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# taz.de -- Reform der Wehrpflicht: Statisten in Uniform
> Am Montag stellt Verteidigungsminister zu Guttenberg seine Pläne zur
> Aussetzung der Wehrpflicht vor. Gehen dann nur noch Perspektivlose und
> Neonazis zum Bund? Nein, sagen Experten.
Bild: Grundausbildung bei der Bundeswehr: In Zukunft soll nur noch hin, wer sic…
Als Oberstleutnant Jürgen Rose im Oktober 1997 öffentlich die Aussetzung
der Wehrpflicht forderte, wurde er noch versetzt. "Strafversetzt", sagt er.
Unter dem Titel "Die allgemeine Wehrpflicht ist nicht zu halten" hatte er
einen Artikel für die FAZ geschrieben. Heute hat der oberste Befehlshaber
der Bundeswehr ähnliche Ziele: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu
Guttenberg (CSU) will die Bundeswehr verkleinern und nur noch Soldaten
rekrutieren, die sich freiwillig verpflichten. "Ich fühle mich bestätigt",
sagt Rose.
Der 52-Jährige ist mittlerweile im Vorstand der friedenspolitischen
Soldatenvereinigung Darmstädter Signal - und nicht mehr bei der Bundeswehr.
Der Umbau der Armee hätte schon viel früher beginnen müssen, meint er
heute. "Im Prinzip vor zwanzig Jahren." Denn nach dem Kalten Krieg hätten
ihre Aufgaben auch von einer Berufsarmee erledigt werden können.
"Die Begründung, dass die Wehrpflicht sicherheitspolitisch notwendig ist,
ist nach der Verfassung die einzig relevante", sagt Jürgen Groß, der an der
Universität Hamburg zu "Demokratisierung von Streitkräften" forscht. "Alle
anderen Gründe sind sekundär." Trotzdem weckt die Einführung einer
Berufsarmee auch andere alte Bedenken: Dass die Wehrpflicht für eine
Integration des Militärs in die Gesellschaft sorge; dass nur durch sie
Männer mit sehr unterschiedlichen Herkünften, Berufen und
Bildungshintergründen zur Bundeswehr kämen und dafür sorgten, dass sich die
Vielfalt der Gesellschaft dort abbilde.
Auf den ersten Blick stimmt das Klischee: Die Bundeswehr ist für bestimmte
Milieus besonders attraktiv. Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts
der Bundeswehr belegen, dass das Interesse mit dem Bildungsgrad abnimmt;
nur jeder fünfte Gymnasiast will Soldat werden - bei Haupt- und
Realschülern ist der Anteil doppelt so hoch.
Zerrbild statt Spiegelbild
Bei jungen Menschen aus Ost- und Norddeutschland ist das Interesse an einer
Karriere bei der Bundeswehr ebenfalls höher - für die Forscher ein Indiz,
dass die Bundeswehr vor allem in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit
attraktiv ist. Von der Bundeswehr erwarten Bewerber "sichere Arbeitsplätze"
und "umfangreiche Sozialleistungen".
Zwar sind unter jungen Menschen linke Einstellungen überdurchschnittlich
verbreitet, für das Militär interessieren sich laut einer Studie aber vor
allem Männer mit konservativen und rechten Einstellungen. In einer
Untersuchung, die 2009 veröffentlicht wurde, fanden die Forscher heraus,
dass etwa 13 Prozent der Studenten an Bundeswehruniversitäten politischen
Zielen der "Neuen Rechten" zustimmten. Und so nährt sich das Vorurteil:
Wenn die Wehrpflicht ausfiele, würden bei der Bundeswehr nur Neonazis und
Hauptschüler landen.
Beim genaueren Hinsehen bleibt das allerdings ein Vorurteil. Zwar reicht
für den einfachen Soldatenberuf ein Hauptschulabschluss aus, wer aber in
Führungspositionen will, muss studiert haben. Zwar haben viele Soldaten
konservative oder gar nationalkonservative Einstellungen, doch die meisten
rechtsextremen Vorkommnisse, die registriert werden, gehen regelmäßig auf
Grundwehrdienstleistende zurück. "Viele Soldaten in der Bundeswehr sind
sehr intelligent", sagt auch der ehemalige Offizier Rose. "Und
rechtsextremen Grenzüberschreitungen wird mit brachialer Härte begegnet.
Jemand, der auf diese Weise auffällt, macht keine Karriere."
Es ist auch unwahrscheinlich, dass sich nach einer Abschaffung der
Wehrpflicht viel ändern würde. Schon heute wird nur noch ein Bruchteil
eines Jahrgangs eingezogen. Wer den Grundwehrdienst antritt, tut es, weil
er es will. Von 450.000 Männern, die 2008 gemustert wurden, gingen 2009 nur
60.000 zur Bundeswehr. Eine größere Zahl, nämlich 90.000 Männer,
verweigerten und mussten stattdessen zum Zivildienst.
Innerhalb der Bundeswehr stehen den Wehrpflichtigen dreimal so viele
Berufs- und Zeitsoldaten gegenüber. "Sie besetzen die Führungspositionen,
während die Grundwehrdienstleistenden einfache Soldaten sind, die wenig
Einfluss haben und an Auslandseinsätzen sowieso nicht teilnehmen können",
sagt Jürgen Groß von der Uni Hamburg. "Ihr integrierender Einfluss wird
überschätzt. Statt Staatsbürger sind sie eher Statisten in Uniform."
Frieden ohne Wehrpflicht
Die Abschaffung der Wehrpflicht könnte stattdessen für eine Reihe positiver
Auswirkungen sorgen. "Bei einer Freiwilligen- oder Berufsarmee würde die
Hemmschwelle für Interventionen im Ausland steigen", argumentiert Jürgen
Rose, der den Bundeswehreinsatz im Kosovo für nicht "hinreichend völker-
und verfassungsrechtlich legitimiert" hielt und sich aus Gewissensgründen
von seinen Aufgaben in Verbindung mit dem Afghanistankrieg entbinden ließ.
"Berufssoldaten stimmen mit den Füßen ab, wenn sie für eine Sache sterben
könnten, von der sie nicht überzeugt sind."
Was allerdings gesichert bleiben müsse, sei ein ständiger Austausch mit der
Gesamtgesellschaft. Für Jürgen Rose sorgen der Wehrbeauftragte, der
Verteidigungsausschuss oder der Bundeswehrverband für viel effektiveren
Kontakt in die Zivilgesellschaft und zu demokratischen Institutionen. Der
Forscher Jürgen Groß befürwortet eine Bundeswehr, die vorwiegend aus
Zeitsoldaten besteht und in der nur wenige Berufssoldaten die höchsten
Ränge besetzen.
"Rein gesellschaftlich ist die Wehrpflicht für die Bundeswehr auch ein
Handicap", sagt Groß. "Denn wer nicht zur Bundeswehr will, muss eine
grundsätzliche Gegenposition aufbauen, um den Kriegsdienst verweigern zu
können. Das ist bei keiner anderen Institution der Fall: Wer nicht zur
Polizei will, tut es eben nicht und muss das nicht begründen."
Andererseits sorgt die Musterung bei vielen jungen Männern für den ersten
Kontakt mit der Bundeswehr. Ohne die Wehrpflicht müsste das Militär noch
mehr für sich werben. Derzeit liegt es hinter diversen Unternehmen,
öffentlichen Universitäten und der Polizei auf Platz 20 der attraktivsten
Arbeitgeber.
20 Aug 2010
## AUTOREN
Lalon Sander
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