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# taz.de -- Merkels gescheiterte Energie-Tournee: Die Atomreise
> Kanzlerin Angela Merkel bekommt die Atomfrage nicht in den Griff. Eine
> ganze Zeit lief alles eigentlich ganz gut – doch spätestens seit der
> Anzeige der Atomlobbyisten aber nicht mehr.
Bild: Mr. Burns frohlockt: Plakat eines Demonstranten in Heidenheim.
Plötzlich steht er da, in der Kantine, im fahlen Neonlicht neben den
Gummibäumen. Der massige Mann, der immer ein bisschen an Peter Ustinov
erinnert. Greift sich mit seinen fleischigen Händen die Kelle und schöpft
sich aus der Suppenschüssel eine Tasse westfälische Hochzeitssuppe ein.
Nimmt sich noch ein belegtes Brötchen vom Tablett. Das Wasser rinnt ihm von
der Stirn. Man weiß nicht genau, ob es nass ist vom Regen draußen oder ob
er so schwitzt.
Dann lässt sich Jürgen Großmann auf einen Stuhl fallen, setzt sich zwischen
die Journalisten, die auf den nächsten Auftritt der Bundeskanzlerin warten.
Gerade hat der RWE-Vorstandschef Angela Merkel durch das Kernkraftwerk
Emsland geführt, seit 1988 am Netz, eines der jüngsten in Deutschland.
Großmann zählt zu den Managern, die stolz sind auf ihr gutes Verhältnis zur
Politik. Einst hatte er das größte niedersächsische Stahlwerk gerettet, das
verschaffte ihm den Respekt Gerhard Schröders. Auch sein Verhältnis zu
Angela Merkel galt als gut, bisher jedenfalls. "Ich kenn' sie ja nun schon
ein paar Jahre", sagt er lässig.
Es lief ja auch alles ganz gut, bis zum vergangenen Wochenende. Merkel
stand unter dem Druck der Konservativen in den eigenen Reihen, die in einer
massiven Verlängerung der Atomlaufzeiten plötzlich ein Identitätsthema
entdeckt hatten. Die neue Familienpolitik haben sie geschluckt, das
Bekenntnis zum Einwanderungsland, sogar eine Frau als Kanzlerin. Jetzt
wollten sie die Zukunft Deutschlands nicht auch noch auf Windräder und
Solardächer bauen.
Dann hatten Großmann und seine Freunde die Idee, mit Zeitungsannoncen für
ihr Anliegen zu werben. Seitdem tun Merkel und die CDU-Spitze alles, um
nicht als Getriebene der Konzerne dazustehen. "Bei mir ist das immer so:
Wenn irgendetwas in Richtung einer Drohung oder eines Gepresstwerdens
führt, dann führt das bei mir meistens zu einer totalen Gegenbewegung",
sagte sie in einem Interview. Ein zweiter Beitrag der Industrie sei nötig,
über die geplante Brennelementesteuer hinaus, das sagt sie auch hier im
Emsland.
Es ist nicht das erste Mal, das sich Merkel von deutschen Managern im Stich
gelassen fühlt. So war es schon, als sie im Herbst 2008 gemeinsam mit der
SPD die Banken rettete und Branchenprimus Josef Ackermann die Hilfen nicht
nur ablehnte, sondern gleich neue Traumrenditen anpeilte.
Vier Tage lang hat Merkel Windräder besichtigt, Gasturbinen und
Wasserkraftwerke. Sie wollte demonstrieren, dass es beim Energiekonzept der
Regierung um mehr geht als nur ums Atom. In der bundesdeutschen Geschichte
hat es Regierungen nie gutgetan, wenn sie Entscheidungen ihrer
Vorgängerinnen rückgängig machen wollten. Die Atomfrage, einmal
aufgeworfen, bekommt Merkel kaum noch eingefangen. Schon einmal, vor zwei
Jahren, unternahm Merkel eine solche Reise bei einem Thema, bei dem sich
nicht mehr weiterwusste. Damals ging es um die Bildung, und die
beabsichtigten Reformen scheiterten nachher an den Ländern.
So wurde ihre Tour spätestens mit der Anzeige zu dem, was sie eigentlich
nicht sein sollte: zu einer Atomreise. Nirgends ist der Andrang der Medien
so groß wie am Atomkraftwerk, nirgends ist der Gruselfaktor größer.
Kühlturm, Reaktorkuppel und Abluftkamin ragen in den trüben norddeutschen
Himmel, aus dem es den ganzen Tag lang regnet. Graben, Betonzaun,
Stacheldraht wecken Erinnerungen an die DDR. Auf Eisenbahnwaggons dampfen
Rohre in dem kühlen Wetter vor sich hin.
Tags darauf, am Freitagmittag, landet Merkel mit dem Hubschrauber in
Rheinfelden. Ein geteilter Ort an der deutsch-schweizerischen Grenze, ein
paar Kilometer flussaufwärts die Baustelle eines großen Wasserkraftwerks,
eines der größten seiner Art. Kommendes Jahr soll es in Betrieb gehen.
Ministerpräsident Stefan Mappus ist schon da, sein Sprecher redet unentwegt
auf ihn ein. Mappus hat die Atomdebatte in der CDU erst so richtig
losgetreten, sogar den Rücktritt von Bundesumweltminister Norbert Röttgen
gefordert. Damals, zu Jahresbeginn, als Röttgen gesagt hatte: "Die CDU muss
sich gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem
Alleinstellungsmerkmal machen will."
Anders als tags zuvor in Lingen ist Röttgen hier an der Schweizer Grenze
nicht dabei, wegen eines Trauerfalls. Zu einem Showdown wäre aber auch ein
Zusammentreffen der beiden Kontrahenten nicht geworden. Mappus zieht sich
an diesem Morgen lieber auf Allgemeinplätze zurück. "So lange wie nötig, so
kurz wie möglich" wolle er die Laufzeiten verlängern, sagt er. Bei einem
Atomausstieg nach dem geltenen rot-grünen Plan müsse Baden-Württemberg
schon in einem guten Jahrzehnt siebzig Prozent seines Stroms aus
erneuerbaren Quellen beziehen. "Jeder weiß, dass das nicht geht", sagt er.
Gekommen ist auch der Bürgermeister der deutschen Stadt Rheinfelden,
Eberhard Niethammer, ein CDU-Mann und bodenständiger Südbadener. Er lobt
das neue Wasserkraftwerk, das demnächst 170.000 Haushalte mit Strom
versorgen soll. Und er findet, die Regierung solle die Laufzeitverlängerung
so knapp wie möglich bemessen. "Das ist doch die Position des
Bundesumweltministers, oder?", fügt er noch hinzu.
Ob Mappus klug beraten war, sich in der Atomfrage so zu exponieren? Dazu
will Niethammer lieber nichts sagen. Inzwischen steht Mappus auch wegen des
Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 unter Druck, im Frühjahr ist in
Baden-Württemberg Landtagswahl. Seit seinem Amtsintritt als
Ministerpräsdient müht er sich um ein moderateres, weniger konservatives
Image.
Hat sich Mappus mit dem Atomthema verspekuliert, wie man in Röttgens
Umgebung glaubt?
Es ist ja nicht so, dass die Basis der Unionsparteien von längern
Atomlaufzeiten durchweg zu begeistern wäre. Nicht mal in den drei
Bundesländern, deren schwarz-gelbe Regierungen offiziell eine möglichst
lange Betriebsdauer der Meiler fordern. In der niederbayerischen
Bezirkshauptstadt Landshut hat die CSU-Stadtratsfraktion die plangemäße
Abschaltung des nahegelegenen Atomkraftwerks Isar 1 verlangt, auch die CSU
im unterfränkischen Schweinfurt plädiert gegen eine verlängerte Laufzeit
für den Reaktor im nahegelegenen Grafenrheinfeld. Im rheinland-pfälzischen
Worms sprach sich die CDU gegen den Weiterbetrieb des Kraftwerks Biblis auf
der anderen Rheinseite aus. In Baden-Württemberg schließlich wurde die
Antiatombewegung überhaupt erst geboren, als die Anwohner des Kaiserstuhls
das geplante Atomkraftwerk Whyl verhinderten.
Basisproteste gibt es allerdings auch gegen den Ausbau der erneuerbaren
Energien. Beim Gang übers neue Rheinfeldener Wehr konnte Merkel auf eine
Felsformation hinunterschauen, die vom Wasser fast so wildromantisch
überspült wird wie knapp hundert Kilometer flussaufwärts am Rheinfall. Das
"Gwild", das Umweltschützer seinerzeit durch den Kraftwerksbau in Gefahr
sahen. Gestritten wird heute noch unter Lokalpolitikern und
Denkmalschützern um den Abriss des alten Wasserkraftwerks, das durch die
neue und leistungsstärkere Anlage nun überflüssig wird. Vor Jahrzehnten
versenkte man zugunsten der Wasserkraft ganze Alpentäler samt zugehöriger
Dörfer. Daran ist heute ohnehin nicht mehr zu denken.
Eine "Lernreise" nannte der neue Regierungssprecher Steffen Seibert Merkels
Tour. Im Atomstreit lernt die Kanzlerin tatsächlich täglich Neues, wenn
auch nicht beim Besuch von Kraftwerken. Welche Energie werden wir in
Zukunft brauchen, wie können wir sie erzeugen? Wie viel an
Laufzeitverlängerung ist ohne den Bundesrat möglich? Was sollen die
Konzerne dafür bezahlen? Viele Fragen haben sich heillos verknotet. Gut
möglich, dass die schwarz-gelbe Koalition sich einmal mehr verheddert. Aber
vielleicht auch eine Chance für Merkel. Wie auch immer sie am Ende
entscheidet, Begründungen und Vorwände wird sie in den Gutachten schon
finden. Auch gegen die Erzeuger.
Nur einen Konflikt, den hat sie auf der Reise immerhin schon mal abgeräumt.
Der neue niedersächsische Ministerpräsident David McAllister hatte die
Debatte zuletzt um den Vorschlag bereichert, die Länder sollten doch
bitteschön an der neuen Brennelementesteuer finanziell beteiligt werden.
Davon war er nach seinem kurzen Zusammentreffen mit der Kanzlerin nicht
mehr ganz so überzeugt. "Ich habe lediglich um eine interne Prüfung
gebeten", sprach er ganz brav in den niedersächsischen Regen. "Das ist noch
lange keine Forderung."
Eine "Lernreise" sollte es werden. Im Atomstreit lernt die Kanzlerin
tatsächlich täglich Neues, wenn auch nicht beim Besuch von Kraftwerken
taz_akt_302339
27 Aug 2010
## AUTOREN
Ralph Bollmann
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