# taz.de -- 40 Tage ohne Email und Handy: "Pornos werden unwichtig" | |
> Christoph Koch hat vierzig Tage lang auf Internet und Mobil-telefon | |
> verzichtet – und darunter schwer gelitten. In der taz spricht der | |
> Gezeichnete über sein Trauma. | |
Bild: Gelbe Rettungsinsel in der Offline-Welt: Christoph Koch in der Telefonzel… | |
taz: Herr Koch, wie kann ein Mensch so etwas überhaupt aushalten? | |
Christoph Koch: Am Anfang war ich tatsächlich ein wenig verzweifelt, weil | |
an jeder Ecke eine Sache gelauert hat, die ich im Internet innerhalb von | |
zwei Sekunden hätte klären können. Vieles wurde umständlicher. Und dann | |
hatte ich anfangs auch ein schlimmes Gefühl der sozialen Vereinsamung, die | |
ich so nicht erwartet hätte. Ich hatte den Eindruck, abgeschottet zu sein, | |
sei es von den Freunden in der Ferne, mit denen ich über Facebook Kontakt | |
halte. Oder auch von Leuten, die eigentlich nur zwei Straßenecken weiter | |
wohnen. Bei einer Geburtstagspartyeinladung ruft dich heute niemand mehr an | |
und sagt, komm am Samstag vorbei, sondern es gibt eine Rundmail oder eine | |
Facebookeinladung. Und dann sitzt man als Offline-Eremit plötzlich da und | |
denkt sich: Jetzt muss ich mich wohl wieder selbst bemühen und die Leute | |
anrufen und mich zum Mittagessen verabreden und die Leute fragen, wie es | |
ihnen geht, weil ich es nicht mehr in ihrem Twitterfeed lesen kann. | |
Der erste Teil Ihres Offline-Tagebuchs liest sich wie eine Lobeshymne auf | |
das Internet - weil es Ihnen so sehr gefehlt hat? | |
Grundsätzlich bin ich vor, während und nach dem Selbstversuch immer sehr | |
für das Internet in all seinen Ausprägungen gewesen. Ich bin kein | |
Skeptiker, der sagt, oh Gott, Facebook zerstört unsere Freundschaften und | |
Google unsere Privatsphäre. Daher habe ich zunächst das Positive sehr | |
vermisst. | |
Später ging es dann besser? | |
Als nach etwa ein bis zwei Wochen der erste Entzug vorbei war, habe ich | |
mich ganz gut damit arrangiert, nicht mehr vernetzt zu sein. Und ich habe | |
bemerkt, dass mir einiges gar nicht so sehr fehlt und vieles nur Gewohnheit | |
war. Zum Beispiel das ständige Surfen auf Newsseiten. Ich habe mir dann | |
gesagt: Okay, lese ich eben mal wieder eine Zeitung. | |
Wie hat sich Ihr Alltag verändert, als Sie begonnen haben, auf das Internet | |
verzichten? | |
Zunächst ging es mir wie einem Exraucher, der ja nicht nur das Rauchen | |
aufgibt, sondern auch alle Gewohnheiten, die mit dem Rauchen | |
zusammenhängen. Früher musste ich schon auf dem Weg ins Bad den Computer | |
anmachen, damit der hochfährt, während ich mir die Zähne putze und den | |
Kaffee aufsetze. Dann die ersten Klicks auf den Browser, das | |
E-Mail-Programm und Word. Während das alles startet, die Hose anziehen. Die | |
Tagesroutine begann mit dem Internet. Ohne dieses Ritual habe ich mich | |
gefragt: Was machst du jetzt mit deiner Zeit? Das hat sich aber als großer | |
Vorteil herausgestellt: Denn ich musste mich entscheiden, was ich heute | |
wirklich machen will - und nicht nur Kleinkram abarbeiten, die hundertste | |
Rücktrittsmeldung lesen und E-Mails beantworten. | |
Sie haben sich ohne Internet also selbstbestimmter gefühlt? | |
So habe ich das erlebt. Und wenn ich etwas aus dieser Zeit mitnehme, dann | |
ist es das: nicht gleich am Morgen die E-Mails nachsehen, sondern die | |
ersten paar Stunden des Tages mit der Arbeit verbringen, die man selbst für | |
wichtig hält. In den Mails lauert nur der Steuerberater und hat noch eine | |
Frage, und der bevorzugte Ebay-Verkäufer hat neue Dinge eingestellt. Und | |
ganz schnell verliert man sich in diesen kleinen Dingen. | |
Sie mussten sicher auch auf kulturellen Input verzichten: keine | |
Musikempfehlungen mehr von Facebookfreunden, keine Links auf interessante | |
Blogs und Artikel. | |
Da ist mir ein großer Strom verloren gegangen. Und ein sehr guter Filter: | |
Jemand sieht, hört oder liest etwas, die besten Sachen werden | |
weiterempfohlen und daraus destilliert sich dann etwas, das für mich | |
persönlich interessant oder hilfreich ist. Das hat gefehlt. Mir blieb als | |
Alternative, sieben Tageszeitungen zu kaufen und die alle selbst | |
durchlesen. Aber dadurch habe ich den spannenden Artikel verpasst, der in | |
der achten Zeitung gestanden hätte. Der Internettheoretiker Clay Shirky hat | |
den schönen Satz gesagt: "Es gibt keine Informationsflut, es gibt nur | |
schlechte Filter." | |
Zwei wesentliche Säulen des Internets kommen in Ihrem Buch nicht vor: | |
Pornografie und illegale Downloads. Beides hat Ihnen nicht gefehlt? Oder | |
hatten Sie damit sowieso nie zu tun? | |
Ich hatte damit in natürlich längst vergangenen Jugendjahren kurz Kontakt, | |
habe aber nie inhaliert. Im Ernst: Ich denke, dass Pornos und Filesharing | |
im Vergleich unwichtiger werden, je länger das Internet besteht. Das Netz | |
ist nicht mehr der große Sündenpfuhl, für den die Kritiker es immer noch | |
halten. Früher hieß es: Würde man alle Pornografie aus dem Internet | |
entfernen, bliebe nur eine einzige Seite übrig, auf der steht: "Bring back | |
the porn!" Dieses Klischee ist überholt, weil nicht mehr nur junge Männer | |
im Netz sind, wie das vielleicht in den Neunzigern der Fall war, sondern | |
alle: Junge, Alte, Familien, Väter, Mütter und Großeltern. Es hat sich in | |
ein Mainstreammedium verwandelt. | |
Sie sind von Beruf freier Journalist, also ständig auf Aufträge angewiesen. | |
Haben Sie in diesen vierzig Tagen offline Geld verloren, weil Sie nicht | |
erreichbar waren? | |
Ja, schon. Als ich mich nach dem Ende des Selbstversuchs wieder eingeloggt | |
habe, habe ich mehrere Mails gefunden von Redaktionen, die mir in dieser | |
Zeit Aufträge gegeben hätten. Es bekam zwar jeder, der mir gemailt hat, | |
eine automatische Antwort mit Festnetznummer und Postadresse. Aber darauf | |
haben die nicht reagiert. Wahrscheinlich hat die Redaktion gesagt: Der Koch | |
spinnt, rufen wir lieber den nächsten Autor an. Niemand hat den Umweg auf | |
sich genommen. Da waren insgesamt vier Aufträge einfach weg. Für | |
Freiberufler ist eine Netz- und Handy-Abstinenz langfristig nicht machbar - | |
aber für die meisten Festangestellten wiederum auch nicht, weil es der Chef | |
nicht erlauben würde. | |
Wie viel Zeit haben Sie verloren, weil Sie nur noch offline recherchieren | |
konnten? | |
Offline habe ich mich auf Relevantes beschränkt und mich nicht damit | |
verzettelt, stundenlang weiterzugoogeln, obwohl ich das für meine Arbeit | |
nicht brauchte. Aber insgesamt hat sich das ausgeglichen. Arbeit dehnt sich | |
sowieso immer so weit aus, bis sie die vorgegebene Zeit ausfüllt. Wenn man | |
fünf Stunden Zeit für eine Aufgabe hat, wird man immer diese fünf Stunden | |
brauchen, egal, welche technischen Hilfsmittel man hat. | |
War es am Ende schwer, wieder online zu gehen? | |
Ja. Ich wollte nicht, dass das am nächsten Tag wieder alles losgeht mit den | |
ständigen Mails, ich wollte nicht erfahren, was ich verpasst hatte. Darum | |
habe ich an den Monat noch mal zehn Tage drangehängt. | |
Hatten Sie Angst vor dem Internet? | |
Ein bisschen. Ich dachte mir, es wäre doch eigentlich viel entspannter, | |
noch weiter offline zu bleiben. Ich hatte den Entzug hinter mir gelassen, | |
hatte mich arrangiert. Mein erster Onlinetag war dann tatsächlich ein | |
unangenehmer. Kein "Endlich darf ich wieder" wie in "Endlich darf ich mich | |
wieder duschen". Als das Festnetz und das Handy das erste Mal wieder | |
gleichzeitig geklingelt haben, war ich plötzlich extrem gestresst, vor dem | |
Selbstversuch war das ganz normal gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass ich | |
kommunikativ weniger belastbar geworden war und erst wieder eine | |
Stressresistenz aufbauen musste. | |
Wie lange hat das gedauert? | |
Das ging schnell. Und leider waren auch die schlechten Angewohnheiten nach | |
zwei Wochen wieder da: telefonieren und nebenher heimlich eine E-Mail | |
schreiben. Ganz leise tippen, damit es der andere nicht hört. Viele gute | |
Vorsätze waren schnell dahin. | |
Nach vierzig Tagen ohne: Braucht man das Internet überhaupt? | |
Für mich ist der Beweis erbracht: Es geht - je nach Beruf besser oder | |
schlechter - auch ohne. Aber es macht unser Leben reicher, glücklicher, | |
sinnvoller und vielfältiger. Man braucht das Internet nicht. Doch man wäre | |
dumm, es nicht zu benutzen. | |
1 Jan 1970 | |
## AUTOREN | |
Stefan Kuzmany | |
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