# taz.de -- Deutsche Muslime wenden sich an Wulff: "Sie sind unser Präsident" | |
> Offener Brief deutscher Musliminnen und Muslime an den Bundespräsidenten | |
> Christian Wulff. | |
Bild: "Weil wir in großer Sorge um die Zukunft dieses Landes sind": Bundesprä… | |
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, | |
als Sie vor zwei Monaten Ihr Amt antraten, konnten Sie dies gewiss nicht | |
ahnen: Dass ein (ehemaliger) Bundesbankvorsitzender eine Debatte in Gang | |
setzen würde, in der sich allgemeine Bedenken gegen eine verfehlte | |
Integrationspolitik mit biologistischen Annahmen über mindere Intelligenz | |
vermengen. Dass in sämtlichen Nachrichtenmagazinen, Zeitungen und Sendern | |
pauschalisierend über etwaige intellektuelle, charakterliche, soziale und | |
professionelle Defizite des muslimischen Bevölkerungsanteils diskutiert | |
werden würde. Dass von Musliminnen und Muslimen - egal ob sie deutsche | |
Staatsbürger sind oder auch hier geboren wurden - generalisierend als | |
"Migranten" gesprochen würde und wir sogar im öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehen die offizielle Rückkehr des Wortes "Ausländer" erleben. | |
Erinnern wir uns zwei Monate zurück: In Ihrer Antrittsrede sagten Sie: | |
"Unsere Vielfalt ist zwar manchmal auch anstrengend, aber sie ist immer | |
Quelle der Kraft und der Ideen und eine Möglichkeit, die Welt aus | |
unterschiedlichen Augen und Blickwinkeln kennen zu lernen. Wir sollten | |
neugierig sein und ins Gespräch kommen." Sie erzählten die berührende | |
Geschichte der niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan und ihres | |
Vaters, die ein Beispiel für "so viele Erfolgsgeschichten" sei. Sie | |
sprachen die wunderbaren Sätze: "Wann wird es bei uns endlich | |
selbstverständlich sein, dass unabhängig von Herkunft und Wohlstand alle | |
gleich gute Bildungschancen bekommen? (…) Wann wird es selbstverständlich | |
sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer | |
Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz heißt oder Krause? Meine Antwort auf | |
solche Fragen lautet: Wenn wir weniger danach fragen, wo einer herkommt, | |
als wo er hin will. Wenn wir nicht mehr danach fragen, was uns trennt, | |
sondern was uns verbindet. Wenn wir nicht mehr danach suchen, was wir | |
einander voraushaben, sondern was wir voneinander lernen können. Dann wird | |
Neues, Gutes entstehen." | |
Diese Worte wurden von zahllosen Musliminnen und Muslimen und von Menschen | |
mit Migrationshintergrund mit großer Freude aufgenommen, über religiöse und | |
Parteigrenzen hinweg. Doch was wir momentan beobachten, ist leider das | |
Gegenteil eines solchen Prozesses, in dem Menschen aufeinander zugehen, | |
damit Gutes entsteht. Wir erleben, wie sich Teile der Bevölkerung von | |
anderen absetzen. Wie Minderheiten ausgedeutet und öffentlich als "Andere" | |
markiert werden. Die Tonlage ist oft genug nicht neugierig und | |
gesprächsbereit, sondern aggressiv und diffamierend. Für Musliminnen und | |
Muslime ist derzeit nicht einmal der Gang zum Zeitungshändler leicht, weil | |
sie nie wissen, welche Schlagzeile, welches stereotype Bild sie dort | |
erwartet. Auch in der Schule, bei der Arbeit und am Ausbildungsplatz kann | |
es sein, dass einem Feindseligkeit entgegenschlägt. | |
Selbstverständlich sind das nicht die einzigen Erfahrungen dieser Tage. Es | |
gibt auch viele freundliche Worte, viel Solidarität. Zahllose Deutsche ohne | |
muslimischen oder Migrationshintergrund sind genauso fassungslos über die | |
Entwicklung der letzten Wochen, fühlen sich gleichsam fremd im eigenen | |
Land. So wie wir. Denn wie gesagt, auch wir deutschen Muslime gehören zu | |
Deutschland, mit demselben Recht wie alle anderen religiösen, ethnischen | |
oder sonstigen Bevölkerungsgruppen. Wir werden dieses Land nicht aufgeben. | |
Dieses Land ist unsere Heimat, und Sie sind unser Präsident. Weil wir als | |
Mitglieder des Staatsvolks in großer Sorge um die Zukunft dieses Landes | |
sind, das Sie repräsentieren, wenden wir uns an Sie, der Sie so überzeugend | |
sagten: "Es gibt unterschiedliche Interessen, es gibt Vorurteile | |
gegeneinander, Bequemlichkeiten und Anspruchsdenken. Ich will helfen, über | |
all das hinweg Brücken zu bauen. Wir müssen unvoreingenommen aufeinander | |
zugehen können, einander aufmerksam zuhören, miteinander sprechen." Wir | |
bitten Sie, gerade in der derzeitigen angespannten Stimmung für diese | |
Leitsätze einer offenen, von gegenseitigem Respekt geprägten demokratischen | |
Kultur einzustehen und öffentlich für sie zu werben. | |
Fatih Akin, Filmregisseur | |
Hatice Akyün Autorin | |
Prof. Dr. Katajun Amirpur Islamwissenschaftlerin | |
Gabriele Boos-Niazy für das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in | |
Deutschland e. V. | |
Christian Abdul Hadi Hoffmann, stellv. Vors. der Muslimischen Akademie | |
Deutschland | |
Lamya Kaddor für den Liberal-Islamischen Bund e. V. | |
Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu Erziehungswissenschaftlerin und Turkologin | |
Ali Kizilkaya für den Islamrat e. V. | |
Halima Krausen für die Initiative für Islamische Studien e. V. | |
Aiman Mazyek für den Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. | |
Hamideh Mohagheghi, Theologin | |
Shermin Langhoff, Intendantin | |
Aylin Selcuk für die Deukische Generation e. V. | |
Hilal Sezgin, Schriftstellerin und Journalistin | |
Feridun Zaimoglu, Schriftsteller | |
13 Sep 2010 | |
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