# taz.de -- Country-Sänger Gunter Gabriel: "Ich war immer ein mistiger Vater" | |
> Der Country-Songwriter Gunter Gabriel hat so seine Hochs und Tiefs hinter | |
> sich. Ein Montagsinterview über alte und neue Fehler, gesellschaftliche | |
> Konventionen und emotionale Defizite - und darüber, wie es ist, immer | |
> wieder weiterzumachen. | |
Bild: Füult sich "allen verbunden": Gunter Gabriel, wie er sich gerne dargeste… | |
taz: Herr Gabriel, Sie wohnen nun schon lange auf Ihrem Hausboot. Sind Sie | |
sesshaft geworden? | |
Gunter Gabriel: Ich finde dies nicht sesshaft, ich bin ja immer auf'm | |
Sprung. Meine letzte Position war auf einem Autoschrotthof in Hildesheim, | |
da hab' ich die Reste meiner verkorksten Vergangenheit erledigt. Ich hatte | |
plötzlich keine Schulden mehr, und dann ging's wieder los. Ich wollte | |
wieder ans Licht, wieder ins Theater, ins Kino, mal wieder in Supermarkt, | |
ohne dass ich aufs Geld gucken musste. Jetzt bin ich seit zwölf Jahren | |
hier. | |
Und warum ein Hausboot? | |
Ich habe gemerkt, ich komm' in einer Wohnung nicht mehr klar, so eine | |
Wohnung beängstigt mich. Und im Morgenmantel morgens einkaufen habe ich ein | |
paar Mal probiert, das kam in Hamburg-Pöseldorf nicht mehr so gut an. | |
Gehen Sie hier in Harburg jetzt wieder mit dem Morgenmantel einkaufen? | |
Ab und zu. Aber meine Chefin von der Plattenfirma Warner hat gesagt: "Das | |
lässt du schön sein." | |
Angst vor Rufschädigung? | |
Neulich war ein Paparazzo da, der hat mich beim Wäscheaufhängen | |
fotografiert, mit meiner alten Unterhose. Das war nicht so ganz | |
vorteilhaft. | |
Hängen hier bei Ihnen denn öfter Paparazzi in den Büschen? | |
Als ich neulich im Krankenhaus war, mir den Arm gebrochen hatte, da war so | |
einer und fotografierte mich mit Plauze und ohne Schlafanzug. Ich besitze | |
so etwas gar nicht. Zwei Stunden nach der Veröffentlichung ruft meine | |
Chefin an und sagt: "Noch einmal so ein Foto und ich zieh den Stecker | |
raus." Jetzt hab' ich zwei neue Schlafanzüge und einen Bademantel, aus | |
Seide. | |
Sie selbst stört das gar nicht? | |
Ich finde solche Aufnahmen immer wieder ganz witzig. Das ist mein Naturell, | |
immer so ein bisschen chaotisch. Ich kann mich schlecht in einen Anzug | |
zwängen. | |
Ist das Rebellion? | |
Nein, die Gesellschaft ist doch so bekloppt, dass sie meint, die Verpackung | |
muss immer stimmen. Wir leben in einem freien Staat, ich muss doch nicht | |
immer so angeglichen sein. Gut, wenn ich einem Mädchen einen Kuss gebe, | |
dann putz ich mir vorher die Zähne. Aber sonst, finde ich, sollten wir viel | |
freier sein in solchen Dingen. | |
Ihre letzte CD trägt den Titel "Ein Sohn aus dem Volk" - meinen Sie damit | |
sich selbst? | |
Ja, auch. Ich habe mich immer als Sohn des Volkes gefühlt. | |
Was bedeutet das? | |
Unter allen zu sein. Nicht separat. Ich lebe zwar ein bisschen separat hier | |
auf meinem Hausboot, ich fühl mich aber allen verbunden. Ob das in Bayern | |
ist, am Starnberger See, egal, auch an der Tankstelle oder so. Ich bin ein | |
Junge aus dem Volk, durch meinen Job als Schlosser und so. | |
Sie sind ja eigentlich ein Arbeiter. | |
Ich bin ein Arbeiterkind. Man kann ja wirklich sagen: vom Sohn des | |
Schrankenwärters zum Songwriter. Das ist doch schon mal eine geile | |
Karriere. | |
Eine Karriere, die aber auch mal ins Straucheln kam. | |
Als ich pleite war? | |
Ja. | |
Auch das war für mich im Grunde keine schwere Zeit. Es war etwas | |
komplizierter, weil kein Geld mehr da war. Da konnte ich nicht mehr so | |
leichtsinnig im Karstadt zu meiner Tochter sagen: "Ich setze mich so lange | |
in die Cafeteria, kauf was du willst." | |
War das schlimm für Ihre Kinder? | |
Die haben das nicht so richtig mitbekommen. Meine älteste Tochter hat das | |
gar nicht geglaubt. Und dann hat sie sich nicht weiter drum gekümmert, weil | |
man ja dann ein Aussätziger ist. | |
Waren Sie ein guter Vater? | |
Ich war immer ein mistiger Vater, weil ich ewig unterwegs war. Ich war nie | |
für die Kinder richtig da und ich habe ständig meine Ehefrauen betrogen. | |
Aber je älter ich werde, je besser wird mein Kontakt. | |
Wollen Sie als Vater etwas besser machen, als Ihr eigener Vater es gemacht | |
hat? | |
Ja, schon. Mein Vater hat mich so schlecht behandelt, dass ich ihn auf | |
einer Party kaputt geschlagen habe. | |
Was ist da vorgefallen? | |
Als ich 17 war, komme ich zu einer Party, da liest er der Partygesellschaft | |
aus meinem Tagebuch vor. Da hatte ich pubertäre Geschichten aufgeschrieben, | |
so mit Liebeskummer, was man schreibt als 17-Jähriger. Und da macht der | |
sich lustig über das, was mir wichtig war. Da bin ich ausgerastet. Mein | |
Vater war immer ein Grobian, ein Mensch, der nicht lieben konnte, und das, | |
das war für mich ein Schock, und da haben wir uns geschlagen. Seitdem haben | |
wir uns nie wieder gesehen. | |
Hätten Sie ihn gern nochmal getroffen? | |
Selbstverständlich, weil ich heute viel mehr begreife, dass er ein | |
liebloses Leben geführt hat. Was ihm da verloren gegangen ist, dass er | |
nicht in der Lage war zu sagen: "Ich liebe dich, mein Sohn." Für mich war | |
die Rettung meine Gitarre. Mein Vater war ein liebloser Mensch, meine | |
Mutter ist sehr früh gestorben, darunter hab ich mein Leben lang immer | |
hintergründig gelitten. Aber ich hab mich damit auseinandergesetzt, weil | |
ich ähnlich ausartete wie mein Vater, weil ich gewalttätig wurde, so wie | |
er. So wollte ich nicht sein. | |
Haben Sie ihm je verziehen? | |
Ja, aber er lebt ja nicht mehr. Ich gäbe was drum, wenn er noch leben | |
würde, ich gäbe auch was drum, wenn meine Mutter noch leben würde. Ich hab | |
immer diese Defizite gehabt, bis heute. | |
Wie gehen Sie um mit diesen Defiziten? | |
Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich Emotionen ein bisschen besser | |
kontrollieren kann. Gewalttätigkeit ist bei mir tabu, schon jahrelang, zehn | |
Jahre bestimmt. Ich hab mich in dieser Richtung unter Kontrolle. Ich raste | |
heute nicht mehr mit Fäusten aus, früher ja, und was das Emotionale angeht, | |
da bin ich immer noch auf dem Posten, immer noch auf der großen Suche nach | |
der großen allumfassenden Liebe. | |
In Ihrer Biografie steht, Sie hätten eine Bindungsstörung. Was hilft es | |
dann, wenn Sie die große Liebe finden? | |
Am Anfang hilft es immer. Ich hab leider nie das Glück gehabt, dass ich | |
eine richtige Parallelfigur zu mir gefunden habe. Ich hab ja auch immer | |
noch Liebschaften, auch im hohen Alter. Viele Mädchen fühlen sich zu mir | |
hingezogen, was ich ja sehr schön finde, aber die sehen in mir den Baum, | |
die Ruhe, die Ausgeglichenheit, was ich nicht immer erfüllen kann. Ich bin | |
unruhig, rastlos, ich bin untreu. In einer Beziehung ist aber wichtig, dass | |
man sich - in Anführungsstrichen -"befruchtet". | |
Das scheint ja nicht so gut geklappt zu haben: Sie sind vier Mal | |
geschieden. | |
Das liegt daran, dass ich nicht treu sein kann, im bürgerlichen Sinne. Aber | |
ich bin ja auch vielen Frauen, mit denen ich früher zusammen war, noch | |
verbunden. Ich rufe da an, ich pflege den Kontakt. Ich bin aber heute auch | |
kein Wilder mehr, der jedem Rock hinterherrennt. Das ist vorbei. Ich kann | |
jetzt nicht mehr in einer Nacht vier bis fünf Mädchen begatten, ist doch | |
lächerlich, darüber bin ich hinaus. | |
Schreiben Sie eigentlich immer noch Tagebuch? | |
Ja, hier in mein Tagebuch habe ich zum Beispiel den Brief eingeklebt, wegen | |
dem ich heute mit meiner Freundin zusammen bin. Die hat geschrieben | |
blablabla, ich würde mich freuen, wenn wir uns mal sehen könnten, du | |
verrückter Sack. Verrückter Sack, habe ich gedacht, das ist ja interessant. | |
Und dann hab ich sofort geantwortet. Was bist du denn für eine Geile, | |
nennst mich verrückter Sack? Das war vor zwei Jahren. | |
Was passiert mit den Tagebüchern, wenn sie mal sterben? | |
Ich habe gehört, dass Martin Walser seine Tagebücher veröffentlicht hat. | |
Vielleicht sollte ich auch? Nein, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. | |
Eigentlich ist mir das egal. | |
Aber über den Tod haben sie schon nachgedacht. | |
Meinen Sarg hab ich gekauft, da war ich 65, da kannte ich den Besitzer von | |
dem Sarggeschäft und da hab ich gesagt: Komm', ich kauf den. | |
Und wo ist der jetzt? | |
Den hab ich wieder zurückgegeben, der brauchte so viel Platz und ich | |
bisschen zu kurz war er auch. Ich denke aber trotzdem jeden Tag über den | |
Tod nach, aber wohlwollend. | |
Wohlwollend? | |
Im Sinne von: Fülle deine Tage aus mit sinnvollen Dingen und verplempere | |
nicht deine Zeit. Sitz' nicht auf dem Sofa rum. Ich erfülle ja auch meine | |
Aufgaben, als Songschreiber hab ich auch immer noch die Vorstellung, dass | |
man den Leuten etwas geben kann. Das merke ich besonders durch die neue | |
Platte. Da gibt's Leute, die sagen: "Das ist gut", auch junge. Da merkt man | |
plötzlich, man hat eine Aufgabe: nicht nur den Song zu schreiben, sondern | |
was sage ich mit den Songs. Ich bin jetzt wieder im Geschäft, weil die | |
Songs eine Aussage haben. | |
Gibt's denn neue Songs? | |
Ich hab ein paar neue gute Songs in der Schublade. Das ist ja auch das | |
Großartige. Erstmal hab ich einen Vertrag, und auf der neuen Platte sind | |
die Songs vorwiegend von anderen Leuten. Ich habe aber noch Songs in der | |
Schublade. Und mit einmal werde ich die wieder los. So kann es weitergehen. | |
Haben Sie je Angst, dass es nicht so weitergehen könnte? | |
Nein. | |
Wovor haben sie Angst? | |
Ich habe Angst, dass ich an der Gehhilfe ende. Als ich im Januar auf die | |
Fresse flog und den Arm gebrochen hab', da hab' ich gedacht: Wenn mich | |
jetzt hier keiner findet, dann sterbe ich. Der Schmerz war dermaßen groß, | |
dass ich dachte: Wenn das der Tod sein soll, dann will ich, dass er schnell | |
kommt. Und davor hab ich natürlich Angst: dass man dann so dahinsiecht. | |
Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor? | |
Am liebsten würde ich so wie der alte Kelly von der Kelly Family sterben. | |
Ein schönes weiß bezogenes Bett, alle drum herum mit Kerzen und Gitarren, | |
dann ist er eingeschlafen. So stell' ich mir den Tod vor. Wie so ein | |
Elefant, der auf einen Hügel klettert und sagt: So, meine letzte Stunde ist | |
gekommen. Vielleicht kann man das ja beeinflussen. | |
1 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Annika Stenzel | |
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