginn der Rezession der Verkauf von Gemüsesamen | |
rapide zugenommen hat, doch wird zugleich mehr Gras gesät denn je - und von | |
den grünsüchtigen Hausbesitzern mit zehnmal so viel Pestiziden behandelt | |
wie selbst kommerzielle Äcker. Umso absurder erscheint es Haeg, dass die | |
Produkte, die eine befreundete Landwirtin auf ihrer Rooftop Farm in | |
Brooklyn erntet, wegen der Autoabgase mit größter Skepsis betrachtet | |
werden. „Wer fragt denn nach der Luftqualität an jenem unbekannten Ort, wo | |
unser in Plastik verpackter Supermarktsalat gedieh?“ | |
Ende Juni wird Fritz Haeg für das Aldrich Museum in Connecticut eine | |
essbare Landschaft entlang des Bürgersteigs kreieren - Museumsangestellte, | |
Besucher und Passanten sind eingeladen, das interaktive Kunstwerk zu | |
konsumieren. Wenn er in Florida, Texas oder Tennessee das Erdreich umpflügt | |
und Miniaturäcker am Straßenrand bepflanzt, spielt er ihre Identität als | |
Kunstinstallationen bewusst herunter: „Alles, was mit Kunst zu tun hat, | |
wird zunächst als Ironie gesehen - ich aber meine diese Gärten ganz und gar | |
ernst.“ | |
1 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Claudia Steinberg | |
## TAGS | |
Reiseland USA | |
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