# taz.de -- Hygiene im Krankenhaus: Ein Toter pro Stunde | |
> Einer der vermutlich gefährlichsten Krankenhauskeime ist der MRSA. Er | |
> verursacht tausendfaches Leid, das vermeidbar wäre. Mindestens 10.000 | |
> Patienten sterben dadurch jährlich. | |
Bild: Bessere und regelmäßigere Desinfektion im Krankenhaus könnte viele Leb… | |
DUISBURG taz | Günter Steinbrink hat sich lange zusammengerissen, doch dann | |
stockt seine Stimme, Tränen schießen ihm in die Augen. "Die hat so | |
geschrien, die Jutta", so erzählt er von seiner Frau. Sie starb am 26. | |
Dezember vergangenen Jahres im Krankenhaus. "Die Blutwäsche hätte nicht | |
mehr sein müssen", sagt Steinbrink, "dann hätte sich die Frau nicht mehr zu | |
quälen brauchen." Steinbrink ist ein ruhiger Mann. Aber seine Trauer ist | |
mittlerweile getränkt mit Wut. "Die haben uns richtig verarscht", ruft er, | |
"das war alles gelogen." | |
Das Gespräch findet in einem einfachen Besprechungszimmer des | |
Johanniter-Stifts in Duisburg statt. Es ist ein recht modernes, lichtes | |
Haus für Altenpflege in einem ruhigen Wohngebiet, nichts Außergewöhnliches. | |
Und doch ereignet sich hier regelmäßig etwas, was bundesweit seinesgleichen | |
sucht: Eine "Selbsthilfegruppe MRSA-Betroffene" trifft sich, die einzige in | |
ganz Deutschland. Der Rentner Günter Steinbrink gehört ihr an. | |
Der MRSA-Keim | |
Steinbrink hat seine Frau an den gefährlichsten aller Krankenhauskeime, | |
MRSA (Abkürzung für: Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), | |
verloren. So vermutet er. Denn schriftlich hat er das nicht. Dafür die | |
schreckliche Gewissheit: Pro Jahr erkranken nach Expertenschätzung mehrere | |
zehntausend Menschen in deutschen Krankenhäusern durch diesen Keim. | |
Forscher gehen davon aus, dass sich in Deutschland jährlich etwa eine halbe | |
Million Menschen mit Krankenhauskeimen infizieren. | |
Durch die Medien jagte jüngst der Fall der drei Mainzer Babys, die in der | |
Uniklinik durch eine Nährlösung starben, die mit Darmbakterien verkeimt | |
war. Doch der eigentliche Skandal ist größer, viel größer. Pro Jahr sterben | |
hierzulande 10.000 bis 20.000 Patienten an bakteriellen Infektionen, die | |
sie sich erst in Kliniken zugezogen haben. Ein Großteil davon ist durch | |
MRSA-Keime verursacht. Genauere Zahlen gibt es nicht. Klar ist nur: Die | |
Gefahr steigt. | |
Und sie kann jeden treffen. Das qualvolle Leiden von Jutta Steinbrink etwa | |
fängt ganz harmlos an, wie meist bei den Menschen, die später an MRSA | |
sterben: Im August 2009 kommt sie wegen einer Operation am Steißbein und an | |
der Wirbelsäule in ein Krankenhaus - und der Name der Klinik soll hier | |
besser unerwähnt bleiben, denn zu beweisen ist nichts. Die OP läuft gut, | |
aber Günter Steinbrink vermutet, dass sich seine Frau schon hier auf der | |
Station den MRSA-Keim fängt. Als sie, obwohl ihre Wunde noch nicht verheilt | |
ist, zuerst in die Reha, dann nach Hause entlassen wird, ahnen beide noch | |
nichts Böses. | |
Nach einer Woche daheim aber sagt seine Frau: "Ich halte das nicht mehr aus | |
vor Schmerzen." Sie kommt mit dem Notarzt in eine andere Klinik, leidet | |
unter Herzbeschwerden, Vorhofflimmern. An der Tür zu ihrem Zimmer hängt ein | |
Zettel mit dem Kürzel "MRSA". Günter Steinbrink weiß nichts damit | |
anzufangen, er recherchiert im Internet. "Da wurde mir ganz anders", sagt | |
er. Da in diesem Krankenhaus die Hygiene mehr als schlecht ist, nimmt er | |
seine Frau heraus. Sie soll keine verkotete Toilette benutzen müssen. | |
Jutta Steinbrink muss aber nach wenigen Tagen wegen starker Schmerzen | |
wieder in eine Klinik, es ist die dritte. Dort erklären die Chefärzte | |
Günter Steinbrink, seine Frau müsse zurückverlegt werden ins erste | |
Krankenhaus. "Wir gehen da nicht ran", hätten sie gesagt. Tatsächlich | |
landet seine Frau Anfang Dezember 2009 wieder in der ersten Klinik. Ihr | |
Zustand verschlechtert sich immer mehr. Innerhalb kurzer Zeit wird sie | |
sechsmal unter Vollnarkose operiert. Die Nieren versagen, dann versagt die | |
Leber - "und das Herz auch noch", sagt Steinbrink. "Bis heute wird | |
verschwiegen, woran die Frau verstorben ist." | |
Das MRSA-Problem in den Krankenhäusern ist seit Jahrzehnten bekannt - und | |
eigentlich wäre es recht leicht zu lösen, wenn die Hygiene stimmen würde. | |
Aber viele Klinikärzte sind da viel zu lax. Walter Popp, Professor am | |
Uniklinikum Essen und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für | |
Krankenhaushygiene, sagte kürzlich im Deutschlandfunk, dass es oftmals vom | |
Chefarzt abhängt: "Wenn der sagt, Hygiene ist für mich ganz wichtig, und | |
wenn der sich bei jedem Patientenkontakt die Hände desinfiziert, dann | |
werden das seine Assistenten auch machen. Und wenn der Chefarzt dumme | |
Witzchen macht, wenn der Assistent das das erste Mal macht, dann hören | |
natürlich alle damit auch auf." | |
30 Sekunden retten Leben | |
Gesunde Menschen stecken die Infektion mit einem MRSA-Keim meist ohne | |
Probleme weg. Anders Krankenhauspatienten, deren Immunabwehr oftmals | |
sowieso geschwächt ist. Da ist Mangel an Hygiene lebensgefährlich. Dabei | |
dauert eine Händedesinfektion, die dank neuer Mittel ohne Probleme immer | |
wieder wiederholt werden kann, nur etwa 30 Sekunden. Mehr nicht - und damit | |
wäre schon viel erreicht. In den Niederlanden ist die Rate der | |
MRSA-Infektionen in Krankenhäusern durch solch simple Maßnahmen radikal | |
verringert worden. Dort ist der MRSA-Keim etwa 15-mal weniger häufig | |
nachweisbar als in der Bundesrepublik. | |
Doch während jede Dönerverkäufer in Neukölln Hygieneregeln einhalten muss, | |
gelten für die Krankenhäuser in 11 von 16 Bundesländern nur Empfehlungen. | |
Die Folge: In den vergangenen fünf Jahren nahm die Zahl der | |
MRSA-Erkrankungen in manchen Bundesländern um über 200 Prozent zu. Walter | |
Popp sagt: "Die Probleme gerade mit multiresistenten Bakterien explodieren | |
im Prinzip in Deutschland in allen Kliniken." Der Skandal wird aber auch | |
deshalb kaum publik, weil der durch MRSA-Keime verursachte Tod in der Regel | |
nicht im Totenschein als Todesursache vermerkt wird. | |
Auch Ingeborg Henzes Mann Horst starb offiziell an Organversagen. Seine | |
Odyssee beginnt im September 2006. | |
Nach einer Chemo- und Strahlentherapie wegen einer bösartigen Geschwulst im | |
Darm macht er einen wahren Kreuzweg durch mehrere Krankenhäuser - und | |
irgendwann muss er sich mit dem MRSA-Keim infiziert haben. Eine | |
Lungenentzündung will einfach nicht verschwinden. Spätestens im September | |
2008 hat er "den Keim", wie man in der Duisburger Selbsthilfegruppe sagt. | |
Eine Krankenschwester teilt Ingeborg Henz die Diagnose "MRSA-Infektion" | |
mit. | |
Das langsame Sterben beginnt. Kurz nach seinem 76. Geburtstag treten bei | |
Horst Henz im Februar 2009 schwarze Flecken am Körper auf. Seine Frau | |
Ingeborg fragt in der Klinik: "Verfault mein Mann?" Horst Henz ist von 85 | |
auf 45 Kilo abgemagert. Zehn Tage später ist er tot. Als Ingeborg Henz | |
davon erzählt, fängt auch sie an zu weinen. Sie vermutet, dass ihr Mann | |
schon seit der Darmoperation im September 2006 infiziert war, doch erst | |
sehr viel später erfuhr sie davon: "Man ist ja leider so dumm und naiv und | |
glaubt, was man erzählt bekommt", sagt sie bitter. | |
Fachlichen Rat erhält die Selbsthilfegruppe von dem deutschkroatischen | |
Bakteriologen Stjepan Posavec. Er ist leitender Arzt am Duisburger Institut | |
für Krankenhaushygiene, Mikrobiologie, Arbeitsmedizin und Strahlenschutz. | |
Posavec hat eine ziemlich einfache Erklärung für den Hygienemangel in | |
vielen deutschen Kliniken: "Die Reinigungsfirmen - ganz einfach! - | |
bestechen die Klinikverwaltungen." Der 82-Jährige hat jahrzehntelange | |
Erfahrung auf dem Feld der Kliniksauberkeit. Sein Institut hat nach eigenen | |
Angaben den Hygienestatus von über 350 deutschen Krankenhäusern überprüft. | |
In seinem Institut sitzt er neben einer schwarz-rot-goldenen Fahne und vor | |
einer Deutschlandkarte, die verzeichnet, wo er schon tätig war. | |
Vor allem die Reinigung der Kliniken durch Fremdfirmen ist Posavec ein Dorn | |
im Auge: "In der jetzigen Zeit hat die industrielle Reinigung zu 90 Prozent | |
in der Leistungsfähigkeit versagt und ist im Endeffekt 5-mal so teuer wie | |
früher die durch das hauseigene Personal", so hat er schon vor Jahren | |
öffentlich bei einem Symposium in Österreich gewarnt. Eine weitere Ursache | |
des Keimskandals in deutschen Kliniken: Allzu oft verringere eine zu laxe | |
Reinigung die Zahl der Bakterien nur, anstatt alle zu töten. Das aber mache | |
alle überlebenden Bakterien immer resistenter - und gefährlicher. Ab und | |
zu, berichtet der Bakteriologe, werde ihm auch deutlich gemacht, was man | |
von ihm erwartet. "Ich brauche gar nichts", sagte ihm einmal eine | |
Klinikdirektorin, deren Haus er in Sachen Hygiene begutachten sollte, "nur | |
gute Ergebnisse für das Gesundheitsamt." | |
Hygiene einkaufen | |
Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für | |
Krankenhaushygiene, sieht das Auslagern der Reinigungsarbeiten in Kliniken | |
an Fremdfirmen als "einen Faktor" der Hygienemisere an deutschen | |
Krankenhäusern: "Dass da vieles nicht rund läuft, steht außer Frage." | |
Allerdings würden auch die Reinigungsfirmen von manchen Klinikverwaltungen | |
unter Druck gesetzt, ihre Dienste möglichst immer billiger zu leisten - | |
nach dem Motto "Entweder Sie machen das, oder es macht jemand anders". | |
Dagmar Tysiak hat ihren Mann Paul Anfang 2007 durch eine MRSA-Infektion | |
verloren. Dank ihrer Initiative, einer Zeitungsanzeige, ist die | |
Selbsthilfegruppe in Duisburg entstanden. "Sie konnten praktisch sehen, wie | |
der Keim meinen Mann auffraß", erzählt sie, "er war nachher bis zum | |
Bauchnabel schwarz und wie verfault." Dagmar Tysiak hat ihre Geschichte | |
seitdem schon oft erzählt, auch wie sie Paul in seiner letzten Nacht am | |
Sterbebett in der Klinik schwor, sich gegen den MRSA-Keim zu engagieren: | |
"Ich werde alles dafür tun …", sagt sie - und muss abbrechen, weil ihr die | |
Tränen kommen. Immerhin hat sie es schriftlich auf dem Totenschein, dass | |
ihr Mann an einer "Sepsis durch MRSA" starb. | |
Sie musste mit dem Rechtsanwalt drohen, ehe dies vermerkt wurde. | |
21 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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