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# taz.de -- Psychologe über Hooliganismus: "Manchmal reicht ein bisschen reden"
> Der Psychologe Clifford Stott meint, vor allem die Polizei muss umdenken,
> um Gewalt in den Fußballstadien zu verhindern. Den Groll der Fans gegen
> Stadionverbote findet er nachvollziehbar.
Bild: Ein Anhänger von Dynamo Dresden blutet nach einer Rangelei mit einem Pol…
taz: Mr Stott, wer ist schuld, wenn im Stadion die Fäuste fliegen: die Fans
oder die Polizei?
Clifford Stott: Tatsächlich löst meistens das Verhalten der Polizei die
Aggressionen aus.
Tritt die Polizei nicht an, die Gewalt im Stadion zu verhindern?
Ja, aber ob es zur Eskalation kommt, das hängt vom Miteinander der
beteiligten Gruppen ab. Die dominanteste, mächtigste Gruppe im Stadion ist
meistens die Polizei. Und wie die Polizei mit dieser Rolle umgeht, das ist
manchmal, wenn auch versehentlich, erst die Grundlage für das Eskalieren
einer Situation.
Welche Fehler begeht die Polizei immer wieder?
Sobald sie mit der Kontrolle von Massen beauftragt wird, neigt sie dazu,
Tumulte oder Ausschreitungen durch die Androhung von Gewalt im Keim
ersticken zu wollen. Wir aber haben bei der Erforschung von Gruppendynamik
herausgefunden: Wenn Gewalt unangebracht und undifferenziert angewendet
wird, werden erst die psychologischen Voraussetzungen für die Eskalation
einer Situation geschaffen. Wir nennen das eine "self-fulfilling prophecy":
Die Polizei denkt, dass Massen grundsätzlich gewalttätig und gefährlich
sind und tritt entsprechend auf. Genau diese Sichtweise aber legt
ironischerweise erst die Saat für die Gewalt.
Die Fans können nichts dafür?
Natürlich gibt es im Fußballpublikum Menschen, die gewaltbereit sind. Aber
ich denke, das Problem ist nicht, wie sich die Fans verhalten, sondern dass
Fans und Polizei langfristig gesehen zusammenarbeiten müssen. So simpel es
klingt: Der Dialog muss verstärkt werden.
Wie können sich Fans und Polizei besser austauschen?
Es müssen Kommunikationskanäle her - Fan-Projekte sind da sehr sinnvoll.
Sie sind eine effektive Art, Brücken zwischen Polizei und Fans zu bauen.
Borussia Mönchengladbach zum Beispiel ist vorbildlich bei der Vermittlung
zwischen beiden Gruppen. Aber die Kommunikationskanäle können gestört
werden durch übermäßige polizeiliche Kontrolle. Wir helfen der Polizei
dabei, zusätzlich zum Einsatz von Härte Handlungsalternativen zu
entwickeln, die auf Kommunikation beruhen.
Eine Botschaft, die selbstverständlich sein sollte …
… die aber tatsächlich ziemlich schwierig zu vermitteln ist, weil die
Polizei ihr Machtmonopol traditionell mit dem Einsatz von Gewalt
durchsetzt. Das muss sich ändern. Die Polizei muss Mittel und Wege finden,
ohne die Androhung von Gewalt mit Gruppen interagieren zu können. Das ist
nicht leicht. In Schweden und in Dänemark gibt es Einheiten, die sich
"Dialog-Polizei" oder "Event-Polizei" nennen. Deren Hauptaufgabe besteht
darin, persönliche Verbindungen zu den Fans aufzubauen. Dazu sind aber
große strukturelle, kulturelle und organisatorische Veränderungen innerhalb
der Polizei nötig. Wir hoffen, ab Oktober von der Europäischen Kommission
gefördert zu werden, um ein internationales Trainings-Programm entwickeln
zu können.
Gibt es denn bereits hoffnungsvolle Ansätze für ein friedliches Miteinander
beider Gruppen?
Ja, die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Damals wurde mit riskanten
Gruppen wie den englischen Fans hervorragend umgegangen. In Frankfurt
beispielsweise war ein engagiertes Team von kommunikativ vermittelnden
Polizisten im Einsatz. Teilweise waren große Gruppen englischer Fans
regelrecht auf der Suche nach deutschen Fans, um sich zu prügeln, aber die
Kommunikationsbeauftragten waren in der Lage, diese Situationen zu
deeskalieren.
Ein bisschen reden reicht da?
Ja, das reicht manchmal. Ein Beispiel: Deutsche Hooligans hatten englische
Fans in einer Bar in Frankfurt angegriffen. Am Tag danach sammelten sich
300 Engländer vor einer Kneipe um die Ecke. Es war klar: Sobald deutsche
Fans auftauchen, gibt es eine Schlägerei. Als das Gerücht aufkam, deutsche
Hooligans seien im Anmarsch, setzten sich 300 betrunkene englische Fans in
Bewegung, um sich mit den Deutschen zu prügeln. In diesem Moment fuhr die
Frankfurter Polizei an den Engländern vorbei und machte auf Englisch die
Lautsprecherdurchsage: "Geht doch bitte zurück zur Bar, es gibt kein
Problem. Das ist nur ein Gerücht." Alle englischen Fans sind umgedreht und
einfach zurück in die Kneipe gegangen. Anderswo wäre diese Gruppe
vielleicht mit bewaffneten Einsatzkräften konfrontiert worden und die
Situation wäre eskaliert.
Was halten Sie von Stadionverboten?
Das kommt auf die Art der Stadionverbote an. Sie können funktionieren, wenn
sie wohlüberlegt eingesetzt werden. Ich weiß, dass Fans in Deutschland
einen ziemlichen Groll hegen gegen Stadionverbote, und ich denke, dass
dieser Groll in gewisser Hinsicht gerechtfertigt ist. Denn Stadionverbote
greifen in das Grundrecht der Freizügigkeit ein und sollten deshalb von
einem ordentlichen Gericht verhängt werden. So wie bei uns in
Großbritannien, denn dann gibt es auch ein Berufungsrecht. In Deutschland
wird das ganz anders gehandhabt, hier verhängen die Vereine oder der DFB
selbst die Verbote, ohne Möglichkeit der Berufung. Es ist aber sehr
wichtig, dass solch ein Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt wird und
verhältnismäßig eingesetzt wird. Unser Argument ist: Wenn solch drastische
Maßnahmen wie Stadionverbote oder Einschränkungen der Grundrechte nötig
sind, dann sollte vielleicht die Polizei ihr Verhalten ändern.
Polizeieinsätze müssen angemessener ablaufen - das wäre die einfachste
Lösung des Problems.
7 Sep 2010
## AUTOREN
Juliane Bender
## TAGS
Fußballspiele
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