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# taz.de -- Debatte Unser Israel (9): Wir Israelversteher
> Israels rechte Regierung instrumentalisiert den Holocaust für ihre
> Politik. Gerade viele Deutsche zeigen sich für diese Propaganda sehr
> empfänglich.
Bild: Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Israel.
Glaubt man Benjamin Netanjahu, dann ist es fünf vor zwölf für Israel. In
einer Rede zum Holocaust-Gedenktag, die er im April in der Gedenkstätte Jad
Vaschem hielt, verglich Israels Regierungschef das Atomprogramm des Irans
mit dem Aufstieg Nazi-Deutschlands und warf der Welt vor, im "Angesicht des
Bösen" wieder einmal tatenlos zu bleiben. Solche Töne sind nicht neu. Schon
bevor Netanjahu zum zweiten Mal zum Premier gewählt wurde, unterstellte er
Irans Präsident Ahmadinedschad, einen zweiten Holocaust zu planen, und
warnte schrill, die Lage sei heute wie "1938".
Das ist natürlich Propaganda, die einem klaren politischen Zweck dient.
Denn mit diesem Alarmismus, der einen Ausnahmezustand suggeriert, lässt
sich noch jede israelische Aggression - bis hin zu einem Angriff auf den
Iran - als Akt der Notwehr verkaufen. Leider verfängt diese Demagogie
erstaunlich gut. Nicht nur bei Juden in Israel und anderswo, bei denen
Ahmadinedschads antiisraelische Tiraden an alte Wunden rühren und
Vernichtungsängste wecken. Sondern auch in Deutschland, wo es vielen
schwerfällt, Israelis anders als in jener Opferrolle der Juden
wahrzunehmen, die man aus dem Geschichstunterricht kennt.
Kurzschlüsse mit Tradition
Dabei haben historische Kurzschlüsse im Nahen Osten eine lange Tradition.
Der Historiker Tom Segev hat in seinem Buch "1967" über den Sechstagekrieg
herausgearbeitet, wie der Angriff auf Ägypten von einer weit verbreiteten
Furcht vor einer möglichen Wiederholung des Holocausts getragen wurde.
Später verglich Israels Premier Menachem Begin den in Beirut eingekesselten
PLO-Chef Jassir Arafat mit Adolf Hitler im Führerbunker.
Doch keine israelische Regierung missbraucht den Holocaust so sehr wie die
gegenwärtige, um damit ihre Politik zu rechtfertigen. Netanjahu hat ein
Faible für Nazi-Vergleiche: Vor der UN-Vollversammlung verstieg er sich
dazu, den Gazakrieg mit dem Kampf der Alliierten gegen die Nazis zu
vergleichen. Und den früheren deutschen Außenminister Steinmeier belehrte
er, das Westjordanland dürfe durch den Abzug der israelischen Siedler nicht
"judenrein" werden.
Bei all jenen Israelis und Juden, die sich bis heute als unverstandene
Opfer der Geschichte fühlen, fällt solche Brachialrhetorik auf fruchtbaren
Boden. Die Selbstviktimisierung hilft ihnen, Israels Besatzungspolitik und
seine Kriege zu relativieren. In seiner selbstgerechten Mischung aus
Nationalismus ("Israel ist so toll"), Zynismus ("Den Palästinensern bei uns
geht es gut!") und Larmoyanz ("Die bösen Medien sind so unfair") hat Chaim
Noll in seinem Debattenbeitrag (taz, 19. 7.) ein eindrucksvolles Beispiel
für diese Geisteshaltung gegeben. Wenn man die Welt so einäugig betrachtet,
wiegt ein falsch beschnittenes Agenturfoto weit schwerer als neun Tote es
tun, die von israelischen Soldaten auf einem Hilfsschiff für Gaza
erschossen wurden.
Antifaschismus auf Abwegen
In einem Punkt aber irrt Noll ganz besonders. Denn in wenigen Ländern kann
Israels Politik mit so viel Verständnis rechnen wie hierzulande. Das gilt
nicht nur mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Zeitungen
aus dem Axel-Springer-Verlag, deren Vorstandschef Mathias Döpfner einmal
voller Ernst von sich sagte, er sei "ein nichtjüdischer Zionist". Das
trifft auch auf vermeintlich "linke" Blätter wie Konkret oder Jungle World
zu, die Israel bevorzugt als Opfer ausländischer Mächte zeichnen und sogar
seine rechte bis rechtsextreme Regierung mit Inbrunst verteidigen.
Verblüffen kann das nur, wer von Linken per se eine Verpflichtung auf die
Menschenrechte erwartet. Doch das wäre falsch. Manche Linke sahen einst die
Sowjetunion als "gelobtes Land" an und denunzierten jede Kritik am
Kommunismus als "unsolidarisch" - jetzt halten es manche mit Israel so. Der
Schulterschluss mit Israel hat zudem eine psychologische
Entlastungsfunktion: Manche glauben, damit jenen antifaschistischen
Widerstand nachzuholen, den die eigenen Eltern und Großeltern leider
versäumten. Sehr empfänglich sind sie daher für Netanjahus Propaganda, die
suggeriert, die Palästinenser oder der Iran seien "die Nazis von heute".
Solche Gleichsetzungen relativieren den Holocaust, der ein einzigartiges
Verbrechen war, das bekanntlich von Deutschen begangen wurde. Muss man
betonen, dass sich die politische Lage im heutigen Nahen Osten nicht
annähernd mit der Verfolgung der europäischen Juden während des Zweiten
Weltkriegs vergleichen lässt? Israel ist immerhin die stärkste Militärmacht
der Region und für den Iran und andere Nachbarn eine weit größere Bedrohung
als umgekehrt.
Schattenseiten der Solidarität
Harmlos ist die deutsche Begeisterung für Israel, solange sie sich in
naiver Schwärmerei für Land und Leute erschöpft. Schwieriger wird es, wenn
sie mit antidemokratischen Haltungen einhergeht, die in Israel weit
verbreitet sind - zum Beispiel rassistische Vorurteile gegenüber Arabern
und anderen Muslimen. Es ist ja kein Zufall, dass unter den größten
Israelfans auch die schärfsten Islamgegner zu finden sind - und umgekehrt.
Ob Henryk M. Broder, Ralph Giordano, der holländische Rechtspopulist Geert
Wilders oder Internet-Hetzblogs wie Politically Incorrect - sie alle
preisen Israel als Vorbild und plädieren dafür, Muslime in Europa zu
diskriminieren.
Der Ruf nach unbedingter "Solidarität mit Israel", der aus solchen Ecken
ertönt, lenkt von anderen, wichtigeren Fragen ab: Kann ein Demokrat
gezielte Tötungen von "Terroristen" (wer immer diese als solche definiert)
als Mittel der Politik gutheißen? Kann er die Besatzung und den
Siedlungsbau im Westjordanland, Blockade und Bombardierung des
Gazastreifens unterstützen? Oder zumindest begrüßen, dass die deutsche
Kanzlerin dazu kaum Kritik äußert aufgrund unserer "Verantwortung für den
Holocaust"?
Gehört es also zu den Lehren aus der deutschen Geschichte, eine rechte
Regierung zu unterstützen, die Friedensgespräche ablehnt und von einem
Israel bis zum Jordan träumt? Es ist ja kein Geheimnis, dass deren
Positionen kaum mit den Werten westlicher Demokratien zu vereinbaren sind.
Mit Israel mag uns viel verbinden. Ein Grund, begeistert seine Flagge zu
schwenken, wie manche Israelfreunde das tun, ist es nicht.
***
Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": [1][In
Reichweite der Raketen] von Chaim Noll, [2][Kritik ist nicht gleich Kritik]
von Armin Pfahl-Traughber, [3][Gottes verheißenes Land] von Georg
Baltissen, [4][Das Gespenst des Zionismus] von Klaus Hillenbrand, [5][Eine
komplizierte Geschichte] von Micha Brumlik, [6][Keine innere Angelegenheit]
von Tsafrir Chohen, [7][Deutsche nach Gaza?] von Muriel Asseburg und
[8][Feiger Hass] von Stephan Kramer.
27 Jul 2010
## LINKS
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[7] /1/debatte/kommentar/artikel/1/deutsche-nach-gaza/
[8] /1/debatte/kommentar/artikel/1/feiger-hass/
## AUTOREN
Daniel Bax
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