# taz.de -- Regierung legalisiert Cannabis-Medizin: Guter Stoff | |
> Über Jahrhunderte hinweg war Cannabis eine anerkannte Heilpflanze. Nach | |
> dem Verbot ging das Wissen um die heilende Wirkung verloren. Jetzt wurde | |
> Hanfmedizin legalisiert. | |
Bild: Darf zwar noch nicht angebaut, aber jetzt immerhin gegen Schmerzen konsum… | |
BERLIN taz | Noch den Brüdern Grimm war es eine Selbstverständlichkeit, | |
weshalb sie diese Volksweisheit in ihr "Deutsches Wörterbuch" aufnahmen: | |
"Mancher Schad ist nicht zu heilen / durch die Kräuter dieser Welt / Hanf | |
hat viel verzweifelt Böses / gut gemacht und abgestellt." | |
Von den ältesten erhaltenen chinesischen Arzneibüchern über die Ärzte der | |
klassischen Antike bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts galt | |
Cannabis wegen seiner krampflösenden, übelkeitshemmenden und | |
schmerzstillenden Wirkung in aller Welt als Standardmedikament. | |
Es waren keine neuen medizinischen Erkenntnisse, sondern politische Gründe, | |
die zu seiner Verbannung führten. Am Anfang stand dabei die Hanfprohibition | |
in den USA, die nach dem Scheitern der Alkoholverbote im Jahr 1933 | |
einsetzte. Da mit dem guten alten Namen "Hanf" so wenig Schrecken zu | |
erregen war wie mit der botanischen Bezeichnung "Cannabis sativa" | |
importierte der erste US-Drogenbekämpfer Harry Anslinger für seine | |
Verbotskampagne das mexikanische Slangwort "Marihuana" und verkaufte es dem | |
schockierten Publikum als neue "Mörderdroge", deren einmaliger Genuss schon | |
zu Wahnsinn und Gewaltausbrüchen bei Männern führe, die dann bevorzugt | |
weiße Frauen vergewaltigten. | |
Bei der Anhörung zu dem von Anslinger eingebrachten Verbot des | |
Marihuana-Anbaus halfen auch die Einsprüche des Sprechers des Ärzteverbands | |
AMA nicht, der sich darüber beschwerte, dass die amerikanische Ärzteschaft | |
erst zwei Tage vor der Anhörung erfahren hätte, dass es sich bei dem | |
"tödlichen Kraut aus Mexiko", von dem in der Presse seit Jahren die Rede | |
sei, um Cannabis handle – eine Heilpflanze, die in Amerika seit über | |
hundert Jahren gegen zahlreiche Krankheiten eingesetzt werde. | |
Anslinger bekam sein Gesetz und setzte fünf Jahre nach dem im Jahr 1937 | |
verhängten Anbauverbot durch, dass Hanf in sämtlichen medizinischen | |
Präparaten verboten wurde. Zuvor hatte ein gefälliger Gutachter vor dem | |
Gesundheitsausschuss bescheinigt, dass Cannabis "keinerlei | |
medizinisch-therapeutischen Wert" habe. | |
Dies war der Anfang vom Ende einer der wertvollsten Medizinpflanzen des | |
Planeten. Und der Anfang von Harry Anslingers Aufstieg zum ersten | |
Drogenkommissar der neu gegründeten UNO. In dieser Funktion gelang es ihm, | |
das Hanfverbot global durchzusetzen – mit dem Erfolg, dass mit dem Verbot | |
auch das Wissen um den medizinisch-pharmazeutischen Effekt dieser Pflanze | |
aus den Lehrbüchern verschwand. | |
Als 1993 Jack Herers Buch "Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf" | |
erschien, erhielt ich als Herausgeber der deutschen Ausgabe etliche | |
Anfragen von Ärzten und Pharmazeuten, die während ihres gesamten Studiums | |
kein Wort über die einzigartigen Wirkungen von Cannabis als Medizin gehört | |
hatten. | |
Es dauerte dann bis 1996, bis in Deutschland zumindest der synthetisch | |
hergestellte Hanfwirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) wieder als | |
Arzneimittel zugelassen wurde. Unter dem Namen "Dronabinol" ist es seither | |
als verschreibungspflichtiges Medikament erhältlich – allerdings zu einem | |
Abgabepreis von um die 500 Euro für 150 Milligramm. | |
Das natürliche Kraut, das quasi umsonst auf jedem Balkon wachsen könnte, | |
bleibt auch für Patienten verboten. Schwerkranke mussten in der | |
Vergangenheit bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um | |
Sondergenehmigungen für den Besitz und Anbau einer Pflanze zu erstreiten, | |
an der zwar in der gesamten Medizingeschichte noch kein Mensch zu Tode | |
gekommen ist, die aber von zahlreichen schweren Leiden bis zu einfachem | |
Stress einzigartige Linderung verschaffen kann. | |
Die in den vergangenen beiden Jahrzehnten gewonnenen wissenschaftlichen | |
Erkenntnisse machen eine grundsätzliche Neubetrachtung und Einstufung von | |
Cannabis als Medizin und Genussmittel unausweichlich. Nach Jahrzehnten der | |
Prohibition hat spätestens die Entdeckung des körpereigenen | |
Cannabiswirkstoffs (Anandamid) und eines entsprechenden Rezeptors im Gehirn | |
zu einem regelrechten Boom in der Cannabinoidforschung geführt – | |
hanfähnliche Wirkstoffe spielen im System des "Futterns und Fütterns" bei | |
allen Säugetieren eine zentrale Rolle. | |
Neben der Appetitanregung sind die körpereigenen Cannabinoide auch an der | |
Schmerzbekämpfung beteiligt, zusammen mit dem körpereigenen Opiatsystem, | |
den Endorphinen. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass Menschen, die zur | |
Schmerzbekämpfung auf Morphin angewiesen sind, die Dosierung um 50 Prozent | |
senken können, wenn sie Cannabinoide benutzen. | |
In die Krankenhäuser, Palliativstationen und Arztpraxen dringt dieses neue | |
Wissen indessen nur langsam vor, der Dschungel aus Desinformation und | |
Horrorpropaganda lichtet sich nur langsam; der Geist von Dirty Harry | |
Anslinger ist weiterhin lebendig. | |
So wurden im April 2009 in Rüthen (Nordrhein-Westfalen) die Räume des | |
Arztes und Vorsitzenden der Vereinigung "Cannabis als Medizin", Franjo | |
Grothenhermen, durchsucht. Die Ermittler beschuldigten ihn, Patienten über | |
eine "Hanfapotheke" im Internet an anonyme Spender zu vermitteln. Der | |
Service, bei dem illegale Hanfbauern einen Teil ihrer Ernten Patienten | |
zukommen ließen, die keinen Zugang zu "ihrer" Medizin fanden, ist | |
mittlerweile unterbunden. | |
Anhängig sind dagegen Dutzende Antragsverfahren beim Bundesamt für | |
Arzneimittelprüfung, der ehemaligen Bundesopiumstelle, die selbst bei | |
todkranken Antragstellern und chronischen Schmerzpatienten eine peinlichst | |
genaue Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes überwacht – und die | |
Traditionen des Pharmastandorts Deutschland. | |
Denn dass Cannabis überhaupt auf den Index der Genfer Konvention, des 1925 | |
verabschiedeten Gesetzes zur internationalen Drogenprohibition, geraten | |
war, verdankte sich der Stimme des Deutschen Reichs, das in der | |
Kampfabstimmung für das von Ägypten beantragte Cannabisverbot votierte. | |
Zuvor hatten die Ägypter versichert, in diesem Fall kein Importverbot gegen | |
einen Bestseller der deutschen Bayer-Werke namens "Heroin" zu erlassen. | |
Und geschäftliche Gründe sind es, die den Einsatz von Cannabis als Medizin | |
so erschweren. Denn das Patent für dieses hochwirksame Mittel gegen | |
Übelkeit, Krämpfe, Schlaflosigkeit, Depression und viele andere Symptome | |
liegt bei Mutter Natur - und zu seiner Gewinnung braucht es keine | |
Pharmaindustrie, sondern nur Erde, Licht und Wasser. Und Hanfsamen, deren | |
Vertrieb und Verkauf freilich noch unter der rot-grünen Bundesregierung als | |
Betäubungsmittelstraftat eingestuft wurde, obwohl der Samen keinerlei | |
psychoaktive Stoffe enthält. | |
Dass nun die Politik hierzulande die bürokratischen Hemmnisse zumindest für | |
die Versorgung Sterbender und Schwerkranker abbauen will, kann nur als | |
erster Schritt gewertet werden. Der ist aus humanitären Gründen längst | |
überfällig. Aber solange selbst die Vorstufe zum Heilkraut vom eigenen | |
Balkon verboten bleibt, kann von medizinischem und politischem Fortschritt | |
keine Rede sein. | |
17 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Mathias Bröckers | |
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