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# taz.de -- Alltagsdroge Kat im Jemen: Wie Armut Armut schafft
> Wasser ist Mangelware und Weizen knapp. Die Bauern im Jemen pflanzen aber
> bevorzugt Kat an. Das ist einträglich, aber politisch kurzsichtig.
Bild: Alltagsdroge: Katkauende Männer im Jemen.
Bauer Hamid Raschid hat seinen Acker verlegt. Hat guten Mutterboden in ein
karges Tälchen transportieren lassen und ihn dort auf einem Stück
terrassierten Landes ausgebracht. Billig war diese Aktion nicht, aber der
Bauer kann rechnen. Auf seinem neuen Acker hat er Kat angebaut. Damit
verdient er bis zu fünfzehn Mal so viel wie mit Getreide. Jetzt steht er
auf seinem Feld in einem Seitental des Amranbeckens nördlich von Sanaa und
begutachtet hoffnungsfroh die grünen Pflänzchen. Auf seinen fruchtbaren
Äckern im Amranbecken, wo auch mal Regen fällt, baut er weiterhin Weizen an
- aber nur für die eigene Familie: zwölf Erwachsene und acht Kinder.
"Weizen ist viel zu kostbar, um ihn zu verkaufen", sagt der Bauer.
Im Vergleich zu Weizen ist das leichte Rauschmittel Kat ein dankbares
Gewächs. Es wächst in Höhenlagen, wo sonst nichts gedeiht, kann Dürre und
Kälte vertragen, und wenn es Wasser bekommt, treiben innerhalb von zwei,
drei Wochen zarte grüne Triebe, die sofort dankbare Käufer finden. Deshalb
pflanzen immer mehr Bauern im Nordjemen Kat an statt Weizen.
Eine Alltagsdroge
Überall in diesen Seitentälern liegen Katplantagen: buschige Bäume, von
einem Schutzwall aus Lehm umgeben, an einer Ecke ein Wachturm. Männer
stehen auf schwindelnd hohen Holzleitern in den Baumwipfeln und pflücken
die jungen Triebe. An größeren Straßenkreuzungen bieten Kathändler ihre
grünen Büschel feil. Hier im konservativen Norden hat jeder Mann noch die
Dschambijja, den traditionellen Krummdolch, im Gürtel stecken. Vom Griff
der Dschambijja vieler Bauern baumelt eine Plastiktüte mit Katblättern, aus
der sie sich regelmäßig bedienen.
Die Käufer beginnen hingegen erst nachmittags Kat zu kauen, denn die
Blätter sind teuer. Im Jemen wandert durchschnittlich ein Zehntel der
ohnehin kleinen Haushaltseinkommen in den Katkonsum. Viele Jemeniten
verschulden sich, um Kat zu kaufen.
Auch aus anderen Gründen ist der Katanbau problematisch. Zum einen bauen
Katbauern wie Hamid Raschid Weizen nur noch für den Eigenverbrauch an. Der
Jemen muss aber schon jetzt drei Viertel seiner Nahrungsmittel einführen;
außerdem verbrauchen die Bauern kostbares Grundwasser für den Katanbau.
Grundwasser, das zur Neige geht, im wahrsten Sinne des Wortes. "In etwa
fünfzehn Jahren wird es im Amranbecken und in Sanaa kein Wasser mehr
geben", prophezeit Thomas Engelhardt, Büroleiter der Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Sanaa. "Dann wird die Mehrheit der
Bevölkerung wegziehen müssen, ins Küstengebiet."
Ein Land, das zur Hälfte evakuiert werden muss, einschließlich der
Hauptstadt? In dieser Einschätzung sind sich die internationalen
Organisationen einig. Schon jetzt sinkt der Grundwasserspiegel im Nordjemen
jährlich um fünf bis acht Meter. Die GTZ, die ein Projekt namens
"Wasserressourcen-Management" betreibt, versucht deshalb, bei der
jemenitischen Regierung auf Maßnahmen zu dringen, die die Gnadenfrist
verlängern. Eine Reduzierung des Katanbaus zum Beispiel. Schon jetzt ist es
verboten, neue Brunnen für den Katanbau zu bohren. Doch es mangelt an
Kontrolle.
Auf einem Feld nahe der Landstraße nördlich von Sanaa steht ein kleiner
Bohrturm; er wird von einem Lkw aus betrieben. Hier wird nach Wasser für
Katanbau gebohrt. Sonst wächst hier ohnehin nichts. "Den Brunnen gab's
schon", erklären drei sonnengegerbte Männer treuherzig, die in einem
Pick-up heranknattern. "Wir vertiefen ihn nur. Früher sind wir in 200
Metern Tiefe auf Wasser gestoßen, jetzt müssen wir 600 Meter tief bohren."
"Es ist schwierig, den Anbau von Kat zu beenden, denn er schafft viele
Arbeitsplätze", sagt Baker Ali Baker, Vizegouverneur von Amran für Wasser
und Umwelt. "Aber unser langfristiges Ziel ist es, den Anbau endgültig
abzuschaffen." Nach dem offiziellen Termin im Gouvernorat lädt der
Vizegouverneur zu sich nach Hause. Auf den Polstern in dem großen Gästeraum
macht es sich ein Dutzend weißgewandeter Jemeniten bequem. Jeder hat eine
Plastiktüte voller Kat mitgebracht, aus der er sich Blätter in den Mund
stopft und kaut. Nach einer Weile haben sie alle eine dicke Backe - meist
ist es die linke -, eine entspannte Atmosphäre breitet sich aus. Es ist
früher Nachmittag - und der Arbeitstag ist vorbei. Kat macht munter und
entspannt - zur Arbeit regt es nicht an.
Altes Wassersystem
Nicht nur der Nordjemen hat Wasserprobleme. Im ganzen Land gibt es keine
ständigen Flüsse. Außerdem nimmt seit Jahren die durchschnittliche
Regenmenge ab. Im Wadi Hadramaut im Südostjemen regnet es nur selten. Im
unfruchtbaren Hochplateau nördlich des Wadis geht gelegentlich ein
Monsunregen nieder, sammelt sich zu einer Flut und stürzt dann hinab ins
Wadi, wobei alles niedergewalzt wird, was im Weg ist. Die Hadramis, wie die
Einwohner des Hadramaut sich nennen, haben hier im Wadi aus Asche und Sand
ein Kanalisationssystem gebaut, um die Fluten zu steuern. Das Wasser
rauscht in einen Hauptkanal, der sich weiter und weiter verzweigt. Große
Steinblöcke in den Kanälen dienen zur Regulierung.
Auf einem kleinen Deich steht Scheich Omar Bawubeid. Von oben prügelt die
Sonne, unter den Füßen glüht der Erdboden. Dem Scheich ist nicht
anzumerken, ob ihm heiß ist. Er trägt ein luftiges Wickeltuch und ein Hemd;
die Sonne fängt sich in seinem feuerrot gefärbten, gepflegten Bart. "Kommt
nur wenig Wasser, wird der Oasengürtel vor der Stadt Schibam von hier aus
bewässert", erläutert Scheich Bawubeid. "Steigt der Wasserspiegel, kommen
die nahe gelegenen Felder dran. Gibt es noch mehr Wasser, versucht man, es
in entferntere Gebiete umzuleiten, ehe es Schäden an den Lehmhäusern der
Region anrichten kann."
Ein ausgeklügeltes System der Wasserverteilung gehört seit Jahrtausenden
zur Kultur der Hadramis. Jeder weiß, wann er wie lange Wasser auf sein Feld
leiten darf. Die ältesten Teile des Kanalisationssystems sind mehrere
hundert Jahre alt. Doch in den vergangenen fünfzig Jahren haben die
Einwohner das System vernachlässigt. Das Wasser raste heran, richtete
Schaden an und versickerte dann ungenutzt. Unter anderem mit Hilfe der GTZ
wurde das System wieder instand gesetzt. Scheich Bawubeid ist Vorstand der
örtlichen Wasserkooperative, die das System nun instand hält. Doch der
Regen ist launisch geworden. "Früher hatten wir hier fünf bis sieben Fluten
pro Jahr", sagt der Scheich in makellosem Hocharabisch. "Jetzt kommt
manchmal zwei Jahre lang gar nichts. Deshalb wird nur noch ein Fünftel der
Felder bebaut."
Immer mehr Menschen, immer weniger Ressourcen - so lässt sich die Situation
im Jemen zusammenfassen. Seit jeher emigrieren viele Jemeniten nach Asien
oder Afrika. Doch auch für die, die zurückbleiben, reichen die kargen
Ressourcen nicht aus. Auch beim Konflikt zwischen dem Süd- und dem
Nordjemen geht es in erster Linie um Verteilungskämpfe. Lösungsansätze?
Bewusster, nachhaltiger Umgang mit den knappen Ressourcen. Mehr Ingenieure
als Bauern. Mehr Weizen als Kat. Mehr Frauen in die Arbeitswelt. Also
insgesamt: mehr Bildung.
Festtag in einer Grundschule in Hajja, im Nordjemen. Im Klassenzimmer in
einem Flachbau sitzen rechts die Mädchen, links die Jungen. Alle haben ihre
schönsten Kleider angezogen. An den Füßen tragen sie jedoch staubige
Plastiklatschen. Der Lehrer hat auf Arabisch einen Satz an die Tafel
geschrieben. "Besuch in der Stadt Aden", liest er laut vor. Die Klasse
wiederholt brüllend den Satz. "Ahmad fuhr mit seinem Vater in die Stadt
Aden!", schreit der Lehrer, die Klasse wiederholt im Chor. Unterricht war
hier schon immer so. Weil aber auch hier die Entwicklungshilfe Lehrer
fortbildet, ruft dieser nun gelegentlich auch einzelne Schüler auf. Wenn
die richtige Antwort kommt, klatscht die Klasse Beifall.
Nur Grundschulabschluss
Es gibt auch Lehrerinnen. Sie präsentieren sich als eine Gruppe schwarzer
Stoffbahnen: mit Ganzkörperschleier, nur die obere Pupillenhälfte ist zu
sehen. Anders als ihre männlichen Kollegen haben sie keine
Lehrerausbildung, sondern nur Grundschulabschluss. "Unsere Familien lassen
nicht zu, dass wir studieren", sagt eine von ihnen.
Bei den Kindern setzt sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter fort.
Zwei von zehn Jungen und vier von zehn Mädchen gehen gar nicht zur Schule.
Weil die Eltern nicht genug Geld haben, Schulbücher und ordentliche
Kleidung zu kaufen. Weil Bildung nicht zum Anforderungsprofil einer
traditionellen Jemenitin gehört, ja, zum Teil sogar schlecht angesehen ist.
Von den privilegierten Jemenitinnen, die zur Schule gehen, müssen die
meisten sie mit 12 Jahren wieder verlassen, weil sie dann geschlechtsreif
werden und nicht mehr mit Jungen in einer Klasse sitzen dürfen. Ärztinnen
möchten sie werden, sagen die Schülerinnen mit leuchtenden Augen. Wie viele
kleine Mädchen auf der Welt. Ärztinnen? Mit 14 werden die meisten von ihnen
heiraten und einen großen Schwung Kinder bekommen.
5 Aug 2010
## AUTOREN
Antje Bauer
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