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# taz.de -- Datenschützer über die Volkszählung: "Es gibt Wichtigeres"
> An diesem Freitag erhebt eine Bielefelder Initiative
> Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus 2011. Die taz sprach mit dem
> schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert.
Bild: Protest in der Berliner Innenstadt gegen die geplante Volkszählung im Ma…
taz: Herr Weichert, ist die geplante Volkszählung aus Sicht des
Datenschutzes bedenklich?
Thilo Weichert: Eine derart aufwändige, personenbeziehbare Datensammlung
ist immer eine Gefährdung des Datenschutzes der Menschen, weil in der
Praxis viel schief gehen kann. Deshalb ist eine gute Organisation genauso
wichtig wie gute Kontrolle.
Statt wie 1987 jeden Bürger zu befragen beschränkt sich der Zensus 2011 auf
größere Stichproben und führt stattdessen vorhandene Daten über den
Einzelnen zusammen. Ein Datenschutz-Fortschritt?
Der Fortschritt, dass die Menschen nicht mehr so belästigt werden, geht
einher mit Datenerhebungen hinter dem Rücken der Betroffenen. Wer nicht
gefragt wird, kann nicht boykottieren. Darin mag mancher Statistiker einen
Fortschritt sehen.
Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 hob darauf
ab, dass die spätere Anonymität der Befragten nicht gesichert war, weil
Erhebungsbogen und Ausfüller über eine Kennummer zusammengeführt werden
konnten. Hat sich das verändert?
Hier befindet sich die Achillesferse der aktuellen Volkszählung. Es wird ja
wieder massenhaft Verfassungsbeschwerden geben. Dann muss das
Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Sicherungen zur Verhinderung
von Persönlichkeitsbildern und von Zweckentfremdungen der Daten ausreichen.
Besondere Kritik lösen die Fragen nach dem Migrationshintergrund und der
Religion der Befragten aus. Zurecht?
Hierbei handelt es sich nach aktueller Lesart um hoch
diskriminierungsträchtige Daten. Heute ist nicht mehr relevant: katholisch
oder evangelisch, wohl aber Christ oder Moslem. Auch die familiäre Herkunft
kann zu massiven Benachteiligungen führen. Wenn das absolute Verbot der
Nutzung der Statistikdaten für Verwaltungszwecke beachtet wird, dann hab
ich wenig Bedenken. Doch lohnt sich die Befragung angesichts der hier
vorliegenden Sensibilität? Da habe ich meine Zweifel.
Was kann der Befragte tun, der seine Auskünfte verweigern will?
Zwangserhebungen haben es an sich, mit der Androhung von Zwangsgeldern
durchgesetzt zu werden. Wer das in Kauf nimmt, dessen Risiko ist
kalkulierbar. Falschangaben waren schon bei der Volkszählung 1987 ein
individueller Ausweg, was aber weder persönlich, noch rechtlich oder
politisch Früchte bringt.
Setzt Auskunftsehrlichkeit bei einer solchen Befragung nicht Freiwilligkeit
voraus?
Das steht nach meiner Erfahrung in keinem direktem Zusammenhang. Die
Auskunftsehrlichkeit ist stattdessen stark abhängig von der Akzeptanz der
Zielsetzung der Erhebung.
Warum löst der Zensus 2011 viel weniger Protest als die Volkszählung 1987
aus?
Der Volkszählungsboykott 1987 war Protest gegen eine konkrete staatliche
Aktion. Inzwischen gibt es Wichtigeres als die Volkszählung. Der
Gesetzgeber versucht, immer mehr Befugnisse für die Polizei und andere
Behörden durchzudrücken, etwa die Vorratsdatenspeicherung. Gegen dieses
Gesetz haben 30.000 Menschen Verfassungsklage eingelegt und 20.000 sind
dagegen auf die Straße gegangen. Dieser Protest muss sich wahrlich nicht
hinter dem der Volkszählung von 1987 verstecken.
Das heißt: Aus ihrer Sicht ist der Zensus nicht der datenschutzrechtliche
Aufreger.
Die Volkszählung ist eher ein Randthema. Die Datenschutzprobleme von heute
liegen nicht bei Verwaltungsstatistiken, sondern in der personellen
Überwachung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von
Konsumentinnen und Konsumenten durch Wirtschaftsunternehmen. Deren
Begehrlichkeiten müssen eingeschränkt werden. Zudem gibt es eine Vielzahl
von Sicherheitsgesetzen, wie das BKA-Gesetz, die
Telekommunikationsüberwachung oder eben die Vorratsdatenspeicherung, die
weit über das verfassungsrechtlich Erlaubte hinausgehen. Deshalb muss die
staatliche Datengier weiter gezähmt werden.
Die Befürworter betonen, eine Aktualisierung der Datenbestände durch den
Zensus sei unerlässlich, um politische Fehlplanungen zu vermeiden.
Für mich ist nicht einsichtig, wieso eine so teure und aufwendige Aktion
überhaupt durchgeführt wird. Statistiken sind heute allgegenwärtig und in
der Regel ausreichend. Politische Fehlplanungen basieren nicht auf
fehlenden Daten, sondern auf der falschen Bewertung vorhandener Daten.
Was wäre die Alternative?
Unabdingbar sind Einzeluntersuchungen von aktuell relevanten politischen
Fragestellungen, ergänzt durch Markt- und Meinungsumfragen. Und
Fehlplanungen lassen sich am besten durch weniger Einfluss von Lobbyisten
und transparente Verfahren mit einer starken Bürgerbeteiligung vermeiden.
15 Jul 2010
## AUTOREN
Marco Carini
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