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# taz.de -- Vor dem Viertelfinale-Klassiker: Gottes Clown und des Flohs Nase
> Vor dem Spiel gegen Deutschland sind auch die Südamerikaner davon
> überzeugt, dass die Deutschen die besseren Verlierer sind. Zumal alle
> daran glauben, dass Messi trifft.
Bild: Voller Liebe: Maradona und sein Spieler Carlos Tevez.
Diego Maradona stellt sich ins Tor. Er hat keine Angst vor seinen eigenen
Kanonieren, die ein Dutzend Bälle aufs Tor bolzen. Die Verlierer des
Trainingsspiels müssen regelmäßig in den Kasten. Der Trainer, der die
Partie gepfiffen hat, geht freiwillig hinein. Sie sind zum kollektiven
Abschuss freigegeben. Das ist ein Ritual in der Albiceleste, den in den
Farben Weiß und Hellblau spielenden Argentiniern.
Nach dem Beschuss hält sich Maradona den Kopf. Man weiß nicht genau, ob er
einen Jabulani abbekommen hat oder ob das nur ein weiterer Scherz von
Maradona ist, der sich nach seiner galaktischen Karriere und den
haarsträubenden Problemen danach nun 23 Fußballer zum WM-Titel führen will.
"La germania", ruft der kleine Dicke mit dem Humpelfuß auf Italienisch, "la
germania". Man hört ein krächzendes Lachen. Er versucht wohl, seine Leute
mit diesem Schlachtruf anzutreiben. Diego gibt den Clown. Er brilliert auch
in anderen Rollen. Als lebende Legende. Als Choleriker, Knallcharge und
Exzentriker.
Das Trainingsspiel auf dem Platz der Universität von Pretoria verfolgen
ungefähr 300 Journalisten. Sie geben eine Kulisse wie bei einem
Fünftligaspiel in Deutschland ab. Vorher hatten sie zwei
Sicherheitsschleusen überwinden müssen. Der Einlass der Presse erfolgt auch
nach einem bestimmten Ritual: Ein Polizist öffnet täglich Punkt fünf Uhr
die Einfahrt zum Unigelände. Dann setzt sich eine 500 Meter lange Karawane
von Fahrzeugen in Bewegung. Vor dem Stadion muss die Presse wiederum eine
gute halbe Stunde warten, bis sie zur "Hand Gottes", zu Diegito,
vorgelassen wird.
Kamerateams balgen sich um die allerbesten Plätze. Später werden noch
einmal die Ausweise gründlich kontrolliert, wenn der Tross zur
Pressekonferenz ins Zelt um die Ecke wechselt. Aufgeregt kabeln
südamerikanische Fernseh- und Radioreporter die letzten Neuigkeiten vom
Trainingsplatz in die Heimat. Am Freitag sind sie besonders in Fahrt, denn
von Lionel Messi war nichts zu sehen auf dem Trainingsplatz. "Wo ist
Messi?", fragt man sich. "Hast du ihn vielleicht gesehen, weißt du was?"
Gott bewahre: "Ist er vielleicht verletzt?"
Messi wollte trainieren, heißt es, aber weil der "Floh", wie sie ihn
nennen, eine kleine Erkältung hat und die Nase wohl ein bisschen verstopft
ist, hat ihn Maradona wieder in die Kabine geschickt. Der kleine Zauberfuß
soll seine Kräfte schonen für die Deutschen. Natürlich wird er spielen,
sagt ein argentinischer Journalist, "eher tritt Maradona zurück, als dass
Messi nicht spielt". Alle gehen davon aus, dass er die Deutschen schwindlig
spielen wird, "naturalmente".
Leider sitzt weder Messi noch Maradona auf dem Podium der Pressekonferenz.
Coco, der Pressesprecher, der wie eine Figur aus den "Sopranos" wirkt,
kündigt Martin Demichelis, Bayern München, und Clemente Rodríguez,
Estudiantes La Plata, an. Die Besetzung des Podium folgt Schema F. Coco
schickt heute die Nummer 1 und 2 zur Presse, morgen die 3 und 4. Man
richtet sich nicht nach Aktualität und Dringlichkeit, die Medien müssen mit
denen leben, die ihnen vorgesetzt werden.
Martin Demichelis muss über seine bisherige Leistung im Turnier sprechen.
Das ist nicht so einfach, denn seine Form ließ zu wünschen übrig. Gegen
Südkorea beging er einen kapitalen Fehler, der zum einzigen Gegentor
führte. Auch später patzte der Innenverteidiger. "Ich werde hart
kritisiert, ich werde als der größte Wackelkandidat in der Abwehr
dargestellt, aber ich kann nur sagen, dass ich gut drauf bin", sagt
Demichelis.
Maradona kann froh sein, dass alle Welt über seine begnadeten
Offensivspieler spricht, über Messi, Higuaín, Tevez und Milito, denn die
Abwehr steht nicht sicher. Sie wurde im Turnierverlauf immer wieder
umgebaut. Auf den Außenpositionen testete Maradona Heinze, Nicolás
Otamendi, Clemente Rodríguez und Jonás Gutiérrez. Sie alle sind keine
gelernten Außenverteidiger. Die Experten der argentinischen Zeitung Clarín
glauben, dass die Viererkette am Samstag so aussehen wird: Otamendi,
Demichelis, Burdisso und Heinze.
Was Bastian Schweinsteiger gesagt habe, sei für Demichelis "nicht so
wichtig", denn: "Aufm Platz ist entscheidend. Da müssen wir die Antwort
geben, vielleicht sind sie ein bisschen nervös." Auch Maradona konterte
Schweinsteigers Rundumschlag, der im Vorwurf gipfelte, die Argentinier
seien per se unfair und verschlagen, ziemlich cool. Am Ende eines
Fernsehinterviews sprach er den Deutschen direkt an: "Schweinsteiger, bist
du nervös?" Demichelis hat Maradona, den er für einen ruhigen und
überzeugenden Trainer hält, "alles erzählt, was ich von den Deutschen
weiß", nämlich, dass sie zurzeit eine "ganz gute Mannschaft" haben, dass
Podolski, Müller, Schweinsteiger und Friedrich sehr gut drauf sind und dass
sich die Deutschen "während der WM sehr gut entwickelt haben".
In einem Punkt gab Demichelis Schweinsteiger sogar recht. Die Deutschen
könnten wirklich besser verlieren als die Argentinier. "In der Bundesliga
klatschen die sich nach einer Niederlage sogar ab und schreiben
Autogramme." Das sollen sie am Samstag, meinte Martin Demichelis, mal ruhig
machen.
1 Jan 1970
## AUTOREN
Markus Völker
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