# taz.de -- Verfallsdatum für Datenspuren: Alzheimer fürs Internet | |
> Das Netz vergisst nie, hieß es bisher. Jetzt arbeiten Forscher und | |
> Entwickler an Programmen, die Daten ein Verfallsdatum verpassen. Doch das | |
> Ausradieren ist nicht so leicht. | |
Bild: Internet mit Patina – kommen die Daten jemals ganz weg? | |
BERLIN taz | Uralte Saufgelage-Fotos, im Zorn geschriebene | |
Online-Kommentare und all die anderen Peinlichkeiten, die Suchmaschinen wie | |
Google, Bing und Yasni gespeichert haben - wie praktisch wäre es, wenn | |
diese Daten einfach irgendwann von selbst aus dem Netz verschwinden würden. | |
Selbst Innenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte in seiner | |
netzpolitischen Grundsatzrede im Juni Sympathie für die Idee eines | |
Verfallsdatums im Internet und eines "digitalen Radiergummis". Und griff | |
damit die Ideen des Wissenschaftlers Viktor Mayer-Schönberger auf, der | |
diese Idee schon vor einigen Jahren entwickelte. | |
Erste Anbieter und Entwickler arbeiten nun daran, das Gedächtnis des Netzes | |
mit Löchern zu versehen. Sie versuchen die Speicherdauer für Daten zu | |
beschränken. Der US-Dienst drop.io etwa, über den User bis zu 100 Megabyte | |
große Dateien austauschen können, fragt bei jedem Upload, nach welcher Zeit | |
die Daten wieder gelöscht werden sollen. | |
Noch einen Schritt weiter gehen der Saarbrücker Informatikprofessor Michael | |
Backes und sein Forscherteam von der Universität des Saarlandes: Sie | |
entwickeln eine Software, mit deren Hilfe man für alle Daten, die man ins | |
Netz stellt, ein Verfallsdatum festlegen kann. Nach Ablauf dieser Frist | |
kann die Datei nicht mehr aufgerufen werden. Möglich wird dies über einen | |
Schlüssel, mit dem die Datei versehen ist. | |
Zuerst einmal soll diese Software als Add-on für den Browser Firefox | |
entwickelt werden, die Entwicklung für andere Browser, etwa Microsofts | |
"Internet Explorer", soll folgen, stellt sich aber nach Angaben von Backes | |
komplizierter dar. Einen Prototyp für die Verschlüsselungssoftware, die | |
"X-pire!" heißen soll, wollen Backes und sein Entwicklerteam im September | |
fertigstellen, bis Ende des Jahres soll der Dienst auch für Normalnutzer | |
einsatzbereit sein. | |
"Wir lösen nur die Hälfte des Problems", räumt Backes ein. Daten, die | |
bereits im Netz stehen, können nicht mehr mit einem Verfallsdatum versehen | |
werden. Einen digitalen Radiergummi stellt seine Entwicklung also nicht | |
dar. Und auch für Neueingestelltes gibt es mit "X-pire!" keinen | |
hundertprozentigen Schutz: Wenn jemand etwa in der Zeit, in der die Seite | |
verfügbar ist, einen Screenshot anfertigt und veröffentlicht, kann dieser | |
auch noch später auffindbar sein. Die Software sei "gedacht für den | |
klassischen Endverbraucher", sagt Backes - Prominenten oder Firmen, deren | |
Daten im Netz viel schneller von anderen kopiert und anderswo ins Netz | |
gestellt werden, wird der Dienst wenig helfen. | |
An einem technischen Schutz davor, dass die Bilder und Textdaten im Cache, | |
also dem Gedächtnis von Suchmaschinen, landen, arbeiten Backes und seine | |
Mitarbeiter allerdings: Crawler, also Programme, die die Suchmaschinen | |
ständig nach neuen Informationen durchkämmen, wird der Zugang zu diesen | |
Daten erschwert, indem ein Passwort eingegeben werden muss, ehe die Daten | |
eingesehen werden können. So wird verhindert, dass Fotos und Textdateien | |
auch nach ihrem Verfallsdatum etwa über den Cache von Suchmaschinen, also | |
das Langzeitgedächtnis von Google und Co., einsehbar sind. | |
Der Entwickler der Idee des digitalen Vergessens, Viktor Mayer-Schönberger, | |
hält derartige Initiativen für "löbliche Ansätze", er erhofft sich davon | |
aber keine nachhaltige Lösung. "Hier liegt der Schwerpunkt zu stark auf | |
einer technischen Infrastruktur des Vergessens - und das Vergessen endet, | |
wo Schwachstellen in der technischen Lösung bestehen." Da eine vollständige | |
technische Lösung nicht zu erwarten sei, läge ihm aber vor allem etwas an | |
einer primär gesellschaftlichen Lösung - also daran, die Sensibilität für | |
die Vergänglichkeit von Informationen wieder zu schärfen. | |
20 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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