# taz.de -- Debatte Machtkampf in Thailand: Rot ist ihr Name | |
> In Thailand etabliert sich schleichend ein autoritäres Regime. Doch die | |
> Oppositionsbewegung ist trotz Repression längst nicht am Ende. | |
Verhaftungen gab es in letzter Zeit viele. Auch Sombat Boonngamanong war | |
vom 26. Juni bis 9. Juli festgesetzt worden. Aber nach nur zwei Tagen in | |
Freiheit hat der Aktivist genau das gemacht, wofür er zuvor festgenommen | |
worden war: Obwohl er damit riskiert, erneut verhaftet zu werden, knüpfte | |
er an der Ratchaprasong-Kreuzung rote Bänder an ein Verkehrsschild - als | |
friedliches Gedenken. Und trotz des Ausnahmezustands, der Versammlungen von | |
mehr als fünf Menschen verbietet, skandierten Dutzende Rothemden und | |
Sympathisanten: "Hier sind Menschen gestorben!" | |
Wochenlang hatten Thailands Rothemden diese Straßenkreuzung besetzt | |
gehalten, bis die Armee die Proteste am 19. Mai blutig niederschlug. Aber | |
die rote Bewegung, die Neuwahlen und den Rücktritt von Premier Abhisit | |
Vejjajiva fordert, ist keineswegs am Ende. Das Land ist Lichtjahre von | |
jener Normalität entfernt, die es in seinen Touristenbroschüren zeichnet. | |
Und während die Regierung von nationaler Versöhnung spricht, sieht die | |
Realität anders aus: Ausnahmezustand, Medienzensur und Verhaftungen | |
bestimmen das Bild. Zwar wurde der Notstand in den meisten Teilen Thailands | |
wieder aufgehoben. In Bangkok aber wird er wegen eines Bombenanschlags noch | |
eine Weile in Kraft bleiben - und was weitere neun Provinzen angeht, soll | |
er dort nur schrittweise aufgehoben werden. | |
Die Hardliner in Militär und Regierung haben daran jedoch kaum Interesse, | |
sichert der Ausnahmezustand ihnen doch weitreichende Vollmachten, um mit | |
der roten Opposition aufzuräumen. Mehr als zehn Wochen nach dem gewaltsamen | |
Ende der Proteste sind etliche führende Köpfe der Rothemden in Haft oder | |
untergetaucht. Weil auch von ihren Reihen Gewalt ausging, wirft man selbst | |
moderaten Anführern "Terrorismus" vor. | |
Vorwurf Majestätsbeleidigung | |
Zudem behaupten Regierung und das sie unterstützende konservative, | |
königstreue Establishment, die Roten wollten die Monarchie abschaffen. Das | |
gießt angesichts der tiefen gesellschaftlichen Spaltung zusätzlich Öl ins | |
Feuer - und das in einem Land, in dem es die wohl weltweit striktesten | |
Gesetze wegen Majestätsbeleidigung gibt. Ein Schuldspruch kann bis zu 20 | |
Jahre Haft - oder mehr - bedeuten. Die roten Anführer bestreiten die | |
Vorwürfe. | |
Nach offiziellen Angaben waren seit dem 19. Mai 417 Protestler in Haft, | |
angeklagt wegen Verletzung des Ausnahmezustands und illegalen | |
Waffenbesitzes. Die Hälfte ist laut einem Zeitungsbericht wieder frei. | |
Unklar aber bleibt, wie viele ohne formelle Beschuldigung festgehalten oder | |
gar vermisst werden. | |
Höchst fragwürdig ist dabei die Rolle des aus Militärs, Polizei und | |
Mitgliedern der Regierung bestehenden Center for the Resolution of | |
Emergency Situations (Cres), das eine Art Notstandsregime ausübt. Kurz nach | |
Verhängung des Ausnahmezustands im April war es ins Leben gerufen worden. | |
50 000 blockierte Webseiten | |
Human Rights Watch kritisierte, es habe seit Mitte April hunderte | |
Politiker, Aktivisten, Geschäftsleute und Akademiker nur deshalb | |
vorgeladen, weil man bei ihnen Sympathien mit den Roten vermutete. Auch sei | |
im April und Mai angeordnet worden, Protestler in Militärcamps | |
festzusetzen. Das Cres, das eigentlich nur temporären Charakter haben | |
sollte, scheint sich zu einer Art "Schattenregierung" zu wandeln. | |
Gleichzeitig wurde eine massive Zensurwelle losgetreten. Derzeit werden | |
laut Reporter ohne Grenzen mehr als 50.000 Internetseiten blockiert - viele | |
davon politischen Inhalts. Andere Experten schätzen, dass es weitaus mehr | |
sind. Fest steht, dass der Ausnahmezustand dazu benutzt wird, um vor allem | |
gegen oppositionelle Medien vorzugehen: Internet, Fernsehen und die | |
Community-Radios in den Provinzen. Die Erosion der Meinungsfreiheit in | |
Thailand drücken Reporter ohne Grenzen in Zahlen aus: Im Jahr 2002 | |
rangierte Thailand auf ihrem Pressefreiheit-Index noch auf Platz 65. Im | |
vergangenen Jahr rutschte das Land auf Platz 130 ab. | |
Die Zensur trifft nicht nur die "roten" Medien: Auch das als unabhängig | |
geltende Onlineportal Prachatai wird seit April wiederholt blockiert und | |
hat seine Internetadresse beziehungsweise Domain-Namen seitdem mehrfach | |
verändert. Webmasterin Chiranuch Premchaiporn hat unter dem 2007 in Kraft | |
getretenen "Computerkriminalitätsgesetz" mehrere Vorwürfe wegen | |
Majestätsbeleidigung am Hals. Ihr "Vergehen": Sie hatte von anderen Nutzern | |
im Prachatai-Webboard geschriebene Kommentare, die angeblich die Monarchie | |
verunglimpften, für den Geschmack der Zensoren nicht rasch genug gelöscht. | |
Vor kurzem kündigte das Onlineportal an, seine Meinungsplattform am 31. | |
Juli zu schließen - zur Sicherheit der Nutzer. | |
Keine Versöhnung in Sicht | |
Das alles widerspricht allen offiziellen Beteuerungen von "Versöhnung". Ein | |
entsprechender Fünfpunkteplan" Abhisits erscheint wie Kosmetik. Eines von | |
fünf Komitees soll die Gewalt von April und Mai untersuchen. Es ist aber | |
fraglich, ob es auch das Mandat haben wird, die für die hohe Anzahl von | |
fast 90 Toten und 2.000 Verletzten mutmaßlichen Verantwortlichen zu | |
benennen. "Es hat keine Zielsetzung und nicht die Kompetenz, Personen | |
verbindlich zu befragen oder unter Eid aussagen zu lassen", kritisiert | |
Danthong Breen von der Union for Civil Liberty - zumal der Ausnahmezustand | |
Militärs und anderen Autoritäten ohnehin Immunität garantiert. | |
Nun steht bald auch noch ein Wechsel im Militär an. Ende September geht | |
Armeechef Anupong Paochinda in den Ruhestand. Dieser hatte sich, so lange | |
es ging, gegen eine Niederschlagung der roten Proteste gewehrt. Nachfolger | |
wird voraussichtlich dessen Vize, General Prayuth Chan-ocha, der auch schon | |
mal für hartes Durchgreifen ist: Unter Prayuths Kommando war bereits am 10. | |
April versucht worden, die Rothemden gewaltsam zu vertreiben, was zum | |
Fiasko geriet. Sollte es irgendwann Neuwahlen geben, dürfte ein Armeechef | |
Prayuth eine von der Opposition gewählte Regierung nicht dulden. | |
Möglich wäre ein weiterer Putsch. Das aber könnte die Streitkräfte | |
zerreißen - denn auch in ihren Reihen haben die Roten etliche | |
Sympathisanten. | |
2 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Nicola Glass | |
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