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# taz.de -- Techno im Ruhrgebiet: "Jeder Depp legt das heute auf"
> Die Party ist zu Ende. In Duisburg war sie das schon lange vor der
> letzten Loveparade, die eigentlich das Geschäft wieder ankurbeln sollte.
> Begegnungen mit der Elektro-Szene an Rhein und Ruhr.
Bild: Lasershow bei der Mayday 2008 in der Dortmunder Westfalenhalle.
Dortmunds Gartenstadt ist ein ruhiges Viertel. Beschaulich nahezu. "Oh
Mann, so eine Wohnungssuche ist wirklich nervig. Vor allem wenn man sagen
muss, was man beruflich macht", sagt Mario De Bellis und lässt sich in den
Gartenstuhl vor dem kleinen Kiosk-Café fallen. Er ist DJ. "Da fragt mich
die Frau doch ernsthaft, ob es dann bei mir immer laute Parties geben
würde", sagt er mit einem Grinsen und zündet sich eine Zigarette an. "Dann
muss ich immer erst mal erklären, dass ich das seit 30 Jahren mache, mein
eigenes Label habe und also Geschäftsmann bin und davon lebe. Dann sind die
meisten beruhigt."
Eigentlich sollte De Bellis am selben Abend im Le Grand auflegen, so steht
es zumindest auf der Seite Coolibri.de, Stadtmagazin des Rhein-Ruhrgebiets.
Aber die Seite scheint nicht aktuell zu sein: "Das war eine Veranstaltung,
die wir im Frühjahr immer mittwochs gemacht haben, die gibt es nicht mehr",
sagt er.
Mario De Bellis legt seit 30 Jahren auf, war bei vielen Loveparades dabei
und hat 20 Jahre lang immer mal wieder auf der Partyinsel Ibiza gelebt. Das
erste Mal sei er 1991 oder 1992 auf einer Loveparade gewesen, erzählt er.
In Duisburg war er nicht dabei. "Ich bin vorher gefragt worden, aber ich
hatte keine Lust mehr drauf." Seine letzte Loveparade war die in Dortmund,
wo er auf einem brasilianischen Float mitgefahren sei. "Aber nur, weil ein
Freund von mir aus Brasilien angereist kam und weil es meine Heimatstadt
ist. Früher, als die Loveparade noch in Berlin war, war das immer so ein
Traum von uns, sie ins Ruhrgebiet zu holen."
Die Geschichte der Loveparade hat einen ziemlich klaren Verlauf, es scheint
eindeutig, wie sie zu dem wurde, was sie am Ende war: ein buntes, von der
Gesellschaft eher vergessenes Fest, das, wenn überhaupt beachtet, nur
belächelt wurde. Unterschichtenspaß, für den sich allenfalls noch Oliver
Pocher und die Klitschko-Brüder hergaben. Doch der Anfang dieser Geschichte
war anders.
"Da war ein Revolutionsgedanke", schreibt Dr. Motte, der Begründer des
Liebesumzugs. Feiern, lieben, lustig sein. Und eben elektronische Musik,
die für die, die nicht mitfeierten, nicht zugänglich schien. Jeder kennt
die Bilder aus Berlin von halbnackten Menschen, bedeckt nur von
Kokosnussschalen, pinken Plüschfetzen und Sonnenblumen. Dann kam die
Musikindustrie mit den großen Plattenfirmen.
Geld als Spaßverderber
"Die Majors haben die Hits für Viva und so fertig gemacht und einfach
Kitsch produziert. Da hat man als kleiner Raver die Songs gar nicht mehr
wiedererkannt." Die Plattenfirmen brachten Geld mit - für viele Raver
sicher ein guter Grund, die Spaßrevolution kurz zu vergessen. "Ich habe
mich auch ein paar mal verhurt, heute ärgere ich mich darüber manchmal. Mir
wurde mal viel Geld für ein Album geboten, ich habe noch mehr verlangt und
das dann auch gekriegt. Letztlich kam das Album dann nie, nur der eine Hit:
,City Lights'."
Aber die Zeit, in der mit Techno Geld gemacht werden konnte, dauerte nicht
lange. "Es gab da so eine Wellenbewegung. Mitte bis Ende der 1990er Jahre
war die Kommerzialisierung ja extrem", sagt Jochen Kloeters, der vor 20
Jahren einen der ersten Techno-Clubs im Ruhrgebiet betrieb, den Future Club
im Landschaftspark Duisburg.
"Somewhere over the rainbow" sang Marusha damals und so ziemlich alle unter
30 sangen mit. "Aber das war ja schreckliche Musik, die da in den Charts
landete", sagt Kloeters. Er sei froh, dass die Kommerzialisierung in den
vergangenen Jahren wieder zurückgegangen ist. "Die Szene ist wieder in den
Clubs angekommen, und das ist für die Qualität der Musik wirklich gut."
Er selbst lebt mittlerweile von der Innenarchitektur. Er habe sich nach und
nach aus der Szene und dem Veranstaltungsmanagement zurückgezogen. "Ich bin
jetzt über 40, habe Familie und die Organisation von Veranstaltungen ist
wirtschaftlich einfach eine sehr unsichere Sache", sagt er. "Außerdem ist
die Szene ja vom Alter her sehr homogen, also sehr jung, und da hat man
dann irgendwann keinen Bezug mehr dazu."
Nur die "club machine", die viermal im Jahr in der Gebläsehalle im
Landschaftspark in Duisburg stattfindet, organisiert er noch. "Da hängt
mein Herz noch dran, und man muss wirklich sagen, dass das von der Location
her das Beste ist, was es gibt in Deutschland."
Auch Mirco Hering und Eric Smax, Veranstaltungsmanager und DJ aus Duisburg,
sind derzeit nicht in Clubs oder auf Parties anzutreffen, sondern im Café.
"Duisburg war ja in letzter Zeit immer wieder negativ in den Schlagzeilen:
erst die Mafiamorde, dann die Bandidos, die sich hier gefeiert haben, und
jetzt diese Katastrophe auch noch", sagt Hering und wirkt frustriert. Er
ist der Betreiber von style-nights.de und organisiert Parties.
In Duisburg wird nicht mehr gefeiert. Seit dem Unglück bei der Loveparade
vor drei Wochen sind etliche Veranstaltungen abgesagt worden, die Stadt ist
ruhiggestellt. So auch die "summernight lounge", eine Partyreihe, die
eigentlich zurzeit im Landschaftsgarten stattfinden sollte. Die
Entscheidung sei falsch, sagt Hering, die Leute bräuchten doch gerade
jetzt, nach dem Unglück, wieder etwas, worüber sie sich freuen könnten und
das sie ablenkt.
"Die summernight lounge ähnelt in Stil und Publikum der Loveparade und wir
fanden sie deswegen jetzt nicht angemessen", sagt Uwe Gerste vom
Stadtmarketing. Aber während der Eröffnungsparty lief Mainstream-Musik der
Charts. "Zudem kam noch, dass wir das Sicherheitskonzept für
überprüfungswürdig halten. Nach der Tragödie der Loveparade haben wir alle
Veranstaltungen, die von uns organisiert werden, hinsichtlich ihres
Sicherheitskonzepts überprüft", sagt Gerste. Hering ist darüber entrüstet:
"Es gab vor der summernight lounge Auflagen und die wurden erfüllt. Wir
hatten bestimmt 100 Prozent mehr Türsteher als bei der Loveparade."
Ihn beunruhigt die Absage. "Es sind ganz wenige Leute, die hier in Duisburg
im Veranstaltungsleben was machen und viel, viel Gas geben. Wenn das jetzt
noch schwieriger wird, wird der Kampf noch härter, dass die, die in
Duisburg feiern auch hier bleiben und nicht nach Düsseldorf gehen."
Düsseldorf ist nur eine Viertelstunde Zugfahrt von Duisburg entfernt und
für die Partymacher eine echte Herausforderung. "Die Leute pilgern an jedem
Wochenende nach Düsseldorf. Such dir doch hier mal ne Bar oder ne Lounge",
sagt Eric Smax, Duisburger DJ. Es gibt nicht viele Orte, an denen in
Duisburg gefeiert werden kann. Das ist vermutlich auch nicht ungewöhnlich
für eine Stadt mit 400.000 Einwohnern, deren Arbeitslosenquote bei 13,5
Prozent liegt und die sich ihre Universität mit der Nachbarstadt Essen
teilt.
"Es war mal cool hier"
Die Geschichte der Loveparade und des Techno spiegelt sich auch in der von
der Duisburger Elektro-Szene wider. "Ende der 1980er und 1990er Jahre, da
war das echt cool hier. Dann war eine Zeit lang gar nichts, dann kamen die
Partyreihen", sagt Smax. "Es ist das Phänomen hier, dass, wenn du was Gutes
hast, du das nicht jeden Samstag machen kannst. Die Leute machen das nicht
jede Woche mit. Es gibt keinen festen Club, wo man weiß, dass jeden Freitag
Programm ist. Nur Großraumbuden."
Smax ist, wie De Bellis, seit knapp 20 Jahren DJ und legt House auf, auch
auf der Loveparade in Duisburg. "Elektronische Musik an sich ist nach wie
vor existent, aber viele haben keine Lust mehr, das alles mitzumachen. In
der Musik gibt es oft nur noch ein Pling und Plong und nen Pop und das
wars. Jeder Depp legt das heute auf."
Pling und Plong - das steht für die einfallslose Elektromusik, auch De
Bellis benutzt diese Formulierung. "Heute gibt es ja 100 verschiedene
Abweichungen. Und dann hört man mal wieder, dass Techno tot sei, Elektro
aber voll abgeht - das ist doch dieselbe Suppe." Er selbst lege nie nur
eine Richtung auf: "Dann wirds irgendwann langweilig." Seit ein paar Jahren
macht er sogenannte Classics-Parties, mit zwei Floors - auf dem einen wird
neue Musik gespielt, auf dem anderen legt er alte Sachen auf. "Das kommt
wahnsinnig gut an. Die Leute kriegen leuchtende Augen und Gänsehaut, wenn
ich altes Zeug auflege. Das ist so schön. Ich habe dann immer drei Kisten
mit Platten dabei, die würden reichen, um drei Tage durchgehend
aufzulegen." Alle sind sie wütend: auf die Stadt, die Veranstalter und die
Polizei. "Wenn bei mir im Club sich einer den Fuß verknackst, kommen die
sofort zu mir als Veranstalter und machen mich verantwortlich", schimpft De
Bellis.
In die Wut mischt sich Enttäuschung darüber, dass Duisburg mal wieder ein
schlechtes Bild abgeliefert hat und der Tunnel mit 21 Toten das Bild sein
wird, was noch lange in den Köpfen auftaucht, wenn der Name der Stadt
fällt. "Die Loveparade wäre echt gut gewesen", sagt Smax, "wenn sie
funktioniert hätte. Das hätte gezeigt, dass wir auch feiern können."
13 Aug 2010
## AUTOREN
Frauke Böger
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