# taz.de -- Bestandsaufnahme: Die Besten im Nordwesten | |
> 104 Arbeiten, verteilt auf fünf Standorte: "Leinen los!" ist die 85. | |
> Herbstausstellung des Kunstvereins Hannover überschrieben. Was sich nicht | |
> ohne weiteres als programmatisch schlüssig darstellt. Auch sonst fehlt es | |
> angesichts der schieren Anzahl des hier Gezeigten gelegentlich an der | |
> notwendigen Gewichtung. Zu entdecken aber gibt es dennoch vieles. | |
Bild: Gefühlsselige Sequenzen aus Heimatfilmen der 1950er Jahre montiert: Stan… | |
Genügend Zeit sollte man wohl mitbringen: An fünf Standorten präsentieren | |
sich Kunstschaffende aus Bremen und Niedersachsen, macht insgesamt 104 | |
Arbeiten quer durch alle Medien. Noch was für Zahlenfreunde: Der | |
Altersschnitt der Ausstellenden beträgt jugendliche 38 Jahre. | |
Alle zwei Jahre unternimmt der Kunstverein Hannover mit seiner | |
Herbstausstellung - der inzwischen 85. - eine solche Bestandsaufnahme der | |
nordwestdeutschen Kunstszene. Nicht zuletzt, um Kandidaten für seine Preise | |
und Stipendien aufzuspüren: Aus 331 Bewerbungen vornehmlich junger | |
Kreativer kristallisierte eine Jury 68 künstlerische Positionen heraus. | |
Weil einige der Beteiligten ihre Arbeiten auf je zwei Häuser aufteilen, | |
trifft man beim Rundgang immer wieder auf Bekanntes. Keine schlechte Idee. | |
Kunstverein Hannover | |
Hintersinnig beginnt es hier gleich über der Eingangstür zum ersten Saal: | |
ein weißer Leuchtkasten, im Innern bestückt mit einer umlaufenden Reihe | |
Taubenabwehrspikes. Daniel Wolff, Jahrgang 1980, will mit seinem Objekt | |
vermeintliche Notwendigkeiten bloßstellen und Gedanken ins Abseitige | |
eröffnen - der Titel: "Innere Beschissenheit". Hat derlei absurdes | |
Aufbegehren seinen Grund am Ende im administrativen Ordnungswahn der Stadt | |
Braunschweig, wo Wolff lebt und studiert? | |
Etwas weiter folgt Dieter Froelichs Inventar seiner Künstlerküche | |
"Restauration a.a.O." - Töpfe, akribisch dargebotene Suppenlöffel und | |
Eingemachtes. Der Titel scheint Programm: Wie ein barocker Wanderkoch | |
erweckt Froelich das Ganze zum Leben in zwei Gastmahlen archetypischer | |
Speisen aus "Gemengsel und Gehäcksel", sprich: Klopsen, Knödeln und | |
Pasteten. | |
Der groteske Höhepunkt im Kunstverein selbst ist wohl die | |
Dreikanal-Videoarbeit "Silberwald" vom diesjährigen Preisträger Christoph | |
Girardet, 1966 geboren und mittlerweile auf internationalen Filmfestivals | |
zu Hause: Gefühlsselige Sequenzen aus Heimatfilmen der 1950er Jahre hat | |
Girardet in ihren Handlungsstereotypen synchron nebeneinander geschnitten. | |
Da wird gleich dreifach gepirscht oder das Gewehr angelegt, und die | |
Liebsten sinken reihenweise in die Arme ihrer Jägersmänner. Die emotionale | |
Lenkung des Betrachters läuft jedoch - weil ja jegliches dramatisch | |
kongruente Geschehen fehlt - ins Leere: Die vertraute Möglichkeit zur | |
interpretierenden Arbeit wird brüsk verwehrt. | |
Dass in den Kunstvereinssälen zwischen knapp 30 raumgreifenden | |
Installationen und Objekten, großformatigen Bildern und vielen Videos die | |
Altmeister und Lehrer der selbstbewussten Jungen, Christiane Möbus und Timm | |
Ulrichs, geradezu untergehen, ist vielleicht auch deren künstlerischem | |
Verschleiß geschuldet - aber es betrübt dennoch. | |
Kubus und Lottostiftung | |
Die städtische Galerie Kubus und die anschließende Galerie vom Zufall und | |
vom Glück der landeseigenen Lottostiftung haben mit unschönen Räumen zu | |
kämpfen, Entdeckungen gibt es aber auch hier zu machen. Im Kubus ist es | |
beispielsweise das "Archiv" von Markus Zimmermann: Kleine Pappschachteln | |
können aus einem Regal genommen und als Guckkästen ins Licht gehalten | |
werden. Sie bergen mysteriöse winzige Raumsituationen, denen man sich als | |
nun einäugiger Betrachter sehr intensiv ausgesetzt fühlt. | |
Oder die Installation von Christine Schulz und Ingo Rabe. Mit | |
Overhead-Projektoren werden auf simple Pappkartons Bilder von Lichtreflexen | |
und Wasser oder Textstücke aus Dantes "Göttlicher Komödie" geworfen; Sie | |
überlagern sich zu einem begehbaren Raum von gespenstischer Anmutung. | |
Als einziger Autodidakt der Ausstellung ist hier auch der in Hannover | |
lebende Gambier Bye Mass Jobe zu finden, der ein spielzeughaftes Modell | |
seiner Heimatstadt Banjul gebaut hat: Wellpappe, silbern und rostbraun | |
bemalt, deckt die Dächer einfacher Hütten zwischen Kirchen, | |
Herrschaftshäusern und Palmen in einem unschuldigen Psychogramm zu | |
Kolonialismus und Unterdrückung, Migration und Heimweh. | |
Behnisch-Bau | |
Von dem Behnisch-Bau der Nord/LB ist man zwar allerlei architektonische | |
Kapriolen gewohnt, die Eingangssituation zur "art gallery" ist nun noch | |
zusätzlich verstellt mit einer leichten, semitransparent bespannten | |
Raumkonstruktion Klaus Kleines. Hat man sie durchschritten, verfängt sich | |
der Blick in der trompe loeil-Installation von Marina Schulze: Ein | |
perspektivischer Ausschnitt des Raumes ist hyperrealistisch auf eine den | |
Raum verstellende Wand gemalt, eine Fotoserie von Petra Kaltenmorgen und | |
weitere Exponate werden gleich mit erfasst. | |
Kunstverein Langenhagen | |
Der schmale lange Hauptraum - eine überformte Kegelbahn - wird ins | |
Unendliche verlängert durch eine Fotoarbeit, die eine Mehrfachspiegelung | |
des Raumes wiedergibt. Lotte Lindner und Till Steinbrenner hatten sich mit | |
diesem Projektvorschlag beworben, erzählt Ursula Schöndeling, die Leiterin | |
des erstmals an der Herbstausstellung beteiligten Vereins im Stadteil | |
Langenhagen. Auch ihr Büro nimmt eine Arbeit auf: eine Collage aus | |
abfotografierten Tapetenresten eines Abbruchhauses mit Stücken echter | |
Tapete von Patricia Lambertus. Schöndeling erweist sich als Kennerin der | |
regionalen Kunstvereins- und Hochschulszene - und die hat abseits dieses | |
Auftritts ganz bös um Wahrnehmung zu kämpfen. | |
29 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Bettina Brosowsky | |
## TAGS | |
Hannover | |
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