# taz.de -- Projekt im Westjordanland: Windturbinen in der Wüste | |
> Ein deutsch-israelisch-palästinensisches Projekt: Palästinenser, die in | |
> Höhlen südlich von Hebron leben, bekommen Strom aus Wind und Sonne. Das | |
> spart ihnen fünf Stunden Arbeit täglich. | |
Bild: Höhle bei Hebron. | |
In der Steppe südlich von Hebron im Westjordanland treffen Mittelalter und | |
Neuzeit aufeinander. In Höhlen, Zelten und primitivsten Wellblechhütten | |
leben ein paar hundert palästinensische Ziegenbauern. Seit gut einem halben | |
Jahr haben sie zum ersten Mal Strom. Nicht aus Generatoren, sondern | |
erneuerbare Energie aus Sonnenkollektoren und Windturbinen, die neben den | |
Zelten der Bauern wie aus einer anderen Welt erscheinen. | |
Um zu der Höhle von Sohari Um Abu Jindi zu gelangen, braucht man einen | |
Geländewagen oder einen Esel. Mit dem normalen PKW geht es nur bis nach Um | |
el Kheir oder Tawani, Beduinendörfern im südlichsten Westjordanland. Dort | |
enden alle normal befahrbaren Wege. | |
Sechs Söhne und vier Töchter hat die heute 53-Jährige geboren. Zu zwölft, | |
im Winter zusammen mit ihren Tieren, die die Höhle wärmen, lebt die Familie | |
auf vielleicht 30 Quadratmetern. Mit Steinen und Vorhängen ist provisorisch | |
eine Kochnische abgetrennt. In der Ecke liegen gestapelte Matratzen. "Bei | |
jeder Geburt musste ich eineinhalb Stunden auf dem Esel reiten bis nach | |
Tawani, um von dort aus mit einem Auto zum Krankenhaus zu fahren", lächelt | |
Sohari tapfer. | |
Viel einfacher wäre es, wenn die Bauern die normalen Zufahrtsstraßen | |
benutzen dürften, doch die sind den israelischen Siedlern aus Carmel und | |
Maon vorbehalten. Von Zäunen geschützt, liegen sie nur einen Steinwurf | |
entfernt. Bevor die beiden Siedlungen in den frühen 80er Jahren gegründet | |
wurden, lebten die palästinensischen Bauern nur in den Sommermonaten in den | |
Höhlen. Die Wintermonate verbrachten sie in Yatta, der nächstgelegenen | |
Stadt, aus der auch Sohari stammt. Ehe die Straßen für die Palästinenser | |
gesperrt wurden, dauerte die Autofahrt dorthin kaum zehn Minuten. Die | |
Absperrungen machen den zweimaligen Umzug im Jahr heute unmöglich. | |
Die ungebetenen Nachbarn gehören zum Kern der national-religiösen | |
Siedlerbewegung und machen sich gern einen Spaß daraus, die | |
palästinensischen Bauern und Beduinen in der Gegend zu terrorisieren. | |
Besonders schlimm trifft es die Kinder, die täglich mehrere Kilometer zu | |
Fuß zur Schule gehen müssen und die inzwischen von israelischen Soldaten | |
eskortiert werden, um sie vor Angriffen der Siedler zu schützen. "Manchmal | |
kommen sie nachts", schimpft Sohari, "und werfen Steine auf unsere Hütten, | |
um uns Angst zu machen." | |
Nur ein paar Schritte von Soharis Höhle entfernt legt Noam Dotan letzte | |
Hand an das Fundament einer neuen Windturbine. Der 56-jährige Physiker aus | |
Israel gründete zusammen mit seinem gut 20 Jahre jüngeren Kollegen Elad | |
Orian die Initiative Comet-ME (Community Energy Technology in the Middle | |
East), die sich laut eigener Definition die "soziale und wirtschaftliche | |
Stärkung" der Palästinenser in entlegenen Gebieten zur Aufgabe macht. Seit | |
Ende 2009 läuft ihr ehrgeiziges Projekt mit dem Ziel, die rund 500 Menschen | |
in der Region mit Strom zu versorgen. Die dafür nötigen 170.000 Euro trägt | |
medico international mit Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amtes. | |
Die Entscheidung für erneuerbare Energie trafen die beiden Physiker nicht | |
nur aus dem Grund, die Umwelt zu schonen, sondern sie ergab sich auch aus | |
der Rechtslage in der sogenannten C-Zone, in der die Hirten leben. | |
Sicherheitskontrolle und Verwaltung unterstehen hier noch vollständig dem | |
israelischen Militär, das in der Regel die Baugenehmigungen für zivile | |
Anlagen verweigert. | |
"Wir sind für viele Palästinenser hier in der Gegend die ersten Israelis, | |
die sie sehen und die nicht Soldaten oder Siedler sind", sagt Dotan. "Das | |
ist für mich wichtig." In fünf Gemeinden gehen schon heute nachts die | |
Lichter an. Auch in Soharis Höhle sind die Leitungen verlegt für eine Lampe | |
am Eingang und eine für die Innenbeleuchtung. "Da müssen wir noch mal ran", | |
sagt Noam beunruhigt, als er eine der Leitungen prüft. "Sonst gibt es einen | |
Kurzen." | |
Die beiden Physiker arbeiten Hand in Hand mit jungen Auszubildenden aus | |
Hebron, die der Initiative angehören. "Mit gemeinsamer Arbeit die Mauern | |
von Abgrenzung und Rassismus überwinden", das ist das erklärte Ziel von | |
Comet-ME. | |
Die Sonnenkollektoren reichen vorerst nur dafür aus, dass Sohari Licht in | |
ihrem Heim hat. Sobald die Windturbinen laufen, soll genug Strom produziert | |
werden, um einen Kühlschrank zu versorgen und sogar eine kleine Maschine | |
zum Schlagen der Ziegenmilch. Fünf Stunden Arbeit täglich wird es Sohari | |
sparen, wenn sie die Butter nicht länger mit der Hand schlagen muss. | |
Die Verwaltung der kleinen Energiewerke soll von der Gemeinde selbst | |
übernommen werden, die die Instandhaltung der Anlagen sicherstellt, mit für | |
sie bezahlbaren Stromkosten. "Ich wünschte mir, dass die Leute, die uns den | |
Strom gebracht haben, auch bald die Straßen öffnen werden", lacht Sohari, | |
und "dass sie dafür sorgen, dass wir in richtigen Häusern leben können." | |
6 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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