# taz.de -- Gewerkschaftler über Energiekonzept: "Kernenergie wird eindeutig b… | |
> Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG | |
> BCE), über das Energiekonzept der Regierung. Längere Akw-Laufzeiten lehnt | |
> er ab, man soll jedoch auf Kohle setzen. | |
Bild: Norbert Röttgen und Angela Merkel. | |
taz: Herr Vassiliadis, am heutigen Samstag treffen sich tausende von | |
Atomkraftgegnern zur Demonstration in Berlin. Sind Sie dabei? | |
Michael Vassiliadis: Ich bin zu der Zeit im Ausland und kann deshalb nicht | |
dabei sein. Aber es werden Mitglieder der IG BCE da sein, und ich | |
unterstütze den Protest. | |
Warum sind Sie gegen längere Laufzeiten von Atomkraftwerken? | |
Weil wir 2002 eine Vereinbarung über den Atomausstieg getroffen haben, die | |
auch gesellschaftlich getragen wurde. Nun wurde dieser Konsens ohne | |
Beteiligung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gekündigt. | |
Zudem wird der Eindruck erweckt, als wenn uns längere Laufzeiten für | |
Kernkraftwerke direkt in einen Energiemix bringen, in dem die erneuerbaren | |
Energien die Hauptrolle spielen. Das ist unseriös. | |
Atomkraft ist also keine Brückentechnologie? | |
Sie ist eine kleine Brücke bis ins Jahr 2022, so wie es im Atomkonsens | |
vereinbart war. Bis dahin könnte die Kohleverstromung durch neue | |
Technologien umweltfreundlich sein und die tatsächliche Brücke in das | |
Zeitalter der erneuerbaren Energien bilden. Doch jetzt drohen Blockade und | |
Protest. | |
Dieser richtet sich oft auch gegen neue Kohlekraftwerke. Denn | |
Stromerzeugung aus Kohle können wir uns aus klimapolitischen Gründen auch | |
nicht mehr leisten. | |
Das ist eine Frage der Technologie, die man fördern muss. Schon die | |
rot-grüne Regierung hat nach dem Atomkonsens viel zu wenig getan, um die | |
zweite Brücke zu bauen und die Kohleverstromung klimafreundlicher zu | |
machen. Aber es ist möglich. Wir brauchen neue Kraftwerke mit einem höheren | |
Wirkungsgrad und andere Innovationen, wie zum Beispiel die CCS-Technologie, | |
bei der das Kohlendioxid im Kraftwerk abgeschieden und dann gespeichert | |
wird. | |
CCS steht doch noch nicht im großem Maßstab zur Verfügung, und viele | |
Experten halten es für fraglich, ob das technisch machbar und bezahlbar | |
ist. Außerdem wächst der Protest in den Regionen, in denen das CO2 | |
unterirdisch gespeichert werden soll. Die Speicher stehen auf dünnem Eis. | |
Teile der Politik setzen CCS-Speicher nahezu gleich mit Endlagern für | |
Atommüll. Kohle und Kernkraft werden oft in die gleiche Risikoklasse | |
eingeordnet. Aber das ist falsch: Ein Kohlendioxidspeicher ist kein | |
atomares Endlager, das über Jahrtausende strahlt. Es gibt sicherlich | |
Risiken, und die CCS-Technik ist noch nicht ausgereift. Aber daran muss man | |
arbeiten. Den Klimawandel bekämpfen wir nur mit bester Technologie. Und wer | |
die Kohle nicht zukunftsfähig macht, wird länger auf Kernenergie angewiesen | |
sein. Das aktuelle Energiekonzept der Bundesregierung ist doch ein erster | |
Hinweis darauf. | |
Es gibt Alternativen. Die Zukunft liegt doch in einem dezentralen | |
Energiesystem, die sich aus vielen verschiedenen Quellen speist, nicht in | |
neuen Großkraftwerken, die eine zentralistische Struktur zementieren. | |
Sie übersehen dabei den Grundlastbedarf der energieintensiven Industrien | |
und den Umstand, dass wir Strom noch nicht in ausreichenden Mengen | |
speichern können. Außerdem ist das eine Frage des Geldes. Wenn ein | |
Kohlekraftwerk früher als geplant nicht mehr gebraucht wird, weil die | |
Erneuerbaren sich schneller entwickeln als erwartet, kann man es auch | |
wieder vom Netz nehmen. Dafür muss der Betreiber dann einen Ausgleich | |
bekommen. Sonst baut er erst gar keins. | |
Angeblich erwägt Vattenfall als Konsequenz aus dem Energiekonzept, keine | |
neuen Kraftwerke mehr zu bauen und nach und nach aus der Kohleverstromung | |
auszusteigen. Muss die Branche nicht genau darüber nachdenken? | |
Kohleverstromung verliert in Deutschland an Attraktivität. Die Akzeptanz in | |
der Bevölkerung sinkt, die Kosten steigen durch den Klimaschutz, das | |
Problem Abscheidung und Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken ist noch | |
nicht ganz gelöst. Das Energiekonzept lässt den Anreiz nun weiter sinken, | |
weil Kernenergie eindeutig bevorzugt wird. Die Motivation, sich für | |
Kohleverstromung zu engagieren, ist mit Sicherheit durch das Energiekonzept | |
gesunken. | |
17 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Stephan Kosch | |
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