# taz.de -- Girls Rock Camps: In der dieterfreien Zone | |
> Immer noch spielen sehr wenige Frauen in Bands. In Zeiten, in denen | |
> Jugendliche in Castingshows abgekanzelt werden, bieten die Girls Rock | |
> Camps eine angenehme Alternative. | |
Bild: Es geht darum, sich zu trauen. Das haben weder Frauenquote noch Popfemini… | |
Linda Keith alias Ruby Tuesday war angeblich ein Groupie der etwas anderen | |
Art: Entgegen dem Stereotyp vom weiblichen Fan galt sie als unabhängig, | |
frei und selbstbewusst. So beschreibt es zumindest der berühmte Song der | |
Rolling Stones. "In dem Song geht es um eine toughe Frau, die nicht den | |
Rollenklischees entspricht. Dieses Bild haben wir aufgegriffen", sagt Jule. | |
Sie ist eine der Betreuerinnen des deutschen Girls Rock Camp, das eben | |
"Ruby Tuesday" heißt. Mit solchen Camps wollen Musikerinnen ein Manko | |
angehen, dass jeder und jede sieht, der nur einen kurzen Blick auf die | |
internationale Musikszene wirft: Es spielen kaum Frauen in Bands. | |
Deshalb konnten eine Woche lang in einem ehemaligen Schwimmbad im | |
brandenburgischen Cottbus Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren Instrumente | |
ausprobieren, Songs schreiben und eine Band gründen. Gegen das Klischee vom | |
hysterischen weiblichen Groupie geht es bei solchen Camps darum, die Rolle | |
der souveränen Musikerin auf der Bühne einzunehmen. | |
Ein kleiner Raum, vollgestopft mit Gitarren, Verstärkern und einem | |
Schlagzeug. Die Wände sind mit Konzertplakaten gepflastert, von der Decke | |
funzeln bunt beklebte Neonröhren. Dunkles Wummern erfüllt den Raum. Vier | |
Mädchen lernen bei einer Melodieübung, wie man mit einem Bass umgeht. Wanda | |
hat Probleme beim Anschlag. "Ich glaube, dein Fingernagel ist zu lang", | |
sagt Flora, eine der Betreuerinnen. "Mist, ich wollte den vorm Camp noch | |
schneiden, hab's aber vergessen", antwortet Wanda. Für das Seminar braucht | |
es einen eher pragmatischen Umgang mit Maniküre. | |
Während des Camps werden Bands von je vier bis fünf Mädchen gebildet, die | |
an den Nachmittagen von wechselnden Teamerinnen trainiert werden. Sie | |
lernen, als Gruppe eigene Songs zu schreiben und zu spielen, sich | |
aufeinander abzustimmen und einen Auftritt zu absolvieren. | |
Vormittags bekommen die Teilnehmerinnen Unterricht an Schlagzeug, Bass, | |
Keyboard oder der Gitarre. Daneben gibt es Seminare für das Schreiben, | |
Texten und Darbieten von Songs. Aber auch Skateboarden, Sprayen und | |
Punkrock-Aerobic gehören zum Programm. Die Seminare sollen männerdominierte | |
Hobbys auch für Mädchen interessant machen und ihnen helfen, sich | |
durchzusetzen. Um den Teilnehmerinnen weibliche Vorbilder zu bieten, werden | |
sie zum Teil von bekannten Musikerinnen wie Susie Asado, Kat Frankie und | |
Peaches begleitet. | |
Die 18 Mädchen und 17 Betreuerinnen haben ihre Zelte rund um das große | |
Becken des ehemaligen Schwimmbads aufgestellt. In den Flachbauten, die sich | |
drum herum verteilen, sind vier Proberäume, eine Küche mit Speiseraum und | |
ein Konzertraum mit Bühne untergebracht. Acht Mädchen, die bereits beim | |
ersten Camp im letzten Jahr dabei waren, haben sich diesmal wieder | |
angemeldet. "Ich habe mich schon das ganze Jahr über auf das Camp gefreut", | |
sagt Magda mit leuchtenden Augen. Zu Hause hat sie keine Möglichkeit, ein | |
Instrument zu lernen oder in einer Band Musik zu machen. | |
Anspruch der Organisatorinnen ist es, das Camp regelmäßig einmal im Jahr | |
stattfinden zu lassen und es langfristig zu vergrößern. Vorbild sind die | |
ersten Girls Rock Camps, die in den USA stattfanden. In Portland, Oregon | |
existiert bereits seit 2003 ein Girls Rock Institute, das Mädchen das ganze | |
Jahr über die Möglichkeit bietet, Instrumente zu lernen und Bands zu | |
gründen. Auch in Schweden hat sich - dort mit staatlicher Unterstützung - | |
die Idee weit verbreitet, und es gibt schon gesonderte Camps für HipHop, | |
Pop und Metal. | |
In Zeiten, in denen Jugendliche in Castingshows wie in der Kaserne von | |
Dieter Bohlens abgekanzelt werden, Musik fertig durchkomponiert vorgesetzt | |
bekommen, in ständiger Konkurrenz zu den Mitbewerbern stehen, um vielleicht | |
kurzzeitig ein Star aus der Retorte zu sein, bietet das Camp eine angenehme | |
Alternative: Musik selber machen und sich mit anderen in der Band | |
verständigen, das steht hier im Vordergrund. "Wir wollen den Mädchen | |
vermitteln, dass sie alles lernen können; dass sie nur anfangen müssen", | |
sagt Cashy, eine der Betreuerinnen, über ihre Erwartungen an die Girls Rock | |
Camps. Dabei soll es weniger um Arbeit und Drill gehen, wie man es | |
beispielsweise von "Deutschland sucht den Superstar" kennt, als darum, sich | |
etwas zu trauen und Musik selbstständig zu entdecken. Denn das ist das | |
Bild, das den Mädchen auch heute noch im Alltag und in den Medien nicht | |
ausreichend vermittelt wird. Weder Frauenquoten noch Popfeminismus konnten | |
das bisher ändern. | |
Beim Keyboard-Workshop versuchen die vier Teilnehmerinnen, einen Song von | |
Lady Gaga nachzuspielen. So streng wird es mit der Spezialisierung auf | |
Rockmusik dann doch nicht genommen. Wildes Geklimper ertönt aus allen | |
Ecken. "Wir haben einen Handyklingelton gefunden", rufen zwei Mädchen. | |
Woraufhin sie den Ratschlag bekommen, nach der Hookline des Songs zu | |
suchen. Birte, eine Betreuerin, erklärt: "Das ist eine Melodie, die so | |
catchy ist, dass sie euch verfolgen wird, bis ihr alt und grau seid." Große | |
Augen, verständnisvolles Nicken, und daraufhin bricht wieder das Fiepen, | |
Dröhnen und Pfeifen von allen Seiten los. | |
Fast alle Betreuerinnen arbeiten ehrenamtlich beim Cottbusser Camp mit. Zum | |
Großteil spielen sie selbst in Bands und können ihr Wissen weitergeben. | |
"Wir wollen den Mädchen aber nicht reinquatschen", sagt Ming, eine der | |
Trainerinnen. Der Impuls für die Organisatorinnen, sich bei dem Camp zu | |
engagieren, kommt aus den eigenen Erfahrungen: "Wir haben letztens auf | |
einem Festival gespielt, auf dem 120 Musiker waren, und nur fünf davon | |
waren Frauen", erzählt beispielsweise Jana. | |
Der Ansatz des Girls Rock Camp stammt aus der Riot-Grrrl-Bewegung, die zu | |
Beginn der 90er Jahre ihre größte Verbreitung fand. Sie entstand aus dem | |
feministischen Ansatz, sich von der besonders im Hardcore und im Punkrock | |
dominierenden männlichen Attitüde abzugrenzen und die im Alltag | |
vorherrschenden Geschlechterrollen aufzubrechen. | |
In der Anfangsphase der Bewegung gründeten sich in den USA Frauenbands wie | |
Bikini Kill, Sleater Kinney und Team Dresch, deren Einfluss entscheidend | |
zur Vergrößerung der Szene beitrug. Die Riot Grrrls kritisierten die | |
männliche Dominanz und die Unterdrückung der Frauen nicht nur in ihren | |
Songs, sondern auch in selbst gebastelten Fanzines und eigenen | |
Radiosendungen. | |
Von den USA aus verbreitete sich die Bewegung in den folgenden Jahren auch | |
nach Europa. In Deutschland entwickelte sich die Bewegung weniger stark, | |
doch mit Bands wie den Lassie Singers und Die Braut haut ins Auge hatte die | |
Riot-Grrrl-Bewegung auch hier prominente Vertreterinnen. | |
Der anfängliche Schwung der Bewegung flaute allerdings Ende der 90er Jahre | |
wieder ab. Momentan gibt es in Deutschland keine einzige Frauenrockband, | |
geschweige denn eine Riot-Grrrl-Band, die auf bundesweiter Ebene von einem | |
breiten Publikum wahrgenommen würde. | |
Die Bühne ist in rotes Licht getaucht, oben stehen Kira, Magda und Tara. | |
Die drei sind noch so klein, dass ihre Instrumente überdimensional wirken. | |
"Jeder Mensch ist besonders, aber keiner ist perfekt", brüllt Kira. Für das | |
heutige Abschlusskonzert haben sie sich den Namen Black Diamonds gegeben. | |
Außer ihnen treten die Highlights, Agatha Robot und die Crazy Rubys auf. | |
Alle haben es geschafft, ein oder zwei Songs für den großen Auftritt | |
einzuüben, und stehen selbstbewusst auf der Bühne. | |
Im Saal mischen sich im Publikum Verwandte und FreundInnen, sie wippen und | |
klatschen bei den Songs mit. Nach der Show versammeln sich alle draußen, um | |
die Mädchen zu feiern und Starfotos zu schießen. | |
Doch selbst hier hört man schon den ersten Vater drängeln: "Können wir | |
jetzt mal los? Das Fußballspiel fängt gleich an." | |
12 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Zoé Sona | |
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