# taz.de -- Ex-Lehman-Banker Sony Kapoor: "Eine neue Krise ist jederzeit mögli… | |
> Vor zwei Jahren ging die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite. Sony | |
> Kapoor war dort Banker - und stieg mit 29 Jahren aus. Ein Gespräch über | |
> Boni, Basel III und nicht-essbares Gold. | |
Bild: "Das individuelle Gewinnstreben der Banker ist der zentrale Motor der Fin… | |
taz: Herr Kapoor, früher waren Sie ein gut verdienender Investmentbanker. | |
Jetzt sind Sie ein Kritiker des Finanzsystems. Warum sind Sie ausgestiegen? | |
Sony Kapoor: Mir hat nicht gefallen, was ich gesehen habe. Dabei glaube ich | |
an die Marktwirtschaft. So finde ich es richtig, dass gute Zahnärzte | |
hervorragend verdienen. Aber bei ihnen gibt es eine physische Grenze: Sie | |
können nur eine bestimmte Zahl von Patienten behandeln. | |
Was ist bei Banken anders? | |
Dort gibt es fast keinen Zusammenhang zwischen Anstrengung und Belohnung. | |
Mit Geld wird nur mehr Geld gemacht. Ein Mausklick reicht, um ein riskantes | |
Geschäft über 100 Millionen mit einem Gewinn von 10 Millionen | |
abzuschließen. Funktioniert das Geschäft, fällt ein Millionen-Bonus an. | |
Geht es schief, verliere ich höchstens meinen Job - während die Verluste | |
der Steuerzahler trägt. Und wer riesigen Schaden anrichtet, schreibt | |
hinterher ein Buch und wird berühmt. | |
Ihr Lebenslauf war rasant. Sie waren bereits vier Jahre im | |
Investmentbanking, als Sie mit 29 Jahren ins Lager der Kritiker wechselten. | |
Wie haben Ihre Exkollegen reagiert? | |
Inzwischen nehmen sie mich ernst. Aber in meiner neuen Tätigkeit als | |
Berater war es schon ein Problem, so jung zu sein. Denn ob in den | |
Parlamenten, Regulierungsbehörden oder Chefetagen der Banken: Dort sitzen | |
vor allem 60-Jährige. Ich habe extra aufgehört, mich täglich zu rasieren, | |
damit ich älter aussehe. | |
Der Einfluss von Kritikern scheint aber begrenzt. Trotz der Finanzkrise | |
haben sich die Banken wenig verändert. Selbst Boni fließen wieder üppig. | |
Die hohen Boni sind der größte Einzelsieg der Bankenlobby. Dabei ist das | |
individuelle Gewinnstreben der Banker der zentrale Motor der Finanzkrise | |
gewesen. | |
Die meisten Wähler hätten es doch begrüßt, wenn die Boni beschnitten worden | |
wären. Warum haben die Politiker darauf verzichtet, sich bei ihren Bürgern | |
beliebt zu machen? | |
Der Trick der Lobbyisten war, das Bonussystem nur zu einem Randaspekt der | |
Krise zu erklären. Hinzu kommt, dass in der Politik und bei den | |
Regulierungsbehörden ein intellektueller Snobismus herrscht. Man fühlt sich | |
als Teil der Finanzwelt und glaubt, man gehöre zu einer verschworenen | |
Gemeinschaft von Experten, die anders als die dummen Massen eine komplexe | |
"Zukunftstechnologie" verstehen würden. Also wurde den Politikern | |
eingeredet, es wäre plumper Populismus, der öffentlichen Empörung | |
nachzugeben und die Boni zu begrenzen. | |
Das Investmentbanking scheint aber tatsächlich sehr komplex zu sein. Es | |
würden doch keine Millionenboni an die Banker gezahlt, wenn jeder | |
erfolgreich mit Derivaten handeln könnte? | |
Das Finanzwesen muss nicht kompliziert sein. Es ist allein der geschickten | |
Lobbyarbeit der Großbanken zu verdanken, dass die Regulierung tausende von | |
Seiten umfasst. Das macht es für die kleineren Banken sehr schwierig, | |
überhaupt in den Markt einzudringen, und sichert den Großbanken ihre | |
extremen Gewinne. | |
Immerhin haben die internationalen Aufseher am Sonntag Basel III | |
beschlossen. Ist dies ein Fortschritt? | |
Die kurze Antwort ist: nein. | |
Und die lange? | |
Über das eigentliche Problem wurde nicht diskutiert. Basel III beschäftigt | |
sich nur damit, wie viel Eigenkapital die Banken vorhalten müssen, falls | |
sie Verluste machen. Die Finanzkrise war aber vor allem eine | |
Liquiditätskrise. | |
Das klingt sehr technisch. | |
Das Geschäftsmodell der Banken ist aber ganz einfach, das sich dahinter | |
verbirgt. Um ihre Gewinne zu maximieren, wollen sich die Banken das Geld | |
möglichst billig leihen - und teuer weiterverleihen. Geld ist am | |
billigsten, wenn man es schon am nächsten Tag zurückzahlt, denn dann ist | |
für den Kreditgeber ja auch das Risiko am geringsten. Also leihen sich die | |
Banken das Geld nur für eine Nacht, zahlen dafür 1 Prozent Zinsen - und | |
verleihen es für 6 Prozent als zehnjährige Hypothek. | |
Aber diese "Fristentransformation" gehört doch zum Bankgeschäft? | |
Jetzt wird sie in ein riskantes Extrem getrieben. Die Banken der | |
Euro-Länder leihen sich täglich Milliarden von der Europäischen Zentralbank | |
zu Niedrigstzinsen. Wenn diese Liquiditätshilfen zurückgezogen würden, | |
wären die Banken sofort pleite. | |
Mit einer Kursänderung der Zentralbank ist aber nicht zu rechnen: Die | |
Banken werden ja schon deshalb gerettet, weil sie "too big to fail" sind. | |
Über die Größe der Banken wird in Europa ebenfalls nicht diskutiert. Dabei | |
hat man doch gesehen, was in Island passiert ist. Auch die Schweiz wäre | |
beinahe durch die UBS in den Abgrund gezogen worden. Doch jedes Land | |
verteidigt seinen nationalen Champion. So scheint man hier immer noch zu | |
glauben, dass für Deutschland gut ist, was für die Deutsche Bank gut ist. | |
Wie ernst ist es also? | |
Eine neue Bankenkrise ist jederzeit möglich. | |
Bei der letzten Finanzkrise brach als Erstes der Hypothekenmarkt in den USA | |
zusammen. Was wird diesmal der Auslöser sein? | |
Der Auslöser ist unwichtig. Das kann alles Mögliche sein: schwaches | |
Wachstum, Verluste bei Krediten oder ein Staatsbankrott in Südeuropa. Das | |
Finanzsystem ist extrem fragil. | |
Bei einer neuen Krise hätten Regierung und Zentralbanken kein Geld mehr für | |
Rettungspakete. Was passiert dann? | |
Die Pensionsfonds und Lebensversicherungen würden große Verluste erleiden, | |
der Mittelstand würde keine Kredite mehr bekommen - und für Sparer würde | |
sich die Frage stellen, wie sicher ihre Einlagen noch sind. Es ist nicht | |
auszuschließen, dass wir in Zeiten zurückfallen, wo jeder sein Geld am | |
liebsten unter der Matratze hortet. | |
Selbst Kleinsparer fangen inzwischen an, Gold anzusammeln. Eine gute Idee? | |
Ich bin ein Gold-Skeptiker. Das ist doch nur ein Edelmetall ohne Nutzwert. | |
Man kann es weder essen noch trinken. | |
Was raten Sie verunsicherten Sparern? | |
Sie sollten ihre Konten bei Großbanken auflösen, die Investmentbanking | |
betreiben, und zu kleineren Instituten gehen, die ihre Kredite nur an die | |
Realwirtschaft vergeben. Vor allem Sparer kurz vor der Rente sollten ihr | |
Geld konservativ anlegen. | |
14 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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