| # taz.de -- Interview mit Karstadt-Investor Berggruen: "Ich habe nichts erreich… | |
| > Einen Euro hat der Milliardär für Karstadt bezahlt. Doch eigentlich | |
| > bereut der Medienscheue das Engagement fast wieder. Berggruen über | |
| > Steuern, Utopien und wirklich wichtige Leistungen. | |
| Bild: Medienscheu und alles andere als unfehlbar, so sieht sich der Investor Be… | |
| Um 15 Uhr sollte das Interview beginnen, inzwischen ist es fast halb fünf. | |
| Das Thermometer zeigt zeigt mehr als 30 Grad im Schatten, aber Nicolas | |
| Berggruen sitzt nicht drinnen im gekühlten Fünf-Sterne-Hotel am Berliner | |
| Gendarmenmarkt, in dem er dieser Tage logiert, sondern draußen im Innenhof | |
| auf der Terrasse. Die Sonne brät ihm auf den Rücken. Der Karstadt-Investor | |
| unterhält sich auf Englisch mit einem Geschäftspartner. | |
| Seine Pressereferentin wird ungeduldig, sucht seinen Blick. Als er | |
| schließlich den Tisch wechselt, mahnt sie zur Eile. Doch Berggruen ist | |
| entspannt. Er legt seine marineblaue Strickkrawatte vor sich auf den Tisch, | |
| die getönte Pilotenbrille lässt er auf, fächelt sich mit seinem Hemd Luft | |
| zu. Er entschuldigt sich mehrfach für die Verspätung, um dann anzukündigen, | |
| dass gleich vermutlich sein Blackberry klingeln werde und er den wichtigen | |
| Anruf aus Südafrika leider annehmen müsse. Er spricht ein amerikanisch | |
| gefärbtes Deutsch. | |
| taz: Herr Berggruen, Sie fordern keine Lohnkürzungen bei Karstadt und geben | |
| eine Jobgarantie für die Beschäftigten. Sind Sie eigentlich links? | |
| Nicolas Berggruen: Nein. Ich bin vielleicht in sozialen Fragen links. Aber | |
| insgesamt bin ich nicht links oder rechts. Ich glaube an das Individuum, an | |
| die Menschenrechte und an soziale Mindeststandards. Das starke soziale Netz | |
| in Europa ist eine gute Sache. | |
| Es heißt, Sie hätten in Ihrer Jugend mal eine links-anarchische Zeit | |
| gehabt. | |
| Korrekt. | |
| Wie sah die aus? Hatten Sie etwa bunte Haare? | |
| Nein, das ist keine Sache des Looks. Was im Kopf passiert, ist viel | |
| wichtiger. | |
| Von welchen Werten lassen Sie sich denn heute bei ihren Geschäften leiten? | |
| Sie investieren ja zum Beispiel in Windparks in der Türkei. | |
| Der Windpark in der Türkei ist gut, weil er grüne Energie liefert und weil | |
| die Türkei mehr Energie braucht. Das macht ihn profitabel. Wenn man etwas | |
| Gutes machen und dabei noch Geld verdienen kann, ist das eine gute | |
| Kombination. | |
| Und wenn Sie bei Karstadt investieren, stehen dahinter dann geschäftliche | |
| Ziele oder persönliche Überzeugungen? | |
| Manche Engagements können und sollten zu hundert Prozent philanthropisch | |
| sein. Andere Projekte müssen sich rechnen. Es nützt niemandem, wenn ich | |
| Karstadt kaufe – und dann verliert es Geld, während ich Karstadt für zwei, | |
| drei Jahre subventioniere. Wenn es dann weiter nicht läuft, hilft es | |
| niemandem. Damit Karstadt langfristig überlebt und gut lebt, muss es | |
| wirtschaftlich erfolgreich sein. | |
| Gibt es für Sie bei Karstadt eine finanzielle Schmerzgrenze? | |
| Ja. | |
| Sie ist in Ihrem Kopf, aber sie soll nicht in die Zeitung? | |
| Genau. Aber das ist auch nicht der Punkt. Man fängt nicht mit dem Negativen | |
| an. Man muss gemeinsam darüber nachdenken, wie man daraus einen Erfolg | |
| macht. Es sollen ja alle davon profitieren: die Städte, die Mitarbeiter, | |
| die Kunden, die Lieferanten und auch der Eigentümer. | |
| Ist denn Karstadt das schwierigste Geschäft, das Sie je unternommen haben? | |
| Nein, aber vielleicht das öffentlichste. | |
| Gleichzeitig zeigt aber doch auch das öffentliche Interesse, dass Sie da in | |
| etwas investieren, das von öffentlicher Bedeutung ist. | |
| Das ist natürlich interessant und eine positive Herausforderung. Aber es | |
| verstärkt auch den Druck. | |
| Unter Druck entstehen Fehler. Haben Sie schon einmal richtige Fehler | |
| gemacht bei Ihren Investitionen? | |
| Ja, sicher! | |
| Nennen Sie uns ein Beispiel? | |
| Ich habe in den USA in Ethanol investiert, ein grünes Investment also, | |
| dachte ich. Am Ende stellte sich das als eine ganz große finanzielle und | |
| ökologische Katastrophe heraus. | |
| Aber es war eine gute Idee… | |
| Nein! Es war eine sehr schlechte Idee. Ich habe geglaubt, es sei eine gute | |
| Idee, aber ich habe mich mächtig geirrt. | |
| Haben Sie früher Investitionen getätigt, die Sie heute nicht mehr tätigen | |
| würden? | |
| Ja, diese genannten schlechten. | |
| Auch moralisch schlechte? | |
| Ich bin kein Moralist. Vor Jahren hat man mir den Kauf eines Unternehmens | |
| angeboten, das Waffen herstellt. Ein Freund von mir hatte das Unternehmen | |
| gekauft und fragte mich, ob ich mit einsteige. Es wäre ein gutes Geschäft | |
| gewesen, aber ich sagte Nein. Eine solche Sache würde ich nie machen. Es | |
| geht um Maschinen zum Töten. Natürlich bin ich persönlich gegen Aufrüstung. | |
| Und die Militäretats der Welt sind schlecht, weil sie mit Krieg und Töten | |
| zu tun haben. Aber wo wollen Sie die Grenze ziehen? Wenn zum Bespiel jemand | |
| Stahl herstellt, ist das dann schlecht, weil daraus Waffen hergestellt | |
| werden können? | |
| Sie investieren also doch nach moralischen Kriterien? | |
| Es ist schwierig, moralische Kriterien aufzustellen. Sie können sagen: Ich | |
| bin gegen Tabak und Zigaretten, also will ich nicht in solche Sachen | |
| investieren. Denn Rauchen ist schlecht – für einen selbst und für die | |
| anderen. Aber was ist mit dem armen Farmer in Simbabwe, der Tabak anbaut? | |
| Andere sagen: Man kann nicht mit Simbabwe Geschäfte machen, denn Staatschef | |
| Mugabe ist ein schlechter Mann. Aber, wenn man keine Geschäfte mehr mit | |
| diesem Land macht, leiden die einfachen Menschen dort am meisten. Deshalb | |
| glaube ich: Viele dieser vermeintlich moralischen Kriterien sind sehr | |
| politisch und gar nicht so wirklich moralisch. | |
| Herr Berggruen, das Magazin Forbes zählt Sie zu den fünfhundert reichsten | |
| Menschen der Welt. Finden Sie, dass reiche Menschen gesellschaftlich mehr | |
| in die Pflicht genommen werden sollten? | |
| Wie meinen Sie das? | |
| In Deutschland gibt es Reiche, die fordern, dass Reiche mehr Steuern zahlen | |
| sollen, dass man also auch den Spitzensteuersatz anhebt. Sehen Sie das auch | |
| so? | |
| Grundsätzlich gesehen: Ja, die Reichen sollten mehr bezahlen. Hohe Steuern | |
| sind kein Hinderungsgrund für Menschen, die arbeiten wollen. Unternehmer, | |
| die arbeiten und dies gerne tun, werden dies machen, egal ob die Steuern | |
| hoch oder niedrig sind. In Skandinavien sind die Steuern sehr hoch, aber | |
| die Länder sind überdurchschnittlich erfolgreich und der Lebensstandard ist | |
| sehr gut. Wahr ist allerdings auch: Wenn die Leute denken, fast alles, was | |
| sie verdienen, geht an den Staat, sind sie nicht mehr sehr motiviert. | |
| Wo läge die Grenze für eine Reichensteuer? | |
| Wo genau die Grenze liegt, weiß ich nicht. Es geht ja auch um die Frage, | |
| wie effizient der Staat mit dem Geld umgeht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. | |
| Singapur hat ein fantastisches Sozialsystem und die Steuern sind trotzdem | |
| sehr niedrig, weil die Verwaltung sehr leistungsfähig ist. Viele Leute, die | |
| links sind, finden dieses Land aber abscheulich. | |
| Singapur hat ein nicht sehr demokratisches System – die Rede-, | |
| Versammlungs- und Pressefreiheit ist eingeschränkt. | |
| Aber Singapur bietet ein gutes Gesundheitswesen und ein sehr gutes | |
| Bildungssystem. Die Staatsangestellten bekommen sehr hohe Löhne, die | |
| wettbewerbsfähig sind mit der Privatwirtschaft. Wenn eine Regierung geführt | |
| wird wie ein Privatunternehmen, dann ist sie viel effizienter. | |
| Diese Idee scheint sie schwer zu beschäftigten. Sie haben sogar einen Think | |
| Tank gegründet, das Nicolas Berggruen Institute, das sich genau dieser | |
| Frage nach gutem Regieren widmet. | |
| Ja, das Thema beschäftigt mich täglich. | |
| Ihr Institut hat bisher keine Ergebnisse veröffentlicht? Was macht es | |
| eigentlich genau? | |
| Das Institut habe ich erst vor weniger als einem Jahr gemeinsam mit | |
| Wissenschaftlern gegründet. Wir haben zunächst eine ganz verrückte Idee | |
| umgesetzt: Wir haben eine neue Verfassung für ein utopisches Land | |
| aufgeschrieben. | |
| Ein bisschen so wie Thomas Morus… | |
| Das beschäftigt mich seit den Teenager-Jahren. Die Verfassung soll | |
| demnächst als kleines Buch erscheinen. Ich darf noch nicht zu viel | |
| verraten. | |
| Sagen Sie uns denn, wie Artikel 1 Ihrer Verfassung lautet? | |
| Den gibt es nicht. Es ist keine Verfassung in Artikeln, das Buch besteht | |
| aus einem philosophischen und einem praktischen Teil. Es ist so eine | |
| Mischung aus Ost und West, eine fernöstliche Idee von einer harmonischen | |
| Staatsorganisation und westliche Freiheitsrechte und Sozialstandards. Unser | |
| zweites wichtiges Projekt heißt "Reform California". Es geht um die Frage, | |
| wie man das politische System in Kalifornien deblockieren kann. Wichtige, | |
| langfristige Reformen sind dort im Moment unmöglich, weil für alle | |
| Entscheidungen eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist. | |
| Aber Kalifornien hat doch so einen tollen Gouverneur! | |
| Schwarzenegger? Man kann ihn toll finden oder nicht. Tatsache ist: Seit | |
| acht Jahren führt er die Regierung, aber keiner kann sagen, ob er gut war | |
| oder nicht – er konnte gar nichts umsetzen. Der Gouverneur hat sehr wenig | |
| Macht. Ich will deshalb eine überparteiliche Kommission vorschlagen. | |
| Was haben Sie gegen Parteien? | |
| Ich will nicht rechts oder links sein, dann werde ich ein Politiker wie | |
| andere und muss Kompromisse machen. Am Ende wird man ein Gefangener einer | |
| Ideologie, selbst wenn man Ideale hat, und darf bestimmte Dinge nicht mehr | |
| sagen. In Amerika ist es inzwischen ein großes Problem, dass alles sehr | |
| parteipolitisch ist. Mein Ziel ist nicht, Krach zumachen – ich will etwas | |
| verbessern. | |
| Sie sagen von sich, Sie seien kein Materialist. Sie haben viele | |
| Statussymbole abgeschafft, inzwischen haben Sie nicht mal mehr eine eigene | |
| Wohnung. Verliert das Geld irgendwann an Bedeutung, wenn man viel oder | |
| vielleicht sogar zu viel davon hat? | |
| Ich glaube, Geld verliert tatsächlich an Bedeutung. Aber für manche | |
| Menschen ist es wichtiger als für andere. Ich selbst bin an materiellen | |
| Dingen nicht sehr interessiert. Aber ich bin auch in diesem Punkt gar nicht | |
| moralisch. Jedes Individuum sollte sich möglichst frei entfalten können – | |
| solange es nicht anderen schadet. Dann kommt wieder die Frage: Wo wird es | |
| schädlich für andere? Ich selbst halte den Besitz von fünf Autos für | |
| exzessiv, aber wenn das jemanden glücklich macht – warum nicht? | |
| Sie sagen, Sie seien kein Materialist, häufen aber wahnsinnig Geld an. Ist | |
| das nicht ein innerer Widerspruch? | |
| Nein, ich kann das klar trennen. Das eine hat mit dem anderen nicht | |
| unbedingt etwas zu tun. | |
| Aber wozu häufen Sie dann das ganze Geld an, wenn Sie es gar nicht nutzen? | |
| Ich investiere das meiste Geld in Unternehmen. Ich häufe es nicht nur an. | |
| Ich werde es nutzen, ich will es am Ende alles weggeben. Die Projekte, die | |
| ich mit meinem Think Tank vorhabe, sind zum Teil sehr teuer. Das | |
| Kalifornien-Projekt wird viel Geld kosten, wenn wir das wirklich gut machen | |
| wollen. Das Geld geht irgendwann zu 100 Prozent weg. Aber Geld gut | |
| wegzugeben ist schwieriger, als es zu verdienen. Theoretisch sind alle | |
| Spenden gut: Aber in Afrika zum Beispiel ist es sehr, sehr schwierig, etwas | |
| langfristig Gutes mit dem Geld zu machen. | |
| Welche Idee haben Sie für Afrika? | |
| Das will ich jetzt noch nicht verraten. Ich glaube aber, einfach nur Geld | |
| nach Afrika zu geben, ist eigentlich fast schädlich. Es ist, als würde man | |
| einem Drogenabhängigen seine Sucht finanzieren. Um Afrika stark zu machen, | |
| muss man mehr tun, als nur Geld zu schicken. Nur wie macht man Afrika | |
| stark? Man muss Afrika helfen, eigenes Leistungsvermögen aufzubauen. Aber | |
| das ist wirklich schwierig. | |
| Haben Sie ein Beispiel? | |
| In Äthiopien gab es vor etwa zwanzig Jahren eine schreckliche Hungersnot, | |
| Millionen von Menschen waren betroffen. Natürlich muss man in so einer | |
| Situation Geld schicken. Aber heute leben in Äthiopien doppelt so viele | |
| Menschen und sie sind genauso arm wie damals. Äthiopien ist theoretisch ein | |
| reiches Land, es hat viele Potenziale, die Menschen könnten viel machen. | |
| Aber die Basis fehlt, das Land braucht ein besseres Regierungssystem und | |
| eine bessere Verwaltung – und das ist das Schwierigste. | |
| Haben Sie im Moment überhaupt Zeit, sich mit solchen Fragen zu | |
| beschäftigen? | |
| Ich verbringe viel Zeit mit der Arbeit für meine Stiftung. | |
| Sie galten lange Jahre als öffentlichkeitsscheu. Jetzt gehen Sie auf | |
| Medienanfragen ein. Warum? | |
| Ich mache das, weil mir dazu geraten wird, dies zu tun, letztlich für die | |
| Betroffenen, die Karstadt-Mitarbeiter und -Lieferanten. | |
| Das sollen wir glauben? | |
| Bei dem Karstadt-Investment ahnte ich gar nicht, dass es so ein | |
| Medieninteresse bewirken würde. Und man hat mir gesagt: Wenn ich nur | |
| verkünde, ich will bei Karstadt einsteigen, ist das nicht ausreichend. Denn | |
| die Menschen sind neugierig, wer dieser Investor ist. Es ist ein | |
| kompliziertes Geschäft, wenn ich es gut machen will, kann ich mich nicht | |
| verstecken. Also habe ich mir gesagt: Du hast keine Wahl! Aber ich muss | |
| gestehen, hätte ich das geahnt, hätte ich das vielleicht gar nicht gemacht. | |
| Aber es geht auch darum Transparenz in komplizierte Verhandlungen mit | |
| vielen Beteiligten zu bringen. | |
| Wie gefällt Ihnen denn, was die Medien so über Sie schreiben: Der coole | |
| Kapitalist, die gute Heuschrecke, der Märchenprinz… Sie werden ja zum Teil | |
| fast wie ein Heiland für Karstadt dargestellt! | |
| Soll ich die Wahrheit sagen? | |
| Kommen Sie! | |
| Also: Ich finde es peinlich, über mich zu lesen. Es ist mir äußerst | |
| unangenehm. | |
| Weil Sie sich nicht wiederfinden – oder weil zu hohe Erwartungen an Sie | |
| geknüpft werden? | |
| Ich finde es einfach geschmacklos. Und außerdem verdiene ich es gar nicht. | |
| Wenn ich etwas Phantastisches herausgefunden hätte als Forscher, wenn ich | |
| ein großartiges Buch geschrieben hätte, wenn ich ein großer Architekt, ein | |
| großer Fotograf oder ein großer Journalist wäre – dann vielleicht, ja. Aber | |
| ich habe nichts erreicht. | |
| Doch, Sie haben als Unternehmer Milliarden verdient! | |
| Ja, aber das sind für mich verschiedene Ebenen. Eine große Leistung ist es, | |
| ein großer Architekt zu sein, ein großer Schriftsteller, ein großer | |
| Forscher, ein großer Politiker, ein großer Denker. In meiner Hierarchie | |
| sind das die wichtigen Leistungen. Ich will nicht über andere urteilen, | |
| aber ich bin da hart gegen mich selbst. Ich finde, ich habe bisher nichts | |
| geleistet. Wenn mein politischer Think Tank eines Tages wirklich einen | |
| positiven Wandel bewirkt, dann kann ich sagen: Ja, wir haben etwas | |
| geschafft. | |
| 14 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| A. Geisler | |
| P. Gessler | |
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