# taz.de -- Frankreich streitet über Magazin-Titel: Sarkozys Spiel mit dumpfen… | |
> Eine französische Zeitschrift hat Präsident Sarkozy auf ihrem Titel als | |
> "Schurken der Republik" bezeichnet - und eine Debatte über dessen | |
> Rechtsruck und Journalismus an sich ausgelöst. | |
Bild: Obwohl viele Roma EU-Bürger sind, werden sie öffentlichkeitswirksam abg… | |
PARIS taz | Als "Schurken der Republik" hat das französische Magazin | |
Marianne auf seiner neuesten Titelseite den amtierenden Präsidenten der | |
Republik Nicolas Sarkozy bezeichnet. Für Frankreich ist das schlicht | |
unerhört. Diese Premiere hat eine doppelte Debatte ausgelöst: einerseits | |
über die journalistische "Majestätsbeleidigung", andererseits und vor allem | |
aber über die Vorwürfe, mit denen "Marianne" den Angriff auf Nicolas | |
Sarkozys neueste Rechtswende im Kampf gegen Kriminalität und seine | |
Immigrationspolitik begründet. | |
Grimmig wie auf einem Fahndungsbild schaut Sarkozy auf dem Umschlag von | |
"Marianne" drein. Der Titel lautet: "Der Schurke der Republik". Dieser | |
Politiker sei gefährlich, erfahren die LeserInnen, weil er "keinerlei | |
moralische Skrupel hat und vor nichts zurückschreckt, um sich an der Macht | |
zu halten. Seine bevorzugten Waffen sind die Demagogie, maßlose | |
Übertreibung und Provokation". Die Reaktionen auf diese vehemente Attacke | |
ließen nicht lange auf sich warten. | |
Mehrere Politiker der Regierungspartei UMP wünschen, dass der Präsident | |
Klage wegen übler Nachrede einreiche. Auch Familienministerin Nadine Morano | |
protestiert gegen diese "Beleidigung" und "Respektlosigkeit gegenüber einem | |
vom Volk gewählten Staatschef". Sie war selber in ihrer Kritik nie | |
sonderlich zimperlich. Aus Wut über die Veröffentlichung kompromittierender | |
Informationen über geheime Wahlspenden im Zusammenhang mit der | |
Bettencourt-Affäre hatte sie die Enthüllungsjournalisten "faschistischer | |
Methoden" bezichtigt. In seinem Leitartikel schriebt Marianne-Gründer | |
Jean-François Kahn, die UMP und ihr Chef Sarkozy, bekämen nun bloß einen | |
verdienten "Bumerang mitten in die Fresse". | |
Der politische Umgangston ist in Frankreich deutlich rüder geworden seit | |
dem Beginn der Bettencourt-Staatsaffäre. Die letzte Zurückhaltung mancher | |
Medien wurde aber erschüttert durch Präsident Sarkozys Versuch, mit einer | |
Jagd auf Sündenböcke einen Teil der verlorenen Gunst bei den Wählern | |
zurückzuerobern. Er hatte dazu zuerst den illegalen Lagern von Roma den | |
Kampf angesagt und anschließend erneut angekündigt, die Repression gegen | |
Delinquenz und Kriminalität in den Vorstadtquartieren zu verstärken. Er ist | |
überzeugt, dass er mit härterem Durchgreifen einem Bedürfnis vieler | |
BürgerInnen nach Sicherheit entgegen kommt. Eine von Le Figaro in Auftrag | |
gegebene Umfrage, die angeblich fast 80% Zustimmung ergab, bestärkte ihn | |
noch darin. | |
Dass er dabei ohne Nuancen zu ausländerfeindlichen Ressentiments ermutigt, | |
scheint die letzte seiner Sorgen zu sein. So machte er zwischen den meist | |
aus Rumänien eingereisten Roma und anderen "Fahrenden", die oft seit | |
Generationen Franzosen sind, keinen Unterschied. Er weiß, dass viele | |
Kommunen, die gesetzlich verpflichtet wären, geeignete Lagerplätze für die | |
Nomadenfamilien bereitzustellen, nur allzu froh wären, wenn ihnen die | |
Staatsführung das Problem auf autoritäre Weise vom Halse schaffen könnte. | |
Zudem halten auch in der französischen Bevölkerung hartnäckig alte | |
Vorurteile gegen die "Gitans" und "Tsiganes" ("Zigeuner") und versprechen | |
solchen Säuberungsparolen einen billigen Erfolg. Mehrere illegale | |
Roma-Camps wurden inzwischen geräumt und einige Roma über die Grenze | |
abgeschoben. Dass die meisten als EU-Bürger wenig später nach Frankreich | |
zurückkommen, soll dann nicht Sarkozys Sorge sein. | |
Noch glitschiger ist der Boden bei der vorsätzlichen Verknüpfung zwischen | |
Kriminalität und Immigration. Sarkozy holt eine alte Drohung aus seiner | |
Waffenkammer: Eingebürgerten, die straffällig werden, soll nicht nur in | |
schwersten Fällen wie bisher die französische Nationalität entzogen werden | |
können. Und jugendlichen Ausländern soll bei der Volljährigkeit das Recht, | |
automatisch Franzose zu werden, je nach Vorstrafenregister verweigert | |
werden. Denn Franzose werden, das müsse man "verdient" haben, meinte | |
Sarkozy. Laut Industrieminister Christian Estrosi ist es "eine Wahl, | |
Franzose oder Schurke zu werden". Gibt es also in Zukunft eine | |
Unterkategorie von provisorisch Eingebürgerten oder "Franzosen auf | |
Bewährung", fragt Marianne. | |
Die Grenzen zur extremen Rechten sind nicht mehr auszumachen, wenn der | |
UMP-Abgeordnete und "Sicherheitsexperte" Eric Ciotti auch noch vorschlägt, | |
im Fall von minderjährigen Straftätern auch die Eltern verantwortlich zu | |
machen. Diese sollen, so fordert Ciotti, wegen der vernachlässigten | |
Aufsicht über ihre ungezogenen Sprösslinge mit bis zu zwei Jahren Gefängnis | |
ohne Bewährung bestraft werden. | |
In einem Interview äußert sich auch der sonst Sarkozy gegenüber sehr | |
gemäßigte ehemalige sozialistische Premierminister Michel Rocard empört | |
über die scharfe Rechtswende des Präsidenten. Seit der Zeit des | |
Vichy-Regimes habe niemand in Frankreich die Aberkennung der Nationalität | |
praktiziert. Sarkozy suche mit einer "skandalösen Effekthascherei" einen | |
wahlpolitischen Vorteil ganz rechts, werde das aber, so meint Rocard, am | |
Ende teuer bezahlen. Und das geschehe ihm dann nur recht. | |
11 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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