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# taz.de -- Protestmarsch: Unter Schafen
> Deutschlands Wanderschäfer sind im Juni zu einer Wanderung quer durchs
> Land aufgebrochen. Klaus Seebürger ist einer von ihnen und hat mit einer
> kleinen Herde eine 300 Kilometer lange Etappe durch Niedersachsen
> übernommen.
Bild: Demonstration der Schafe: Klaus Seebürger und seine Herde haben eine Mis…
Es ist nach sechs Uhr und die Herde ist noch nicht unterwegs. Dabei haben
die 210 Schafe einen langen Tagesmarsch vor sich und steht die Sonne
erstmal hoch am Himmel, wird es den Tieren zu warm und sie wollen bloß noch
im Schatten stehen.
Schäfer Klaus Seebürger ist um fünf Uhr in der Früh aufgebrochen. Hinter
den Hügelketten des Weserberglands wird es langsam hell, noch wärmt die
Sonne nicht. Auch Seebürger muss erst warm werden. "Ist mir noch zu früh
zum Reden", sagt er und verschwindet zwischen den wartenden Schafen, die in
ihrem Reisepaddock aus Elektrozaun schon recht mobil aussehen. Aber bevor
es losgeht gibt es Wasser für die Schafe und Kaffee für die Menschen, denn
bis zur Mittagspause um zwölf Uhr wird es nur eine kurze Rast geben - wenn
auch eine unfreiwillige.
Klaus Seebürger und seine Schafe haben eine Mission. Sie protestieren. Als
eine von 30 Herden sind sie beim Hirtenzug 2010 dabei, der im Juni in
Berlin zu einem 1.200 Kilometer langen Protestmarsch aufgebrochen ist.
Seebürger und Schafe wandern eine 300 Kilometer lange Etappe von Lüneburg
bis Blomberg, wo er am heutigen Samstag den Wanderstab weitergeben wird.
Es ist fast halb sieben Uhr als sich die Herde leise trappelnd in Bewegung
setzt. Ein bunter Haufen zieht da hinter dem gemächlich wandernden
51-Jährigen her. "Ich habe die Herde extra für den Hirtenzug
zusammengestellt", sagt er: zwei Ziegen, zwei Esel, weiße Bergschafe, graue
und weiße Heidschnucken, Fuchsschafe mit braunen Köpfen, Schwarzköpfe,
ungarische Zackelschafe mit korkenzieherförmigen spitzen Hörnern und
Skudden, die auch ausgewachsen eher an Lämmer erinnern. Die meisten dieser
Tiere stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen. Seebürger
hat die heutige Route im Kopf. Am Vortag ist er die Strecke mit dem Rad
abgefahren. "Aber man weiß nie, wie schnell die Tiere unterwegs sind", sagt
er. Acht bis 15 Kilometer schafft so eine Schafherde am Tag. Heute werden
es etwa zehn Kilometer sein.
Vor 33 Jahren hat Seebürger, der mit seinem ältesten Sohn auf einem Hof im
niedersächsischen Amt Neuhaus 25 Mitarbeiter beschäftigt, in Hamburg seine
Ausbildung zum Schäfer begonnen. Damals hatte er eine romantische
Vorstellung vom Schäferleben. Irgendwie HuckleberryFinn-mäßig mit in die
Stirn gezogenem Hut und Grashalm zwischen den Lippen an einem sonnigen Tag
an einem rauen Baumstamm lehnen und den Schafen beim Fressen zusehen. Einen
Hut hat Seebürger, manchmal lehne er auch an einem Baumstamm. "Aber
romantisch ist das Schäferleben nicht", sagt er. "Heute sitze ich mehr im
Büro, als draußen bei den Schafen zu sein." Schuld daran ist zum Beispiel
die im Januar 2010 neu eingeführte Kennzeichnungs- und
Registrierungsregelung. Mussten die Schafe früher beim Besitzerwechsel mit
einer Marke gekennzeichnet werden, muss heute jedes Schaf zusätzlich eine
Ohrmarke mit individueller Nummer und einen Chip bekommen. "Dieses
Verfahren ist kompliziert, kaum umsetzbar und kostet mich das Fünffache",
sagt Seebürger. Ein Problem sei auch, dass die EU die Mutterschafprämie
zugunsten der Flächenprämie abschaffte. 25 bis 28 Euro gab es früher pro
Mutterschaf und "da wusste ich genau, wie viele Schafe ich halten musste,
um auszukommen". Jetzt gebe es eine Flächenprämie, doch das sei kein
Ausgleich, weil die Flächen immer teurer und zugleich rarer würden. "Ich
habe Glück, weil mir Land gehört und ich die Flächenprämie bekomme", sagt
Seebürger. Aber die meisten seiner Kollegen haben kein Land.
Nach einer Weile biegt die Herde vom Feldweg auf eine Landstraße ab.
"Straßensperren gab es früher kostenlos. Heute nimmt die Polizei pro
Einsatz 60 Euro", erzählt Seebürger als er seine Schafe auf die Straße
führt. "Das ist vor allem für den ein Problem, der zwischen zwei Weiden
eine Bundesstraße überqueren muss, die kann man nicht ohne Polizeisperre
passieren." Die Landstraße schon. Seebürger grüßt die wartenden Autofahrer
verbindlich und verteilt Flyer, die über den Protestzug informieren. Einige
Autofahrer lächeln, grüßen und nicken verständnisvoll, andere kurbeln nicht
einmal die Scheibe runter und sehen mürrisch aus ob der erzwungenen Pause.
Kurz bevor die Herde wieder auf einen Waldweg einbiegt, treibt Seebürger
die Tiere auf einer Verkehrsinsel zusammen. Das macht ihm sichtlich Freude,
denn eine normal große Herde mit bis zu 1.000 Tieren passt auf keine
Verkehrsinsel. Die 200 Protestschafe schon und sie nutzen die Pause und
fangen sofort an zu fressen.
Seebürger geht es bei dem Protestzug vor allem darum, dass die mobile
Tierhaltung weiter möglich und erlaubt sein soll. Oft gebe es Ärger mit
Landwirten, die nicht wollen, dass die Schafe an ihren Monokulturen
vorbeigrasen, geschweige denn drüber laufen. Schafe tragen in ihrem Fell
fremde Samen, die sie dann auf den Feldern verteilen. Was für die Bauern
ein Problem ist, freut Leonie Schäfer. Die 23-Jährige hat gerade ihren
Bachelor in Biologie gemacht und vertreibt sich die Zeit bis zum Beginn des
Masterprogramms mit Feldstudien beim Hirtenzug. Das Fell zweier Fuchsschafe
ist blau markiert, so erkennt Schäfer ihre Samenschafe. "Das da ist die
Resi", sagt sie. "Die ist sehr anhänglich und schmusig." Und das andere
markierte? "Naja, das ist eben nicht die Resi." Jeden Abend klaubt sie
Samen aus dem klebrigen Fell der Schafe und nimmt Kotproben. Mit den
gesammelten Daten kann untersucht werden, wie weit Schafe auf ihren
Wanderungen Samen verteilen und so helfen, die Vielfalt der Pflanzenarten
zu erhalten.
Auch die Berufsschäfer in der Vereinigung Deutscher Landschafzuchtverbände
(VDL) wollen mit dem Hirtenzug darauf aufmerksam machen, dass die
herumziehenden Schafe die Artenvielfalt fördern. Auf Deichen und im
Deichvorland sind sie zudem eine unerlässliche Maßnahme des Küstenschutzes.
Trotzdem haben die etwa 500 Berufsschäfer in Deutschland damit zu kämpfen,
dass für sie nur wenig ertragreiche Weideflächen übrig bleiben. Außerdem
sorge die Konkurrenz aus Übersee dafür, dass immer mehr Wanderschäfer
aufgeben müssten. Nur 40 Prozent des Bedarfs an Lammfleisch werden von den
deutschen Schäfern erzeugt. Von Nachwuchssorgen ganz zu schweigen. Denn wer
wolle schon in einem Beruf arbeiten, der weltweit in der Landwirtschaft die
längsten Arbeitszeiten bei zugleich niedrigstem Einkommen hat. "Als ich ich
vor mehr als 30 Jahren anfing, habe ich für ein Lamm 250 Mark bekommen",
sagt Seebürger. "Heute bekomme ich 40 bis 50 Euro."
Beinahe fünf Stunden sind Seebürger und die Schafe schon unterwegs. Die
Tiere kommen auf dem schattigen Waldweg gut voran und auch der kieselige
Untergrund macht den empfindlichen Hufen weniger zu schaffen, als er
angenommen hatte. Nur ein Schaf musste Seebürger aus der Herde nehmen und
auf den Hänger verfrachten, der die lahmen Tiere zur nächsten Etappe fährt.
Irgendwas muss aber doch noch schief gehen, das sei immer so. Dieses Mal
sorgen die Esel Burkhardt und Kassandra für eine unfreiwillige Pause und
entscheiden sich, einen anderen Weg als die Herde einzuschlagen. "Nicht
laufen, nur rufen! Wenn du läufst, dann hauen die ab", ruft Seebürger einem
Helfer am Ende der Herde noch zu, aber zu spät. Die Esel sind schon ab
durch die Mitte, die Schafe legen sich sofort mitten auf den Weg und käuen
in aller Ruhe wieder. Es wird eine halbe Stunde dauern, die Esel
zurückzubringen und als die Herde weiterzieht, zeigt Seebürger auf die
Stelle, wo eben noch seine 200 Tiere ruhten. Wer auf eine rastende Herde
trifft, der sollte seine Schritte mit Bedacht wählen, um nicht in Schafkot
zu treten. "Hier im Wald macht das natürlich nichts, aber wenn ich mit
meiner Herde durch ein Dorf ziehe, haben die Leute da kein Verständnis
für", sagt Seebürger. "Ich muss dann schon mal mit dem Besen hinterher."
Viel Arbeit, schlechte Bezahlung, wenig Anerkennung und doch strahlt
Seebürger mit seinem gestutzten grauen Vollbart und breiten Lächeln eine
Ruhe aus, als würde er tatsächlich den ganzen Tag an einem Baum lehnen
statt beim Veterinäramt neue Wanderrouten anzumelden, den Förster um
Erlaubnis zum Passieren des Waldes zu bitten oder sein beinahe minütlich
klingelndes Handy zu beantworten. Wenn er unterwegs ist und seine Herde
hinter sich hört, dann weiß er, wieso er niemals etwas anderes sein will
als Schäfer. "Ich komme zur Ruhe und wenn wie vorhin die Esel abhauen, habe
ich keine Zeit, darüber nachzugrübeln, was ich mit meinem Leben anfangen
will, oder ob ich Probleme habe. Dann fange ich Esel. Mehr nicht. Und das
gefällt mir."
Am Samstag wird Seebürger den Stab in Blomberg an Schäfermeister Anton
Hesse übergeben. Er fährt dann mit seinen Schafen heim nach Amt Neuhaus,
der Hirtenzug zieht weiter. Am 17. Oktober endet der Protestmarsch in
Trier.
23 Jul 2010
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## TAGS
Schäfer
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