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# taz.de -- Debatte Unser Israel (7): Kritik ist nicht gleich Kritik
> Wer israelische Politik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt, handelt
> absurd und zynisch. Er muss aber nicht gleich ein Antisemit sein.
Wenn über das Verhältnis von Antisemitismus und Kritik an Israel gesprochen
wird, dann lassen sich drei Haltungen idealtypisch unterscheiden: erstens
eine differenzierte Kritik, die nicht antisemitisch grundiert ist; zweitens
eine undifferenzierte Kritik, die ebenfalls nicht antisemitisch motiviert
ist, und drittens eine pauschalisierende Kritik, die sehr wohl
antisemitisch ausgerichtet ist.
Diese Unterscheidung macht deutlich: Nicht jede Kritik an Israel kann als
antisemitisch gelten, was indessen kaum jemand behauptet. Es gibt aber auch
eine einseitige und unangemessene Kritik an Israel - ohne Antisemitismus.
Genau dies verkennen manche Protagonisten in der nicht selten emotional und
unsachlich geführten Debatte. Hinter einer negativen Einstellung gegenüber
Israel kann, muss aber nicht Antisemitismus stehen. Es bedarf also der
genauen Unterscheidung, um Fehleinschätzungen wie Verharmlosungen zu
vermeiden.
Bei der differenzierten Kritik, die nicht antisemitisch ausgerichtet ist,
stehen meist menschen- und völkerrechtliche Prinzipien im Mittelpunkt. Eine
solche Einstellung kann aber nur dann Glaubwürdigkeit beanspruchen, wenn
die Handlungen der politischen Gegner Israels mit gleichem Maßstab gemessen
werden. Außerdem bedarf es der Aufmerksamkeit für den politischen Kontext
des Konflikts.
Bei Israel handelt es sich nicht um den alleinigen Akteur, sieht sich der
Staat doch von feindlich gesinnten Kräften umgeben. Die von der Hamas bis
zum Iran bekundete Absicht, das "zionistische Gebilde" zu zerschlagen,
steht für eine reale Bedrohung. Auch gelegentliche Raketenangriffe auf
Grenzstädte machen deutlich, dass für Israel der Verweis auf legitime
Sicherheitsinteressen keineswegs nur eine Schutzbehauptung ist. Eine
differenzierte Kritik an israelischer Politik muss diesen Rahmen
berücksichtigen, will sie nicht ein einseitiges Zerrbild vom Nahostkonflikt
zeichnen.
Genau dies macht eine undifferenzierte Kritik, die aber nicht notwendig
antisemitisch sein muss. Einwände in diesem Sinne argumentieren gegenüber
Israel mitunter ähnlich wie die Anhänger der erstgenannten Position. Der
entscheidende Unterschied besteht darin, dass sie Israel als einzigen
negativen Akteur und die Palästinenser nur als passive und positive Opfer
darstellen.
Blendet man antidemokratische, gewaltgeneigte und intolerante Tendenzen auf
der Gegenseite aus, lässt sich das Vorgehen des israelischen Staates wohl
kaum angemessen beurteilen. Genau dies geschieht bei der undifferenzierten
Kritik. Aus einer Solidarität mit dem angeblich Schwachen gegen den
vorgeblich Starken entsteht ein dualistisches und stereotypes
Gut-Böse-Bild. Mitunter bauschen die Protagonisten dieser Position ihre
Sicht der Dinge noch mit bedenklichen Gleichsetzungen und Vergleichen auf,
wozu auch die Verweise auf angebliche Gemeinsamkeiten mit dem
Nationalsozialismus gehören.
Solche Aussagen sind aus historischer Sicht absurd und aus moralischer
Sicht zynisch. Derartige Kommentierungen eines Staates, der von ehemaligen
Verfolgten der NS-Diktatur maßgeblich mitbegründet wurde, sind mehr als
bedenklich. Sie stehen auch nicht für besondere Sachkenntnis zur Geschichte
des Hitler-Regimes, verkennen sie doch die Dimension von dessen
Vernichtungspolitik nicht nur den Juden gegenüber.
Aber sind solche Auffassungen auch immer und zwingend antisemitisch
motiviert? Objektiv relativieren sie die Schuld des Nationalsozialismus und
nehmen eine Täter-Opfer-Umkehr vor. Dies kann, muss aber nicht so
beabsichtigt sein. Schließlich lässt sich in Deutschland bereits seit
geraumer Zeit eine inflationäre Häufung von NS-Vergleichen in den
absurdesten Zusammenhängen und Formen ausmachen. Dabei soll ein anderer -
meist ein politischer Gegner - durch die Gleichsetzung mit dem
Hitler-Regime herabgewürdigt werden, gilt dieses doch in einem moralischen
Sinne als besonders verwerflich.
Anspielungen im Sinne einer Gleichsetzung von Israel und
Nationalsozialismus dienen daher der politischen Diffamierung des jüdischen
Staats. Der historische Unsinn, der damit einhergeht, kann aber nur dann
als Ausdruck von Antisemitismus gelten, wenn die konstitutive Eigenschaft
dieser Diskriminierungsideologie nachweisbar ist: Feindschaft gegen Juden
als Juden. Diese Einstellung steht hinter der Israel-Kritik von
Rechtsextremisten, die sich der Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus
um dessen moralischer Entlastung willen bedienen.
Doch nicht jeder Diskurs, der Gemeinsamkeiten von israelischem und
nationalsozialistischem Vorgehen behauptet, dürfte durch eine Apologie des
NS-Regimes motiviert sein. Mehrheitlich geht es denen, die solche
Auffassungen äußern, vor allem um die "antiimperialistisch" motivierte
politische Abwertung von Israels Umgang mit den Palästinensern. Derartige
Gleichsetzungen können um der Sache willen als unangemessen verworfen
werden - antisemitisch motiviert müssen sie nicht zwingend sein.
Dies führt zur Betrachtung der dritten Haltung in Form einer
pauschalisierenden Kritik, die sehr wohl antisemitisch motiviert ist. Hier
bildet nicht eine einseitige oder naive Solidarität mit der arabischen oder
palästinensischen Seite die eigentliche Motivation. Hier geht es um die
Diffamierung Israels als jüdischen Staat aufgrund dieser besonderen
Eigenschaft. Diese Haltung kommt zum Ausdruck, wenn auf klassische
antisemitische Stereotype wie den "jüdischen Rachegeist" und die "jüdischen
Ritualmorde", den "jüdischen Schacher" oder die "jüdische Verschwörung"
rekuriert wird.
Das antisemitische Bild von einem "Weltjudentum" offenbart sich auch
objektiv, wenn jüdische Organisationen oder Personen im Ausland für die
Handlungen des israelischen Staates verantwortlich gemacht werden. Mit
solchen Auffassungen überschreitet man die Ebene der Kritik, die nur
einseitig und unangemessen ist. Diese Beispiele einer pauschalisierenden
Kritik stehen für eine antisemitische Haltung gegenüber Israel.
***
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][Gottes
verheißenes Land] von Georg Baltissen, [2][Das Gespenst des Zionismus] von
Klaus Hillenbrand, [3][Eine komplizierte Geschichte] von Micha Brumlik,
[4][Keine innere Angelegenheit] von Tsafrir Chohen, [5][Deutsche nach
Gaza?] von Muriel Asseburg und [6][Feiger Hass] von Stephan Kramer.
16 Jul 2010
## LINKS
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[6] /1/debatte/kommentar/artikel/1/feiger-hass/
## AUTOREN
Armin Pfahl-Traughber
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