# taz.de -- Hessen neuer Ministerpräsident: Der Mann fürs Gröbere | |
> Volker Bouffier wurde heute zum hessischen Ministerpräsidenten gewählt. | |
> Er gilt als leutseliger, aber auch als ungeschliffener als sein Vorgänger | |
> Roland Koch. | |
Bild: Ministerpräsident – ganz ohne lästige Wahlkämpfe: Volker Bouffier. | |
Hessens seit heute ehemaliger Ministerpräsident Roland Koch blieb die | |
letzten Tage so umtriebig, als wolle er gar nicht gehen. Zu allem und jedem | |
erklärte er sich: Atomlaufzeiten, Dienst- und Wehrpflicht, | |
Gratis-Schulfrühstück. Umso zurückhaltender war sein Nachfolger und | |
Parteifreund Volker Bouffier (58). Keine Interviews vor Amtsantritt - | |
stattdessen Urlaub auf Ibiza. Der Mann machte sich in den letzten Wochen | |
ungewohnt rar. | |
Er muss ja auch bis zu den nächsten Landtagswahlen 2014 keinen Wahlkampf | |
führen. Ihm ist die Macht nach der überraschenden Rücktrittserklärung Kochs | |
im Mai 2010 in den Schoß gelegt worden. Am heutigen Dienstag wurde er nun | |
formal von Hessens Parlament als Nachfolger bestätigt. Bouffier erhielt in | |
geheimer Wahl 66 von 116 abgegebenen Stimmen der Abgeordneten des | |
hessischen Landtags. Damit gab es keine Abweichler in den Reihen der | |
Regierungsfraktionen CDU und FDP. Die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen | |
und Linkspartei hatten Nein-Stimmen angekündigt. Gegen Bouffier votierten | |
schließlich 50 Parlamentarier. | |
Auch Bouffier ist einer von der "Tankstelle", jenem legendären Bündnis, das | |
aufstrebende Jungunionisten einst im Hinterzimmer der hessischen | |
Autobahnraststätte Wetterau geschmiedet haben sollen. Zusammen mit Koch | |
soll er auch dem Andenpakt verschworen sein, einer Seilschaft, die sich | |
während einer Flugreise gegenseitigen Beistand versprach, auch | |
Bundespräsident Christian Wulff und Saar-Ministerpräsident Peter Müller | |
gehörten dazu. | |
Fest steht, dass Bouffier immer wieder zugunsten von Koch zurückgesteckt | |
hatte, sich trotz guter Chancen nicht gegen den Duzfreund stellte, als der | |
1999 CDU-Spitzenkandidat werden wollte. Fest steht auch, dass Kochs Vater, | |
damals Justizminister, Bouffier zum Staatssekretär machte, als er kein | |
Landtagsmandat errang. | |
In Kochs Kabinett blieb er elf Jahre lang brav in der zweiten Reihe. So eng | |
die Verbindung der beiden Juristen sein mag, so unterschiedlich sind ihre | |
Mentalitäten. Koch, der leicht unterkühlt wirkende Verstandesmensch mit der | |
ironischen Schärfe und dem verhaltenen Lausbubencharme, hart in der Sache, | |
bleibt meist verbindlich im Ton. Bouffier dagegen tritt mit Machopose an, | |
mit bullig derber Rechtslastigkeit, aber auch einem Hang zur geselligen | |
Leutseligkeit. | |
Das ist nicht jedermanns Sache, dennoch gilt Bouffier in den eigenen Reihen | |
als beliebt, ein Familienmensch und guter Kumpel. Er kündigte an, dass er | |
die Landespolitik seines Vorgängers Koch zwar allerbestens finde, einfach | |
genauso weitermachen wolle, nichtsdestotrotz aber offen für "Neues" sein | |
werde. Sein neues Kabinett solle deshalb sowohl jünger als auch weiblicher | |
werden. | |
Dennoch ging ihm im Vorfeld eine der wenigen hessischen CDU-Führungsfrauen | |
von der Stange. Umweltministerin Silke Lautenschläger demissionierte kurz | |
nach dem Abgang ihres Förderers Koch. Finanzminister Karlheinz Weimar, | |
immer wieder in Schwierigkeiten, sei es mit der Steuerfahnderaffäre oder | |
wegen der enormen Verschuldung des hessischen Landeshaushalts, erklärte | |
ebenfalls seinen Abgang. Auch Sozialminister Jürgen Banzer, einst | |
Hoffnungsträger und potenzieller Konkurrent Bouffiers, wird der neuen | |
Regierungsriege nicht mehr angehören. | |
Volker Bouffier ist - im Gegensatz zu Koch - bisher kein Mann der großen, | |
sondern eher einer der fortlaufend kleineren Skandale. Gleich nach seinem | |
Amtsantritt als Innenminister musste er sich des Vorwurfs des | |
Mandatsverrats erwehren, weil er in einem Scheidungsverfahren nicht nur den | |
Ehemann, sondern auch dessen Frau juristisch beraten hatte. Er zahlte | |
damals eine Geldbuße von 8.000 Euro. | |
Immer wieder erregte er durch Hardliner-Forderungen und Entscheidungen im | |
Bereich innere Sicherheit, Überwachung und Datenschutz Aufsehen. 2006 | |
scheiterte er mit der verschärften Rasterfahndung vor dem | |
Bundesverfassungsgericht. Die letzten Monate bekam er seine schlechte | |
Presse dafür, dass er einen Parteifreund aus seiner Heimatstadt Gießen zum | |
Chef der Bereitschaftspolizei machte. Die Opposition setzte einen | |
Untersuchungsausschuss ein. | |
Und schon droht neues Ungemach. Ein Gießener Lokal-Anarchist und Intimfeind | |
von Bouffier soll mit dessen Wissen oder Billigung tagelang unrechtmäßig | |
inhaftiert worden sein. In Gießen profilierte sich Bouffier seit Längerem | |
durch einen Kleinkrieg gegen örtliche Linke. Eher unfreiwillig komisch | |
endete die Katzenaffäre, bei der Bouffier vermutete, das Tier sei ihm als | |
Warnung von der Mafia oder wem auch immer vor die Tür gelegt worden. | |
Wahrscheinlicher blieb jedoch, dass es gar nicht seine Tür und das Tier ein | |
Verkehrsopfer gewesen war. Unvergessen bleibt eine Äußerung des | |
Innenministers zur Integrationspolitik, in der er feststellte, dass in | |
Deutschland deutsche Gesetze gelten, "und nicht die Scharia". Die | |
versprochene Erneuerung, so die Landtagsopposition von SPD, Grünen und | |
Linkspartei, sei in Hessen nicht in Sicht. Bouffier werde lediglich der | |
"Konkursverwalter" Kochs sein. | |
31 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Heide Platen | |
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