# taz.de -- Schloss Ribbeck im Havelland: Ribbecks Birnenessig | |
> Mithilfe von Fontanes Ballade hat sich das Bilderbuchdorf Ribbeck im | |
> Havelland zu einer touristischen Marke entwickelt. Das kleine Dorf stillt | |
> Sehnsüchte nach einer imaginären alten Zeit. | |
Bild: Das frisch sanierte Schloss Ribbeck im Havelland. | |
Es sind nur ein paar Gedichtzeilen. Aber diese Zeilen bewirken, dass | |
unzählige Touristen ins Havelland strömen. Vor allem in eine | |
350-Seelen-Gemeinde namens Ribbeck, die an der B5 von Berlin nach Hamburg | |
liegt. Eine Dorfkirche aus dem 14. Jahrhundert, ein stattliches Herrenhaus, | |
eine grüne Wiese mit Feuerlöschteich, drum herum ein paar Backsteinhäuser: | |
Gewiss, es ist hübsch anzusehen, und es spricht nichts dagegen, sich hier | |
ein bisschen umzusehen, wenn man beispielsweise auf dem Havelland-Radweg | |
unterwegs ist. | |
Doch in den Nachbarorten sieht es auch nicht viel anders aus. Auch Berge | |
hat eine hübsche Kirche von 1744, in Pessin steht das Herrenhaus derer von | |
Knoblauch, in Senzke das Schloss der Bredows. Aber Ribbeck ist eben Ribbeck | |
- durch Fontanes Ballade wurde das Dorf zum Mythos | |
Dabei wurden die Neugierigen, die vor fünfzehn Jahren hierherkamen, tief | |
enttäuscht. Freudlos und grau wirkte die Häuseransammlung damals. Der | |
Birnbaum war mickrig, die Kirche baufällig, von der Fassade des | |
Ribbeckschen Herrenhauses, in dem sich lange Zeit ein Altersheim befand, | |
bröckelte der Putz. Daran änderte auch der Fall der Mauer zunächst nichts. | |
Besitzstreitigkeiten beherrschten die Atmosphäre, einige Dorfbewohner | |
fürchteten gar, nach der Wende würden wohlhabende Zugereiste wieder | |
feudalähnliche Verhältnisse einführen. | |
"Als sie anrückten von Osten aus dem westlichen Berlin mit drei Omnibussen | |
und rot und weiß und blau lackierten Autos, aus denen Musik hämmerte, | |
lauter als die starken Motoren, und mit den breitachsigen, herrischen | |
Fahrzeugen das Dorf besetzten, wie es seit den russischen Panzern, dem | |
Luftwaffengebell und den Ribbeckschen Jagdfesten nicht mehr besetzt war", | |
so beschreibt der Schriftsteller Friedrich Christian Delius in seiner | |
Erzählung "Die Birnen von Ribbeck" die Stimmung zu Beginn der neunziger | |
Jahre. | |
Noch schien der Geist der DDR-Zeit nachzuwirken, der an einem großen | |
Putzrelief im Treppenhaus des Schlosses abzulesen ist: In sozialistischer | |
Verbrämung zeigt es einen feisten Gutsherrn mit Dreizack und Säbel, der | |
sich gerade selbst an einer Birne gütlich tut, während vor ihm magere | |
Kinder auf Knien die Hand aufhalten und militante Sozialistinnen die Kinder | |
mit Birnen versorgen. | |
Es wird Friedrich-Carl von Ribbeck nicht ganz leichtgefallen sein, 1998 in | |
das Dorf zurückzukehren, wo er kurz vor seiner Vertreibung die Schulbank | |
drückte. Als Enkel von Hans Georg Karl Anton von Ribbeck, dem letzten Herrn | |
von Ribbeck, der 1945 als überzeugter Gegner Hitlers im Konzentrationslager | |
Sachsenhausen ums Leben kam, kaufte er den Kutschpferdestall der Familie | |
zurück und begann, in Ribbeck Birnenessig herzustellen. | |
"Ich hätte ein schlechtes Gewissen, irgendwo anders zu leben. Wenn man eine | |
jahrhundertealte Ahnenreihe hinter sich weiß wie ich, fühlt man sich | |
einfach der Familientradition verpflichtet", erklärt er seine Entscheidung. | |
Anfänglich wurde ihm noch Misstrauen entgegengebracht. Doch mit der Zeit | |
wuchs eine neue Dorfgemeinschaft zusammen. Ausschlaggebend war wohl auch | |
von Ribbecks Engagement im Heimat- und Kulturverein, der Lesungen oder | |
Veranstaltungen wie die Ribbecker Sommernacht organisiert und sich für die | |
Sanierung des Schlosses starkgemacht hat. | |
Mit am Strang zog die aus Süddeutschland stammende Architektin Sonja | |
Hermann als Geschäftsführerin des Heimatvereins. Und Pfarrer Möhring | |
öffnete die Kirche für Besucher. | |
Gewiss, einen üppigen Birnbaum, an dem im Herbst die Früchte leuchten, | |
konnte auch er nicht aus dem Nachfolgegewächs jenes Exemplars zaubern, das | |
1911 einem Sturm zum Opfer fiel und dessen Stumpf noch in der Kirche steht. | |
Doch mittlerweile finden in dem barock überformten Saalbau aus dem 14. | |
Jahrhundert nicht nur Konzerte und Ausstellungen statt. Hier gibt es auch | |
täglich Kirchenkaffee mit Kuchen, den Frauen aus dem Dorf - wenn möglich | |
mit Birnen - backen. | |
Aus dem alten Pfarrgarten wurde ein freundlicher Bibelgarten, aus der | |
Dorfschule ein Museum mit Café und Fahrradverleih, in den umliegenden | |
Häusern siedelten sich Künstler an, hinter der Brennerei führt ein | |
liebevoll angelegter Barfußpfad zum Kinderbauernhof Marienhof. | |
Wichtigstes Projekt war jedoch die Wiedereröffnung des Schlosses. Nachdem | |
es schon 1375 als Rittersitz der Familie von Ribbeck erwähnt und im 19. | |
Jahrhundert unter Hans-Georg Henning von Ribbeck zum neobarocken Herrenhaus | |
umgebaut wurde, erstrahlt es heute in neuem Glanz. Hinter der freundlichen | |
Fassade finden Ausstellungen und Jazzkonzerte statt. | |
Außerdem gibt es ein Restaurant, ein Standesamt, und auch der | |
Tourismusverband des Havellands hat seinen Sitz von Rathenow | |
hierherverlegt. Offensichtlich gibt es keine bessere Visitenkarte der | |
Region als Fontanes Ribbeck, das sich erst zum Bilderbuchdorf und dann zur | |
touristischen Marke entwickelt hat. | |
"Stille deine Sehnsucht", lautet der Werbeslogan der Gegend. Und es sieht | |
tatsächlich so aus, als kämen die Besucher hierher, um ihre Sehnsucht nach | |
der guten alten Zeit zu stillen. Auch wenn es die, wie der Schriftsteller | |
Delius meint, vielleicht nie wirklich gegeben hat. Gut möglich, dass es dem | |
Dorf heute besser geht als je zuvor. Woran Fontanes Ballade über die gute | |
alte Zeit einen nicht unerheblichen Anteil hätte! | |
19 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
## TAGS | |
Reiseland Deutschland | |
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