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# taz.de -- WM-Finalist Holland: Mit der Präzision eines Uhrwerks
> Clockwork Orange: Wie ein Uhrwerk gewinnt die niederländische
> Nationalmannschaft ein Spiel nach dem anderen. Sie könnte zum ersten Mal
> der WM-Geschichte alle Spiele im Turnier gewinnen.
Bild: Weltmeisterliche Choreographie? Nach dem Halbfinale feierten die Niederl�…
KAPSTADT taz | Leider gibt es eine Weltregie bei dieser WM, die ein und
dasselbe Bild für alle Kanäle auf diesem Planeten produziert. Unvermeidlich
ist der Schwenk auf die Ehrentribüne, weshalb irgendwann immer ein gewisser
Sepp Blatter erscheint, der Präsident des Weltverbandes. Die Adligen dieser
Welt werden indes nur bei bedeutsamen Anlässen ähnlich aufwendig
inszeniert, sodass es Willem Alexander van Oranje-Nassau und Gemahlin
Máxima als Prestigegewinn verbuchen dürfen, während des historischen
Halbfinalesiegs ihrer Landsleute sogar noch öfter als der grinsende
Fifa-Boss erscheinen zu dürfen.
Es sah ja auch sehr putzig aus, wie das Prinzenpaar einen orangefarbenen
Schal locker um den Hals geschwungen hatte und exaltiert den neuen
Lieblingen der Nation beim 3:2 gegen Uruguay applaudierte. Dumm nur, dass
die königliche Delegation viel zu früh wieder drinnen im VIP-Areal
verschwand, anstatt noch draußen die finale Feierzeremonie zu verfolgen.
Erstmals boten Arjen Robben, Dirk Kuyt und Co. vor der Fankurve eine
wahrhaft weltmeisterliche Choreografie. Viele hatten ihr knallorange
Kunstfaserjersey ausgezogen und wirbelten so wild damit herum, als wäre das
Greenpoint-Stadion eine gigantische dreistöckige Sauna, in der gerade ein
Aufguss gemacht wurde.
Diese "Elftal" löst lange nicht für möglich gehaltene Hitzewallungen aus -
Henk Kesler, der Verbandsdirektor, erklärte vorsichtshalber ganz Kapstadt
zum "Oranje Square", wohl wissend, dass 70.000 Landsleute sowieso das Bild
auf Greenmarket Square, Long Street oder Grand Parade prägen würden. Hätte
nur noch gefehlt, dass der mächtige Tafelberg in dieser Nacht auch noch mit
der Signalfarbe angestrahlt worden wäre.
Selbst Trainer Bert van Marwijk, der größte Pragmatiker, gab sich seinen
Träumen hin. "Ich habe in den letzten Minuten auf der Bank daran gedacht,
dass wir so etwas zuletzt vor 32 Jahren erreicht haben." Das WM-Finale
1978. Und dann erinnerte der 58-Jährige an die WM 1974, das verlorene Duell
gegen Deutschland in München, in der Reminiszenz eine nationale Tragödie.
Van Marwijk kickte damals in der Ehrendivision als nicht pflegeleichter
Linksaußen bei den Go Ahead Eagles; wie alle hat er einen gewissen Johan
Cruyff bewundert. Jene eigenwillige Stilikone der 70er Jahre, die in
Südafrika als allwissender Experte bis zuletzt den von Marwijk verordneten
Stilwechsel gescholten hat.
Nun hat der Bondscoach einen Versöhnungskranz geflochten: "Es war eine
einzigartige Generation mit Cruyff; er war der Beste, der je gespielt hat.
Es ist großartig, dass wir auch dort sind, wo er war." Und doch ist er mit
seiner Mission erst zufrieden, wenn auch der Endspielsonntag ein gutes Ende
nimmt: "Ich bin Sportsmann, ich will den ultimativen Preis." Den Goldpokal.
Der Fußballlehrer hatte sich diesmal bei der Gratwanderung zwischen
Pflichterfüllung und Unterhaltung dazu entschlossen, gegen zähe
Südamerikaner mit der Hereinnahme von Rafael van der Vaart die müden
offensiven Geister zu beleben. "Man hat dann gesehen, wie gut wir spielen
können", lobte der Chefcoach den Edelreservisten - und sich selbst. Und da
seine kleinwüchsigen Individualisten Wesley Sneijder und Robben selbst aus
schier ausweglosen Situationen wegweisende Treffer anbringen, notfalls
unter Umgehung der Abseitsregel oder mit dem Kopf, geht der Masterplan fast
minutiös auf.
Die Cape Times hat über diese neue niederländische Sachlichkeit getitelt:
"Clockwork Orange". Der Begriff spielt auf den Filmklassiker von Stanley
Kubrick an, beschreibt indes treffend die Vorgehensweise eines
ergebnisorientierten Ensembles, das den zehnten Sieg hintereinander mit der
Präzision eines Uhrwerks erledigte.
"Wir akzeptieren alle unsere Qualitäten - und dazu gehören auch unsere
Schwächen", erklärt Robben. "Wir haben nie das Gefühl, dass wir ein Spiel
verlieren können", ergänzt Joris Mathijsen, der es wie so viele aktuelle
oder ehemalige Bundesligaspieler gar nicht fassen kann, auf welcher Bühne
er da am Sonntag im Soccer City Stadion von Johannesburg auftritt.
"Wir sind im Finale, im Finale - ich kann es nicht glauben", stammelte der
beim Hamburger SV oft verzagende Abwehrspieler. Nur einer stellte in der
seligen Nacht fast schon melancholische Züge zur Schau: "Das ist meine
letzte WM, meine letzte Chance, die nie mehr wiederkommt", sagte Mark van
Bommel, 33, weshalb der Bayern-Star sich wohl auch stets den Spielball als
Mitbringsel sichert.
Selbst ohne die Kapitänsbinde gilt die Nummer sechs als der heimliche
Anführer einer Mannschaft, der erstmals in der WM-Geschichte sieben Spiele
ohne Niederlage zuzutrauen sind. Warum eigentlich? Van Bommel antwortete
fast ungerührt: "Wir Holländer konnten immer schön spielen und gewinnen.
Aber nun haben wir gelernt, auch zu gewinnen, wenn wir mal einen schlechten
Tag haben. Das haben uns die Deutschen beigebracht."
9 Jul 2010
## AUTOREN
Frank Hellmann
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