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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Konservatismus gesucht
> Alle Parteien kranken an einem intellektuellen Vakuum - auch die rechts
> von der Mitte. Aber Abhilfe ist möglich. Wie wär's mit einem
> konservativen Kommunitarismus?
Im politischen Spektrum Deutschlands gibt es seit […] Helmut Kohl ein
Vakuum auf der Rechten", schreibt Norbert Bolz in einem Beitrag zur
"Konservatismusdebatte" der CDU (Tagesspiegel vom 12. 8.). Ein Vakuum im
Spektrum? Nun ja, das Turbodenken fordert eben seinen Tribut.
Nach Merkels Sozialdemokratisierung der CDU, meint der Professor für
Medienberatung, klaffe am rechten Parlamentsrand eine Marktlücke: für eine
Partei, die - ja, wem wohl? - "den Erfolgreichen […] eine neue geistige,
nämlich konservative Heimat anbietet". Eine solche Rechtspartei müsse aus
dem "Volk", genauer aus der Gruppe der "frustrierten Unionswähler"
hervorgehen.
Rechte Starintellektuelle
Nun, der "Konservatismus" bei diesen Leuten, dargelegt etwa im "Manifest
gegen den Linkstrend", zeichnet sich durch Klarheit aus: Ethnozentrismus,
Antifeminismus und Rassismus der Intelligenz. "Anspruchsvoller", also durch
Unschärfe abgesichert, findet sich derlei schon in Bolz Publizistik:
"Eigentum ist der Stachel im Fleisch der Looser" oder: die "wirkliche Wunde
sind die biologischen Unterschiede" etc. Doch, so Bolz weiter, zunächst
müsse die Tabumacht der "Medienlinken" gebrochen werden. Dabei dächten all
die politisch korrekten Professoren und Journalisten ja wie Sarrazin,
müssten aber, "um überleben zu können", tagtäglich ihre Überzeugungen
verraten. Nur das "Coming-out rechter Starintellektueller" vermöge diese
verlogene Hegemonie zu brechen.
Brillantfeuerwerk von gestern, getreu der Maxime: "Wer ,in' sein will, muss
,far out' sein." Schade, denn die "anspruchsvolle" Auseinandersetzung über
einen zeitgemäßen Konservatismus könnte das intellektuelle Vakuum aller
Parteien füllen.
Drei von vier Deutschen würden Opfer bringen für eine "neue
Wirtschaftsordnung", in der nicht materieller Wohlstand, sondern Umwelt und
sozialer Ausgleich an erster Stelle stehen. Krankmachende
Arbeitsverhältnisse, die Agonie der Städte, die Monetarisierung des
Familienlebens, der bürokratische Etatismus im Bildungs-und Sozialwesen,
der kommerziell angeheizte Hedonismus, die Zerstörung des Mittelstandes -
all das verstärkt nicht nur Ungleichheit (das Thema der Linken), sondern
untergräbt auch substanzielle konservative Lebensformen.
Ein Konservatismus, der auf Bewahren und Vorsorge setzt, wäre gegenüber dem
Marktradikalismus um einiges kritischer als die wachstumsselige SPD. Von
deren linken Kritikern unterschiede ihn nicht der Antikapitalismus, sondern
seine aus Traditionalismus und finanzpolitischem Realismus stammende
Skepsis gegenüber staatlichen Bürokratien. Keynesianismus bei sinkendem
Wachstum führt demgegenüber zu einer Dauersubventionierung von
Staatsgläubigern. Stattdessen setze Konservatismus auf die Stärkung der
Kommunen, auf Autonomie für Schulen, auf Genossenschaften, Sparkassen und
Bürger-Aktien-Gesellschaften, kurz, auf regionale "Neugründungen" der
Gesellschaft. Damit wären Konservative gute Nachbarn einer grün-libertären
Linken.
Modell Stuttgart
Der Protest gegen "Stuttgart 21", die Aktion "Schule in Freiheit",
"partizipative Budgets", der Kampf um Stadtwerke, ein soziales Jahr oder
Biogenossenschaften sind weder "rechts" noch "links", sondern
zukunftszugewandt und auf gesellschaftliche Kohärenz gerichtet. Die
Stärkung eines ebenso "konservativen" wie "progressiven" Kommunitarismus
könnte Sicherheitsnetze gegen wirtschaftliche Abstürze schaffen,
Infrastrukturnetze für den ökologischen Umbau, soziale Netze für Pflege,
Nachbarschaftshilfe und regionales Wirtschaften.
Ein solchermaßen radikaler Konservatismus würde sich allerdings mit fast
allen anlegen: den Kapitalgesellschaften und den Gewerkschaftern des
öffentlichen Dienstes, den Besitzindividualisten, den Profiteuren des
Massenhedonismus. Bei vielen Bürgern hingegen dürfte er auf Zustimmung
stoßen - nicht von ungefähr kam bei Anne Will der mittelständische
Unternehmer Ernst Prost so gut an. Er klagte eine Erhöhung des
Spitzensteuersatzes und einen sparsameren Staat ein. Außerdem trat er mit
altbackenen Begriffen wie Respekt, Anstand, Fleiß, Demut für Mindestlohn
und Vollbeschäftigung ein, weil "Arbeit mit Einkommen der Schlüssel zur
Gesundung unserer Gesellschaft ist".
Das Neue ist ja schon da
Als Partei aber wird sich ein solcher Konservatismus schwerlich
organisieren lassen. Bis auf die Linken und die FDP sind alle Parteien
gespalten in Kollektivisten und Individualisten, Staats- oder
Marktverfechter, Zentralisten und Lokalisten. Aber eine von starken Ideen
getragene Vernetzung all der Initiativen, Fonds, Stiftungen,
Genossenschaften könnte Druck auf die Politik ausüben, umso mehr als in
lokalen und regionalen Initiativen die Erneuerung nicht nur gefordert wird,
sondern praktisch geschieht - und das relativ undogmatisch.
Nicht eine neue Partei tut Not, sondern eine stärkere nationale
Sichtbarkeit der "tausend Blumen", und eine Diskussion, die über Akademien
und Internetforen hinausginge und dadurch parlamentarische Aktionen
stimulieren könnte. Eine solche Bündelung braucht in der medialen
Demokratie vielleicht wirklich ein paar "Starintellektuelle". Es gab einmal
eine Zeit, in der diese darin wetteiferten, soziale Fantasie mit der "Kraft
der Zuspitzung" in politikfähige Formen zu bringen und damit das
Richtungsdenken zu demontieren - das schönste Beispiel für mich ist immer
noch Enzensberger "Plädoyer für den Hauslehrer" von l982. Es ist ein
verführend vernünftiger Vorschlag zur Verwandlung von Schulen in flexible
Lern- und Erfahrungsgruppen.
Heute ginge es um eine kluge Kampagne für kommunale Finanzautonomie oder
die Anwendung des Artikels 14,2 GG mit seiner "unzweideutigen"
Verpflichtung. Anfangen könnte das - weil dort die Ideologie und der
positionelle Machtkampf politischer Profis eine geringere Rolle spielen -
an "Runden Tischen", die, indem sie eine Kommune oder einen Landkreis
umkrempeln, eine weiterreichende Bewegung in Gang setzen, die nicht links
und nicht rechts, sondern morgen und übermorgen im Panier trüge.
24 Aug 2010
## AUTOREN
Mathias Greffrath
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