# taz.de -- Luftverkehrsabgabe für Airlines: Die Bruchlandung der Strippenzieh… | |
> Eine Milliarde Euro soll die Luftfahrt zum Sparpaket beitragen. Die | |
> Branche kocht, doch langsam verliert sie an Einfluss - Schäuble rechnet | |
> bereits mit den Einnahmen. | |
Bild: Schluss mit dem Höhenflug: Airlines sollen mehr Steuern zahlen. | |
BERLIN taz | Wenn die Bundestagsabgeordneten mit einer Maschine der Air | |
Berlin nach Hause fliegen, können sie dem Bordmagazin derzeit Fingerzeige | |
in eigener Sache entnehmen. Konzernchef Joachim Hunold schreibt dort stets | |
persönlich zu Themen wie der mangelnden Reformfreude in Deutschland oder | |
dem Sprachenstreit auf Mallorca. | |
Jetzt hat sich der Manager das Sparpaket der schwarz-gelben Bundesregierung | |
vorgenommen. Unter dem Titel "Luftnummer Luftverkehrsabgabe" beklagt er, | |
die Besteuerung seiner Branche solle nun "als Feigenblatt für die Kürzungen | |
beispielsweise bei den Hartz-IV-Empfängern herhalten". Damit breche | |
Kanzlerin Merkel "ihr Wort, das sie den deutschen Airlines anlässlich der | |
30-Jahr-Feier von Air Berlin gegeben hat". | |
Was ist los? Warum muss der Chef der zweitgrößten deutschen | |
Fluggesellschaft in einem Leitartikel gegen eine getroffene Entscheidung | |
polemisieren, obwohl seinesgleichen sonst lieber jenseits der | |
Öffentlichkeit Einfluss nimmt? Warum halten die großen Parteien und die | |
Ministerialbeamten nicht mehr schützend ihre Hand über eine Branche, die | |
sie sonst stets päppelten? | |
Es ist ein Lehrstück, wie man Einfluss verlieren kann - durch | |
Interessengegensätze im eigenen Verband, durch maßlose Forderungen, durch | |
Herablassung. Ein bisschen wie bei der Tabaklobby. Es ist ein Stück mit | |
ungewissem Ausgang. Noch ist die Abgabe vom Bundestag nicht beschlossen, | |
noch versucht die Branche, ihren Einfluss geltend zu machen. | |
Der Flug der Vulkanasche | |
Auf die Frage, wie es so weit kommen konnte, antworten die meisten | |
Fachpolitiker mit einem Wort: Vulkanasche. Tagelang blieben im April wegen | |
eines Vulkanausbruchs auf Island die Flugzeuge am Boden. Keiner war darauf | |
vorbereitet, die Behörden nicht, die Fluggesellschaften nicht. Doch die | |
Airlines verloren durch das Flugverbot viel Geld und wussten genau, wer | |
schuld war: die Politik. Um die Aschebelastung zu messen, sei "in | |
Deutschland noch nicht mal ein Wetterballon aufgestiegen", sagte | |
Air-Berlin-Mann Hunold - und erweckte den Eindruck, die Politiker hätten | |
ohne Grundlage entschieden. Auch Lufthansa-Sprecher Klaus Walther | |
bezweifelte in einem ARD-Brennpunkt am 18. April, ob sich denn tatsächlich | |
eine Wolke über Kontinentaleuropa befinde. | |
Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) blaffte zurück. "Für mich als | |
deutschen Verkehrsminister ist gewiss nicht maßgeblich, was der Sprecher | |
eines deutschen Unternehmens sagt", kanzelte er sein Gegenüber ab. "Ich | |
unterhalte mich normalerweise mit dem Chef." In Zeiten sorgsam abgewogener | |
Statements war es eine Sternstunde des Fernsehens. Vor allem aber war es | |
eine ungewohnte Konfrontation für eine Branche, die parteiübergreifend enge | |
Kontakte zum Establishment pflegt. | |
Zwischen 1998 und 2009 verschliss die SPD fünf Minister im Verkehrsressort: | |
Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe, Wolfgang | |
Tiefensee. Matthias von Randow blieb. Der heute 51-jährige Sozialdemokrat | |
diente fast ein Jahrzehnt lang an führender Stelle im Ministerium. Erst als | |
Chef des Leitungsstabs, dann der Grundsatzabteilung, dann als | |
Staatssekretär. Ende 2008 ließ ihn Wolfgang Tiefensee in der Affäre um | |
überhöhte Bonuszahlungen für Bahnmanager fallen. Schon nach wenigen Wochen | |
hatte er einen neuen Job - als Direktor für internationale Verkehrsrechte | |
bei Air Berlin und "Bevollmächtigter des Vorstandes für Politik". | |
Pikant ist auch der Fall des CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Brähmig: Der | |
Vorsitzende des Tourismusausschusses beschäftigte in der vergangenen | |
Wahlperiode einen Mitarbeiter, der gleichzeitig Pressesprecher der | |
Arbeitsgemeinschaft deutscher Verkehrsflughäfen war. Als | |
[1][süddeutsche.de] dies öffentlich machte, erklärte Brähmig, er finde den | |
Zweitjob "überhaupt nicht problematisch". | |
Auch finden viele Fachpolitiker nichts dabei, wenn die Branche alljährlich | |
Bundestagsabgeordnete zum Expertenseminar nach Mallorca lädt. Offiziell | |
geht es um Sachthemen. Doch Gratisflug und Hotel sind inklusive, Nähe | |
zwischen Politikern und Lobbyisten sowieso. | |
Schon von Berufs wegen haben viele Politiker großes Verständnis für die | |
Branche. Sie zählen selbst zu den Vielfliegern. In der Affäre um privat | |
genutzte Bonusmeilen musste 2002 der heutige Grünen-Chef Cem Özdemir vom | |
Amt des innenpolitischen Sprechers der Fraktion zurücktreten, PDS-Mann | |
Gregor Gysi nutzte die Affäre für den Absprung vom Amt eines Berliner | |
Wirtschaftssenators. Die meisten Abgeordneten flogen mit dem Branchenführer | |
Lufthansa. Das hat sich geändert, seit der Konkurrent Air Berlin gewachsen | |
ist. Er machte sich bei Politikern beliebt, weil er von Berlin aus auch | |
Direktverbindungen in kleinere Landeshauptstädte anbietet, wie etwa | |
Saarbrücken. | |
Betteln um Verbindungen | |
Es gibt kaum ein Bundesland, das nicht mit hoch subventionierten | |
Regionalflughäfen Airlines anlocken will. Über den Straßenbau oder das | |
Angebot der bundeseigenen Bahn entscheidet der Staat direkt oder indirekt | |
selbst, um Flugverbindungen muss er betteln. Es gibt kaum eine andere | |
privat organisierte Branche, der so ein hoher Stellenwert bei der | |
Regionalentwicklung zugemessen wird. | |
Und es gibt kaum eine Branche, die der Öffentlichkeit eine so hohe | |
Aufmerksamkeit zukommen lässt: Air Berlin gewährt seit Jahren Journalisten | |
einen Rabatt von fünfzig Prozent auf private Flüge. Zum dreißigjährigen | |
Firmenjubiläum kam Ende April auch die Kanzlerin. Neue Belastungen für die | |
Branche werde es allenfalls weltweit geben, versprach sie. "Wenn | |
Emissionshandel, dann für alle Fluggesellschaften, nicht nur für die | |
innereuropäischen", sagte Merkel. | |
Im Gegensatz zu anderen Branchen zahlen Fluggesellschaften keine Steuern | |
auf den Treibstoff, sie müssen keine Zertifikate für ihre Emissionen | |
kaufen, die Landegebühren auf kleineren Flughäfen werden oft von den | |
Landesregierungen subventioniert, zudem entfällt für internationale Flüge | |
die Mehrwertsteuer. Wenn die Branche ab 2012 in den EU-weiten | |
Emissionshandel einbezogen wird, erhalten Airlines 85 Prozent der | |
Verschmutzungsrechte gratis. Kein anderes Verkehrsmittel genießt so viele | |
Privilegien, weder die Bahn noch das Auto. | |
Seit vielen Jahren wird daher in Deutschland über Änderungen diskutiert, | |
seit vielen Jahren gelang es den Airlines, Abgaben abzuwenden. Dabei | |
beschloss bereits 1997 der Bundestag mit parteiübergreifender Mehrheit, die | |
Kohl-Regierung möge sich international für eine Besteuerung von Kerosin | |
einsetzen. Geschehen ist seither nichts - nicht in sieben Jahren Rot-Grün, | |
nicht in vier Jahren der großen Koalition, nicht in den ersten Monaten von | |
Schwarz-Gelb. Noch 2008 stellt Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) in | |
seinem Masterplan Güterverkehr und Logistik klar, dass eine Besteuerung des | |
Flugverkehrs "grundsätzlich nur weltweit zu realisieren" sei. | |
Andere gingen voran. Frankreich und Großbritannien führten die Steuer ein. | |
Die Niederlande zogen nach, machten nach Ausbruch der Finanzkrise jedoch | |
einen Rückzieher. Die Erlöse sollten jeweils in die Entwicklungshilfe | |
fließen, um das international vereinbarte Ziel zu erreichen, 0,7 Prozent | |
des Sozialprodukts für diesen Zweck aufzuwenden. | |
Das war auch in Deutschland die Vorgabe bei den Befürwortern der Abgabe. | |
Jetzt ist davon keine Rede mehr. Dass die Steuer nun kommt, ist jedoch | |
allein dem Finanzbedarf der Regierung zuzuschreiben. Hinzu kamen der Streit | |
über die Vulkanasche und die Lähmung des Bundesverbands der deutschen | |
Fluggesellschaften. Nach den Fusionen in der Branche gehören ihm nur noch | |
noch zwei relevante Firmen an, mit gegensätzlichen Geschäftsmodellen: die | |
Lufthansa, die an ihren Drehkreuzen Frankfurt und München ihr Geld mit | |
Umsteigeflügen macht, und Air Berlin, die auf möglichst viele Direktflüge | |
setzt. | |
So ficht jeder für sich. Air Berlin wünscht, die Steuer bei jedem Umstieg | |
von neuem zu erheben. Die 1 Milliarde Euro, die Finanzminister Wolfgang | |
Schäuble (CDU) zur Etatsanierung wünscht, wäre dann durch eine größere Zahl | |
von Starts zu dividieren. Air Berlin käme wegen der vielen Direktflüge | |
billiger davon, viele Lufthansa-Umsteiger müssten hingegen den doppelten | |
Tarif entrichten. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ist dafür, er | |
will die kleinen Landeplätze in den Bundesländern schützen. Die Lufthansa | |
wiederum kann sich auf Verkehrsminister Ramsauer verlassen, schließlich | |
betreibt sie in dessen bayerischer Heimat eines ihrer beiden Drehkreuze. | |
Der Airport Köln/Bonn, eine Hochburg der Billigflieger, drohte schon mit | |
dem Verlust von bis zu 1.700 Arbeitsplätzen. | |
Sorge um Kassel-Calden | |
Auf einer Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion durften Branchenvertreter | |
vorige Woche ihre Bedenken gegen Schäubles Gesetzentwurf vortragen. "Nach | |
der Expertenanhörung steht fest, dass die nationale Steuer den | |
Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig schädigen und Arbeitsplätze | |
kosten wird", erklärte die SPD-Verkehrsexpertin Ulrike Gottschalck | |
anschließend. Die Hessin sitzt im Beirat des Regionalflughafens | |
Kassel-Calden, der 2013 endlich den Linienverkehr aufnehmen will. Das | |
könnte mit der geplanten Abgabe schwierig werden. | |
Um die Ticketabgabe zumindest noch abzumildern, bringt sich die Lobby vor | |
der anstehenden Bundestagsentscheidung wieder in Stellung. Die Beamten aus | |
Brüderles Ministerium warnen schon vor "Einnahmeminderungen und | |
Wertschöpfungseinbußen". Bei allem Ärger wegen der Vulkanasche betont | |
selbst Ramsauer: "Die Abgabe kann übrigens nur so lange gelten, bis die | |
Branche 2012 in den europäischen Emissionshandel einbezogen wird." | |
Schäuble sieht das anders. Er hat Einnahmen von 1 Milliarde Euro jährlich | |
in die Haushaltsplanung eingestellt - für 2012 und darüber hinaus. | |
23 Jul 2010 | |
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## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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