# taz.de -- Musikfunktionär Dieter Gorny: Ein Lautsprecher verstummt | |
> Seit über zwei Jahrzehnten ist Dieter Gorny Multifunktionär. Auch als | |
> Kulturdirektor der Ruhr.2010 trommelte er im Vorfeld für die Loveparade | |
> im Pott - jetzt schweigt er. | |
Bild: Da war er noch ganz laut und lustig: Dieter Gorny im Februar 2010 bei ein… | |
Die Arbeiter, die tagtäglich in dem 2004 abgerissenen Gebäude der Dortmund | |
Union-Brauerei malocht haben, dürften es kaum für möglich gehalten haben, | |
dass an dieser Stelle ein paar Jahre später ein so genanntes European | |
Centre of Creative Economy (ECCE) residieren wird. Der Name klingt für eine | |
Dortmunder Institution etwas gewöhnungsbedürftig, man könnte glauben, | |
dahinter verberge sich eine Sektenfirma. Doch das ECCE ist ein Institut der | |
Ruhr.2010 GmbH, und der Name ist durchaus typisch für die verbale | |
Kraftmeierei, die der Direktor dieses Hauses in den letzten zwei | |
Jahrzehnten kultiviert hat. Der Mann heißt Dieter Gorny | |
Kurz nach der Loveparade sollte im ECCE eine Pressekonferenz mit Gorny | |
stattfinden, man wollte hier das "Förderkonzept für eine nachhaltige | |
Stärkung" der "Kreativwirtschaft" vorstellen. Vielleicht wäre das ganz | |
aufschlussreich gewesen - zumal eine Website, die eine Ahnung davon | |
vermittelt, was die kreativen Menschen im ECCE eigentlich den lieben langen | |
Tag so treiben, bisher nicht existiert. Die Konferenz wurde allerdings | |
kurzfristig abgesagt. Den Medien unter dem Eindruck von 21 Toten | |
Wirtschaftsstandort-Philosophie zu präsentieren, erschien den Veranstaltern | |
dann doch unangemessen. | |
Vor allem von Gorny hätten die Journalisten gern ein paar Worte gehört, zu | |
den Argumenten, die dieser noch vor einigen Monaten für die Loveparade in | |
Anschlag gebracht hatte. Im Januar, als zur Debatte stand, die | |
Veranstaltung aus finanziellen Gründen abzusagen, sagte er der | |
Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, es gebe "keine bessere Gelegenheit, sich | |
international zu blamieren, als wenn man diese Chance verpasste". Dank der | |
Loveparade kämen "absolute Weltstars" nach Duisburg, "weit über Europa | |
hinaus" werde sich das für die Region positiv auswirken. Von den Politikern | |
forderte er: "Wir wollen die Veranstaltung und alle Kraft einsetzen, sie zu | |
retten!" Eine Absage würde den guten Ruf der Kulturhauptstadt gefährden. | |
"Eine richtige Metropole", so Gornys Fazit damals, "kann das stemmen." | |
Oft ist in der bisherigen Nachbetrachtung der Loveparade-Katastrophe die | |
Rede gewesen vom verhängnisvollen Geltungsbedürfnis regionaler Fürsten und | |
Strippenzieher. Man darf davon ausgehen, dass die Entscheidungsträger die | |
Worte Gornys nicht kalt gelassen haben. Zumal diese drastische Form der | |
Politikberatung ja von einem einflussreichen Netzwerker stammte, den der | |
Spiegel einst Gerhard Schröders "Berater in Sachen Kunst" nannte. | |
Die Schlagzeilenmaschine | |
Derzeit ist die gute alte Schlagzeilenmaschine Gorny allerdings | |
abgeschaltet. "Für die Ruhr.2010 spricht Fritz Pleitgen, weil wir nicht mit | |
1.000 Stimmen auftreten wollen", sagt Marc Oliver Hänig, | |
Ruhr-2010-Sprecher, auf Anfrage der taz. Pleitgen als Vorsitzender der | |
Geschäftsführung, formell Gornys Vorgesetzter, meldete sich vor allem | |
direkt nach der Katastrophe zu Wort. Jetzt seien "die anderen dran", sagt | |
Hänig: "Wir haben die Veranstaltung weder organisiert noch finanziert, aber | |
wir stehen dazu, dass wir sie gern ins Kulturhauptstadt-Programm genommen | |
haben, um junge Leute anzuziehen." Was für "junge Leute" tun - hätte Gorny | |
im Zusammenhang mit der Loveparade stets nur dies gesagt, anstatt sich als | |
großer Standortideologe aufzuführen, würden ihm die Medien die Äußerungen | |
heute nicht mehr vorhalten. | |
Der bald 57-jährige Dr. Dieter Gorny ist ein Multifunktionär. Bei der | |
Ruhr.2010 ist er auch künstlerischer Direktor, er sitzt dem Aufsichtsrat | |
der Filmstiftung NRW vor, die wiederum an anderen Medieninstitutionen im | |
Land beteiligt ist. Zudem ist er Chef des Bundesverbandes der | |
Musikindustrie. | |
Sein erstes Karrierehoch erlebte der frühere Orchestermusiker 1989 in Köln. | |
Dort initiierte er die Musikmesse Popkomm, dort war er der starke Mann beim | |
Musiksender Viva, dem zweiten großen Vorzeigeprojekt des Pop-Standorts | |
Nordrhein-Westfalen in den 90er Jahren. Das Land freute sich, Wolfgang | |
Clement, 1989 Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf, später unter anderem | |
NRW-Wirtschaftsminister, war ein Gorny-Fan. | |
Der Pate der Musik | |
Viva gehörte damals den deutschen Filialen der großen Tonträgerfirmen, und | |
weil der Sender Musik made in Germany förderte, erlebte die Branche einen | |
Aufschwung. Gorny führte den Laden wie ein kumpeliger Gutsherr. Der Focus | |
bezeichnete ihn aufgrund seines Einflusses in jenen Jahren als "Paten der | |
Musik", das war positiv gemeint, anzusiedeln ungefähr in der Preisklasse | |
von "Literaturpapst". | |
Das eigene Schaffen und Wirken hat Gorny stets gern in einem möglichst | |
großen internationalen Rahmen gesehen. Insofern war seine Einschätzung, | |
dass die Loveparade sich "weit über Europa hinaus" positiv für die | |
Ruhrregion auswirken werde, keine Überraschung. 1999 beispielsweise, als | |
Musikfernsehen noch relevant war und Viva in andere Nachbarländer zu | |
expandieren begann, hatte er getönt: "Wir sind erst dann ansatzweise | |
fertig, wenn wir das Viva-Logo auf den Viacom-Tower in New York pressen." | |
2004 war es dann vorbei mit dem Traum von der Machtübernahme - stattdessen | |
schluckte der Viacom-Konzern (MTV, Paramount) Viva. | |
Gorny ist einer, der Fettnäpfchen auslässt und lieber gleich ein paar | |
Fettfässer umstößt. Seine Strategie, als Dampfwalze und Poltergeist in | |
Debatten einzugreifen, war bisher allerdings in der Regel erfolgreich. | |
Mittlerweile stellt er seine Wortgewalt vor allem in den Dienst des | |
Bundesverbandes der Musikindustrie: Es mache ihn "wütend, dass illegale | |
Downloads bis zu einem Streitwert von 3.000 Euro pro Kopf in Deutschland | |
als Bagatelle gelten. Das ist, als würde ich im Media Markt 200 DVDs | |
klauen", sagte Gorny der Spex. "Wenn man diese Rechtsprechung unter dem | |
Blickwinkel der Leitmärkte der Zukunft betrachtet, denen zufolge der | |
Wissensmarkt der wichtigste Markt sein wird, dann stellt jede | |
Bagatellisierung von digitalem Diebstahl eine eklatante Fehlentwicklung mit | |
katastrophaler Signalwirkung dar." Wütend. Eklatant. Katastrophal. Ohne | |
rhetorische Geschmacksverstärker geht es bei Gorny selten. | |
Der Schwafler | |
Aber auch die Rolle des verblasenen Schwaflers kann Gorny ausfüllen. Auf | |
die Frage, was heute links sei, antwortete er dem Musikexpress Anfang 1999: | |
"Ich bin nicht als SPD-Mitglied aktiv, sondern als Medienunternehmer. Und | |
weil ich Medien-Machen nicht nur darüber definiere, wie ich meine | |
unternehmerische Position verbessern kann, sondern einen | |
gesellschaftspolitischen Ansatz habe, engagiere ich mich auch weitergehend. | |
Ich würde unterscheiden zwischen politisch bewahrendem Denken und politisch | |
visionärem Denken - vielleicht sogar mit einem Stück Illusion und Hoffnung. | |
Das hat man früher als links bezeichnet, aber der Begriff selbst und die | |
potentiellen Vorzeigemodelle passen nicht mehr." | |
So reden Politiker, und in jenen Zeiten wurde viel darüber spekuliert, ob | |
Gorny sich irgendwann zumindest formal aus der Wirtschaft zurückziehen und | |
in die Kulturpolitik gehen werde. 1998 verfasste Gorny gemeinsam mit dem | |
Theaterintendanten Jürgen Flimm und dem Verleger Arnulf Conradi das | |
Strategiepapier "Aufbruch für Künste und Kultur in Deutschland". Ob dieser | |
"Aufbruch" stattgefunden hat, steht dahin, das Dokument löste aber nicht | |
weniger aus als die Berufung des damaligen Verlegers Michael Naumann zum | |
Staatsminister für Kultur. Ein wenig hat Gorny also zur Schaffung eines | |
neuen Ministeramts beigetragen. | |
Trotz des Niedergangs der Sozialdemokratie haben sich Gornys Chancen auf | |
einen Posten nicht grundsätzlich verschlechtert. Seit April ist er Mitglied | |
der Internet-Enquete-Kommission des Bundestages. Überraschend ist daran | |
weniger, dass er als Sachverständiger in Internetfragen bislang nicht | |
aktenkundig geworden ist, sondern ein anderer Umstand: Der SPD-Mann | |
gelangte auf dem Ticket der Union in das Gremium. | |
6 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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