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# taz.de -- Designer stellt Pläne kostenlos ins Netz: Stühle zum Runterladen
> Der israelischer Designer Ronen Kadushin stellt die Pläne für seine Möbel
> frei zugänglich ins Internet. Je mehr Personen seine Modelle kopieren, um
> so bekannter wird er.
Bild: Open-design: Pläne für Möbel die man selbst bauen kann.
Die Sitzfläche des Stuhls ist eine glatte, dünne Metallplatte, die Lehne
auch. Rutscht man ein bisschen zur Seite und nach vorn, pikst sich eine
spitze Ecke in den Oberschenkel. Ein dutzend solcher Ecken und schmalen
Kanten hat der Aluminumstuhl "Hack Chair" des Designers Ronen Kadushin.
Manche genau auf Kleinkindkopfhöhe.
"Das ist der Vorteil von Open Design", sagt Ronen Kadushin. Er meint
natürlich nicht die Ecken. Er meint den Fakt, dass sie jeder schnell
beseitigen kann, der sie nicht mag. Kadushin sitzt in seinem kleinen
Arbeitszimmer in Berlin-Prenzlauer Berg am Bildschirm, klickt mit dem
Cursor auf einer Linie seines Entwurfs und zieht. Schon wird aus einer
Spitze ein runder Bogen. Die Schablonen für die Stuhlteile kann man sich
von Kadushins Internetseite herunterladen, kostenlos. Wer gern auf einem
Kunstobjekt sitzt, baut den Sitz aus Metall nach, wer Kinder hat, aus Holz
mit abgerundeten Kanten.
Der 45-jährige Designer Kadushin ist der Kopf einer Kreativbewegung, die es
sich zum Vorsatz gemacht hat, ihre Entwürfe der ganzen Welt zugänglich zu
machen. "Open Design" nennt sich das. Kadushin behauptet sogar von sich,
Open Design erfunden zu haben.
Bei Software gibt es die Philosophie schon lange. Wenn der Quellcode für
ein Programm offen zugänglich ist, jeder ihn optimieren kann, kommt am Ende
ein besseres Ergebnis heraus. Firefox, der Internetbrowser, der
mittlerweile der Microsoft-Konkurrenz den Rang abläuft, ist ein bekanntes
Beispiel. Dahinter steckt der Gedanke, dass man kein Produkt als vollendet
betrachten sollte. Auch keine Lampe, kein Regal.
Bei dem Israeli Ronen Kadushin führte eine Notlage zur Auseinandersetzung
mit dieser Idee. Als junger Designer in Israel fehlten ihm in seinem
Heimatland Produktionsstätten - Möglichkeiten, seine erste Reihe Möbel
herzustellen, gab es nur in Europa. Nach langer Suche fand er in Italien
endlich einen Produzenten, der bereit war, Stühle herzustellen. Der Vertrag
lief über fünf Monate. Nach vier Monaten rief der Italiener an und meinte,
ihm sei das Investment zu riskant. "Nachdem ich aufgehört hatte zu weinen,
begann ich mich zu fragen: Wie kann es sein, dass irgendein Art Director in
Italien über meine Karriere entscheidet?"
Das war im Jahr 2000. Kadushin begann sich mit der Situation von
Industriedesignern zu beschäftigen und stellte fest: Die Profession ist in
einer Krise. Produktdesigner sind abhängig von großen Konzernen, die ihre
Objekte anfertigen. "Nur eines von zwanzig Designs wird auf diesem Weg
tatsächlich hergestellt. Und die wenigsten überleben das erste Jahr."
Im Rahmen seiner Design-Masterarbeit griff Kadushin die aufkommende
Open-Source-Idee auf. Menschen sollen ihre Kenntnisse und ihr Wissen mit
anderen teilen und so ein neues Projekt schaffen, ein Gemeinschaftsgut.
Andere sollen das Entstandene frei nachbauen können - und vielleicht auch
selbst wieder zur Weiterentwicklung des Produkts beitragen.
Um die alten Produktionsschritte zu umgehen, müsse Design in Information
umgewandelt werden, so Kadushins Schlussfolgerung. Die Lösung für sein
Problem fand er in CNC-Maschinen, computergesteuerten Werkzeugen, mit denen
auch komplexe Werkstücke schnell hergestellt werden können. Anstatt eigens
angefertigter Werkzeuge brauchen die nur eine Datei und schon stanzt oder
fräst die Maschine die gewünschte Form. Das macht die Herstellung, auch von
kleinen Mengen, viel kostengünstiger.
Vor fünf Jahren zog Kadushin nach Berlin, um näher an den kulturellen
Zentren zu sein. Dort griffen junge Designer später im Projekt Betahaus
seine Ideen auf, gründeten unter dem Titel "Open Design City" eine Stätte
zur Kollaboration. In Werkstätten entwickeln sie gemeinsam Gegenstände. Die
Schwelle, einsteigen und mitmachen zu können, soll möglichst niedrig sein.
Welche Idee von wem stammt, ist im Endprodukt nicht mehr erkennbar.
Bei Ronen Kadushin ist das anders, er arbeitet lieber allein, lebt von
seinem Ruf. Seine Produkte vertreibt er über einen Händler und eine
Galerie. Dort kostet ein Stück auch mal über 8.000 Euro. Für das Abgucken
bei anderen interessiert Kadushin sich selten, aber er lässt bei sich
abgucken - in diese Richtung ist sein Design open.
Privatleute können Entwürfe kostenlos nachbauen, wer Stücke weiterverkaufen
will, muss jedoch Vertriebsrechte verhandeln. Eine Garantie dafür, dass
keine Firma seine Designs unerlaubt verkauft, hat Kadushin nicht. "Da kann
ich nichts machen", sagt er. "Das passiert doch überall. In China wird
gerade der Mercedes Smart kopiert. Was will man dagegen machen? China
verklagen? Ihre Copyright-Gesetze?" Die Leute würden herunterladen - ob mit
Erlaubnis oder ohne. Und er lebt auch davon: Je mehr seiner Produkte im
Umlauf sind, desto besser wird sein Ruf, desto mehr Leute kennen seine
Handschrift. Desto wertvoller wird auch sein Name.
Ronen Kadushin unterrichtet Open Design an Hochschulen. Nach drei oder vier
Jahren Studium seien die Studenten von der "Kirche der Massenproduktion"
indoktriniert, sagt er. Er will, dass sie daraus ausbrechen. Denn wer
Stabilität wolle, für den sei solch ein Leben nichts.
3 Sep 2010
## AUTOREN
Anna Wieder
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