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# taz.de -- Italiens Fußball im Aufbruch: Fantasie statt Gruppenzwang
> Nach dem WM-Debakel rüstet Italiens Fußball auf: Mit neuem
> Nationaltrainer und neuen Spielern. Doch nicht mehr Gehorsam soll das
> Kriterium sein – sondern Talent.
Bild: Der neue Roberto Rossellini: Cesare Prandelli trainiert künftig Italiens…
Unter dem neuen Nationaltrainer Cesare Prandelli steht der italienische
Fußball vor einer kompletten Umgestaltung. Talent wird wieder höher
bewertet als Anpassungsfähigkeit. Das beweisen die Einladungen an die so
begabten wie unberechenbaren Spieler Antonio Cassano und Mario Balotelli
sowie die Berufung des einst heiß geliebten und heiß umstrittenen
Ballzauberers Roberto Baggio zum technischen Direktor des Verbandes.
Mario Ferri freut sich. "Endlich kommt wieder Fantasie ins Spiel",
kommentiert der 23-Jährige die bevorstehende Rückkehr von Antonio Cassano
ins italienische Nationalteam. Ferri hatte auf seine Art und Weise für
Cassano geworben. Während des WM-Halbfinales zwischen Deutschland und
Spanien war er in einem Cassano-Huldigungs-Kostüm auf den Rasen gestürmt.
Damit war er der letzte Italiener im Wettbewerb. Schiedsrichter Roberto
Rosetti war nach dem übersehenen Abseits beim Tor des Argentiniers Tevez im
Achtelfinale nicht mehr berücksichtigt worden.
Neben dem genialischen Dribbler Cassano soll auch das Supertalent Mario
Balotelli - trotz des Transfergerangels zwischen Inter Mailand und
Manchester City - seine Einsatzchance beim Freundschaftsspiel gegen die
Elfenbeinküste am Dienstag in London erhalten. Vom alten Übungsleiter
Marcello Lippi waren die beiden größten gegenwärtigen Talente des
italienischen Fußballs wegen angeblicher Charakterschwächen nicht
berücksichtigt worden. In ihrer Abwesenheit war der Auftritt der Squadra
Azzurra zwar skandalfrei abgelaufen - sieht man vom Einsatz des
Cassano-Fans Ferri ab -, allerdings muss man lange zurückblättern, um sich
an eine konfusere Vorstellung italienischer Fußballprofis zu erinnern.
Heimische Chronisten bewerteten die missglückte Südafrika-Safari als
peinlicher als die beiden "koreanischen Katastrophen" der Vergangenheit.
1966 hatte ein 0:1 gegen Nordkorea zum WM-Ausscheiden geführt. 2002 war
gegen Südkorea (1:2) im Achtelfinale Endstation. Daher ist es verständlich,
dass die Schlagzeile "Stunde null" in fetter Balkenschrift durch alle
Gazetten geistert.
Als neuer Roberto Rossellini ist Cesare Prandelli auserkoren. Der
52-Jährige hat in seiner 17-jährigen Trainerkarriere stets das
Offensivspiel als Schlüssel zum Erfolg angesehen. Dafür ist er hymnisch
gelobt worden. 2006 und 2007 wurde er als Trainer des Jahres in Italien
geehrt. Bis auf den AS Rom - das dortige Engagement 2004 gab Prandelli
wegen der schweren Erkrankung seiner damaligen Frau schnell wieder auf -
vertraute ihm jedoch keiner der Großclubs sein teures Humankapital an.
Warum, ist bislang rätselhaft.
Seine Arbeit auf kleineren Plätzen - Venedig und Parma, Verona und Florenz
- nährte aber den Nimbus, dass Prandelli ein kultivierter Menschenversteher
sei. "Prandelli ist keiner, der Befehle erteilt. Er versucht, sein
Gegenüber zu verstehen. Seine Autorität gewinnt er durch Überzeugung",
schwärmte Gianfelice Facchetti, Sohn des legendären Liberos Giacinto und in
jungen Jahren selbst von Prandelli trainiert worden, bei der Übergabe eines
mit Papas Namen versehenen Preises an Prandelli.
Mit seinen diskursiven Fähigkeiten - die er durch gelegentliche
Umberto-Eco-Lektüre und ausgedehnte Galerien- und Museumsbesuche noch
vertieft - ist Prandelli eine Ausnahme im Zirkus der adrenalingesteuerten
Alphatiere. Dass er mit ihnen umgehen kann - er schliff etwa die Diamanten
Adriano, Mutu und Gilardino -, ließ ihn im Fußballgeschäft dennoch seinen
Platz finden. Groß sind daher die Hoffnungen, dass er dauerhaft
spielerische Funken aus dem Talent der Cassano und Balotelli schlagen kann.
Erste Konturen im Kader deuten sich an. In die Jahre gekommene Haudegen wie
Gennaro Gattuso und Fabio Cannavaro, die auch zu ihren besten Zeiten wenig
Neigung zum gepflegt gespielten Ball hatten, sind endgültig ausgemustert.
Nicht Gehorsam gegen den Boss - was unter Vorgänger Lippi die Leitlinie
gewesen war - sondern Talent wird wieder zum wichtigsten
Berufungskriterium. Auch im Umfeld übrigens.
Der als exzentrisch bekannte Roberto Baggio hat dieser Tage schnell seinen
Trainerschein gemacht und wird jetzt einflussreicher Technischer Direktor
des Verbandes. Der einstige Milan-Spielmacher Gianni Rivera übernimmt die
Jugendabteilung. Er kündigte einen Kulturwandel an: "Wir müssen junge
Spieler mit den richtigen Werten formen. Wir müssen die Kultur des Spiels
fördern und von einem Denken wegkommen, das nur den Sieg mit allen Mitteln
anstrebt."
Das doppelte Dream-Team - auf dem Platz mit Cassano, Balotelli und dem in
New Jersey aufgewachsenen Italoamerikaner Rossi und im Hintergrund mit
Prandelli, Baggio und Rivera - ist zu einer Revolution angetreten.
8 Aug 2010
## AUTOREN
Tom Mustroph
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