# taz.de -- Die Wahrheit: Schminktipps für Gene | |
> Neues aus der Hauptstadt der Genetik. Berlin war schon immer führend in | |
> der Genforschung. Ja, sogar einmal Weltspitze... | |
...in diesem Zweig der Biologie und Landwirtschaftsforschung, wenn auch | |
draußen in Buch, wo die Genetiker, darunter der bolschewistische | |
Wissenschaftler Nikolai Timofejew-Ressowski, zuletzt mit den Atomforschern | |
Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg zusammenarbeiteten ("1 | |
Atom - 1 Gen"). Sie waren dort alle auf "KW"-Stellen - was heute "Kann weg" | |
heißt, bedeutete damals jedoch noch: "kriegswichtig". | |
Anders als in Wien, wo die Kronen-Zeitung eine Kampagne namens "Gegen-Gen" | |
startete und die Gentechnik für grundsätzlich böse erklärte, sind es hier | |
vor allem Bild, FAZ, Spiegel und Focus, die mit immer wieder neuen | |
genetischen Entdeckungen überraschen. Die dazugehörige leise | |
Grundlagenforschung geschieht jedoch nach wie vor zum Beispiel in Dahlem, | |
dem zweiten Standort der Berliner Molekularbiologie. Ihnen verdankt die | |
Welt nicht nur für kurze Zeit eine dreiäugige Drosophila, sondern auch das | |
"Eifersuchts-", das "Bulimie-" und das "Mobbing-Gen". Außerdem das | |
"Fern-Gen-Screening", um dezidiert Ratschläge zur gesunden Lebensführung | |
und Morgengymnastik inklusive Schminktipps zu erteilen. Das | |
berühmt-berüchtigte "Hitler-Gen" (Augstein/Fest/Baring) wurde zwar nicht | |
direkt in Berlin erfunden, aber hier genau gelangte es zur höchsten Blüte. | |
Während die Genetiker der Sowjetunion lange Zeit von der proletarischen | |
Wissenschaft derart drangsaliert wurden, dass man dort seitdem geradezu von | |
einem "GULAG-Gen" spricht, natürlich nur im Scherz. | |
In Italien bemühen die Genetiker gerade allen Ernstes ihr "Galilei-Gen" - | |
und das nur, weil sie sich von Greenpeace Schweiz, feministischen | |
Genkritikerinnen und gewissenlosen Grünen geradezu umzingelt fühlen. Aus | |
der Berliner taz-Zentrale stammt für diese und ähnliche | |
Vererbungs-Irrlehren das alternative Machwort "Gähntechnik" und außerdem | |
"GenHackmann" - das letzte ist ein beliebter Druckfehler in der taz. | |
Ich habe einst noch im Genetikinstitut der FU ganz handfest - mit Pinzette | |
und Mikroskop - die unfruchtbaren Drosophila-Männchen aus der Petrischale | |
geklaubt und anschließend mit Äther umgebracht. Das war Beihilfe zur | |
Biologie-Diplomarbeit meines Freundes Didi Lotze, der damals ganze | |
Fruchtfliegen-Populationen mit Röngenstrahlen bombardierte, um eine | |
Mutation zu erzeugen, die seinen eigenen Namen tragen sollte. So geschah es | |
dann auch, das heißt: nachdem die Röntgenstrahlendosis tschernobylartig | |
gesteigert worden war. Jeder von uns hätte da mutiert - sogar freiwillig! | |
Dummerweise taten das auch die flohähnlichen Parasiten der Lotzeschen | |
Drosophilakultur - derart, dass immer mehr bis zur Vermehrungsunfähigkeit | |
verkleisterte Männchen aussortiert werden mussten, und irgendwann waren es | |
einfach zu viel, die Kultur starb aus. Vielleicht hatte der | |
Versuchsassistent aber auch während der Semesterferien nur vergessen, | |
Nährlösung beizugeben. Zum Glück geschah dieser Gen-GAU erst nach Abschluss | |
des Diploms. | |
Inzwischen wurde hier sogar ein "Null-Gen", das man anfänglich noch | |
"Müll-Gen" nannte, gefunden. Aber wem heute das "Up-Gen" als Forscherglück | |
winkt, der kann schon morgen wieder ganz down sein. So ist die | |
seltsamerweise von der Bierbrauerei Schultheiss gesponsorte genetische | |
Früherkennung der Alkoholsucht geradezu eine Spezialität der Berliner | |
Quantengenetik, die jedoch beim Kokaingenuss völlig versagt hat. | |
Ausgerechnet von den Amerikanern musste sie sich sagen lassen, dass der DNS | |
ganze Kokain-Ketten aufsitzen können. | |
Dem Zentralforschungsinstitut der Uni-Kliniken gelang angeblich die | |
Isolierung des "Schizo-Gens". Tatsächlich handelt es sich dabei um eine | |
Entdeckung des Weddinger Zellularforschers Hans Warmer, der sie dann auch | |
patentieren ließ - nachdem er in die USA überwechselte und dort seinen | |
Namen änderte. Er heißt jetzt Jack Wilson. | |
Nach weiteren Misserfolgen müssen wir nicht lange suchen - vor allem im | |
präuniversitären Bereich sieht es mittlerweile finster aus: Wo am Moabiter | |
Landgericht in der jüngsten Vergangenheit noch hemmungslos die | |
frühkindliche Erziehung oder das schädliche Milieu, mithin die Umwelt von | |
nur allzu beredten Gutachtern, Experten und Tiefenpsychologen für alle | |
möglichen Missetaten verantwortlich gemacht wurde, da spricht man heute wie | |
selbstvergessen von fehlenden "Rechts-Genen". Neulich redete sich bereits | |
ein wiederholt wegen Ladendiebstahl Angeklagter gutachterlich gestützt auf | |
sein fehlendes "Eigentums-Gen" heraus. Mit Erfolg. Dafür schmiss ihn jedoch | |
seine Rechtsschutzversicherung raus: "aus beiderseitigem Interesse", wie | |
sie schrieb. | |
Man könnte es zugespitzt - für eine Stadt zumal, in der Die Linke jedes Mal | |
sattere Stimmzuwächse einfährt - auch so sagen: Alle Räder stehen still / | |
Wenn dein starkes Gen es will! | |
28 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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