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# taz.de -- Prozesse nach dem Klimagipfel: Die gefährliche Pappwaffe
> In Dänemark gehen die Prozesse rund um den Kopenhagener Klimagipfel 2009
> weiter. Auf der Anklagebank sitzen Umweltaktivisten, aber auch der
> dänische Staat.
Bild: Polizeieinsatz gegen Demonstranten beim Klimagipfel in Kopenhagen.
STOCKHOLM taz | Mehr als 2.000 DemonstrantInnen waren während der Proteste
gegen den Weltklimagipfel im Dezember des vergangenen Jahres in Kopenhagen
vorübergehend festgenommen worden. Gegen einige will die dänische Justiz
nun wohl ein Exempel statuieren.
Am Dienstag wird der schon im März begonnene Prozess gegen die Australierin
Natasha Verco und den US-Amerikaner Noah Weiss fortgesetzt. Aktiv beim
BUND-Dachverband Friends of the Earth waren beide am 15. Dezember
"vorbeugend" verhaftet und drei Wochen lang in Untersuchungshaft gehalten
worden. Die Besonderheit der Anklage gegen sie: Die Staatsanwaltschaft
wirft ihnen Anstiftung zu Gewalttaten vor, die nie stattgefunden haben.
Ihr vermeintliches Wissen über angeblich geplante, aber nie realisierte
Proteste hat die Anklagebehörde aus dem umstrittenen umfassenden
Lauschangriff gewonnen, dem hunderte KlimaaktivistInnen im Vorfeld des
Gipfels ausgesetzt waren. Dumm nur, dass das, was die Polizei da mithörte,
extrem auslegungsfähig ist. So war in der Handykommunikation von Verco und
Weiss von einem "großen Bolzenschneider" die Rede, den die beiden dann
schon vor fünf Monaten dem Gericht präsentierten: über drei Meter hoch und
hergestellt aus Pappmachee. Als Symbol gedacht, um auf einer Demonstration
mitgeführt zu werden, die sich gegen die Behandlung von Klimaflüchtlingen
richtete, die man in Asyllager einsperrt.
"Angeklagt wird ja im Prinzip das, was die Polizei glaubt, dass die
Angeklagten drei Monate lang gedacht haben sollen", sagt Steen Leonhardt
Frederiksen, ein Rechtsanwalt der Angeklagten. Ihm ist eine solch diffuse
Anklage "in meiner gesamten Berufslaufbahn nicht begegnet". Dass sie im
Prinzip eine "Kaffeesatz"-Anklage vertritt, bestreitet auch Staatsanwältin
Line Steffensen nicht: "Wir haben in eine Kristallkugel geschaut und
beschrieben, was hätte geschehen können, wenn die Planungen verwirklicht
worden wären."
Bis zum 31. August soll nun vor dem Amtsgericht Kopenhagen verhandelt
werden über die strafrechtliche Relevanz von Unterstellungen, Auslegungen
und Vermutungen der Polizei, die diese aus Gesprächsfetzen und SMS der
abgehörten Handykommunikation der 34- und des 27-Jährigen, aber auch
Dritter gewonnen hat. "Bei diesem Prozess geht es nicht nur um den Versuch,
Unschuldige zu verurteilen", sagt Laura Jørgensen vom Aktivistennetzwerk
Klimakollektivet (Klimakollektiv), "sondern der Staat will Menschen, die
demonstrieren oder sich politisch organisieren, einschüchtern." Für den
letzten Verhandlungstag hat Klimakollektivet vor dem Gerichtsgebäude am
Kopenhagener neuen Markt, dem Nytorv, zu einer Demonstration aufgerufen.
([1][www.klimakollektivet.dk/post/84]) .
Schon am heutigen Montag wird ebenfalls vor dem Amtsgericht Kopenhagen ein
ebenfalls im Frühjahr begonnener Prozess fortgeführt, bei dem der dänische
Staat auf der Anklagebank sitzt. Dabei geht es um die Rechtmäßigkeit der
größten Massenverhaftung in der dänischen Geschichte. Bei der waren auf
Grundlage des vor dem Klimagipfel extra verabschiedeten "Lümmelgesetzes" am
12. Dezember rund 1.000 DemonstrantInnen auf der Kopenhagener Amagerbrogade
verhaftet und danach stundenlang in den Käfigen eines provisorischen
"Klimagefängnisses" festgehalten worden.
250 der damals Verhafteten haben eine Sammelklage erhoben und verlangen
Schadenersatz von insgesamt umgerechnet rund 400.000 Euro wegen
ungerechtfertigter Freiheitsberaubung. Nach monatelanger Beweisaufnahme,
der nun die Plädoyers der Prozessbeteiligten folgen sollen, sieht es
schlecht aus für die Staatsgewalt: Den erforderlichen Beweis, dass es
damals am Ort der polizeilichen Massenverhaftung eine solche Bedrohung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung gab, die diese Aktion gerechtfertigt
hätte, konnte die Polizei nach Meinung der meisten Prozessbeobachter nicht
erbringen. Das könnte nun nicht nur teuer werden für das Königreich
Dänemark, ein Prozessausgang zugunsten der Verhafteten dürfte in Zukunft
auch solche Massenverhaftungen friedlicher DemonstrantInnen erheblich
erschweren.
22 Aug 2010
## LINKS
[1] http://www.klimakollektivet.dk/post/84
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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