# taz.de -- Widerstand: Die unsichtbare Autobahn | |
> 600 gegen die A 20: Klein Gladebrügge wehrt sich gegen den Weiterbau der | |
> Ostseeautobahn. Die würde auf einer elf Meter hohen Trasse am Ort vorbei | |
> führen. Der Bürgermeister will vor Gericht ziehen. | |
Bild: Bürgermeister Arne Hansen wälzt Akten und fordert Gutachten an. | |
In der sorgfältig gefegten Garage steht immer noch dieses Transparent. Rote | |
Schrift auf weißem Bettlaken: "A 20 durch den Kreis Segeberg? Nein Danke!" | |
Das Transparent hat Marianne Kiecksee auf ihren Gepäckträger geschnallt und | |
gegen die geplante Autobahn 20 demonstriert, die auf einer 371 Meter langen | |
und mehr als elf Meter hohen Trasse unmittelbar am Ortsrand von Klein | |
Gladebrügge vorbeiführen soll - in Sichtweite vom Haus der Kiecksees. | |
Marianne Kiecksee ist 1966 mit ihrem Mann Erich in den 600-Seelen-Ort in | |
Schleswig-Holstein gezogen, unweit von Bad Segeberg und dem Travetal. Seit | |
15 Jahren engagieren sich die beiden gegen die A 20. Genauer: gegen den | |
zehn Kilometer langen und gut 153 Millionen teuren Bauabschnitt der so | |
genannten Ostseeautobahn zwischen Wittenborn und Weede. "Diese geplante | |
Hochbrücke bedroht das kleine Paradies, das wir uns hier geschaffen haben", | |
sagt die 81-Jährige. "Alle, die hier wohnen, sind dagegen." | |
Kiecksee legt eine dicke gelbe Mappe auf den Couchtisch. Sie hat vieles von | |
dem aufgehoben, was sich in Jahren des Widerstands angesammelt hat: | |
Unterschriftenlisten, Protokolle von Anhörungen beim Landesbetrieb | |
Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein, Zeitungsausschnitte. Einer der | |
bisher letzten Artikel in ihrer Sammlung dürfte ihr nicht sehr viel Mut | |
machen: Die EU hat dem Weiterbau zugestimmt, mit dem die Lücke zwischen dem | |
Osten und dem Westen des Landes geschlossen werden soll. In dieser Lücke | |
liegt Klein Gladebrügge. | |
Der Widerstand hier ist fast so alt wie die Geschichte der Autobahn selbst. | |
Die Straße gilt als das Verkehrsprojekt Nummer eins der Wiedervereinigung | |
und ist der längste zusammenhängende Autobahnneubau seit 1945. 1992 wurde | |
mit dem Bau der Autobahn begonnen, die 279 Kilometer durch | |
Mecklenburg-Vorpommern, 26 Kilometer durch Brandenburg und 20 Kilometer | |
durch Schleswig-Holstein führt. Seit die A 20 im Dezember 2009 bis Weede | |
für den Verkehr freigegeben wurde, ist sie zwischen Bad Segeberg und der A | |
11 nahe der polnischen Grenze durchgängig befahrbar. Nun soll es südlich | |
von Bad Segeberg weitergehen. | |
Im Kieler Verkehrsministerium geht man davon aus, dass im nächsten Jahr mit | |
dem Bau der Travebrücke begonnen werden kann. Immerhin gehe es hier um das | |
größte und wichtigste Verkehrsprojekt Schleswig-Holsteins. Ende 2010 wird | |
der Planfeststellungsbeschluss für das weitere Teilstück von Weede bis | |
Wittenborn erwartet. | |
Und genau auf diesen Planfeststellungsbeschluss wartet Klein Gladebrügges | |
Bürgermeister Arne Hansen, der am anderen Ende des Dorfes und damit außer | |
Sichtweise der geplanten Trasse in der ehemaligen Schule des Ortes wohnt. | |
Liegt der Beschluss vor, kann beim Oberverwaltungsgericht in Berlin Klage | |
gegen den Trassenverlauf der Autobahn eingereicht werden. Diese Klage | |
bereitet Hansen vor. Er will erreichen, dass die Bundesstraße 206, die | |
jetzt vierspurig mitten durch Segeberg führt, zur Stadtautobahn ausgebaut | |
wird - eine Variante, die zuvor geprüft und verworfen wurde. Ein von Hansen | |
eingeholtes externes Gutachten spricht nun aber für eine solche | |
Stadtautobahn und dagegen, die Trasse mitten durch das geschützte | |
Flora-Fauna-Habitat Travetal und damit durch das europaweit größte | |
Winterquartier für Fledermäuse zu führen. | |
Die elf Meter hohe Brücke am Ortsrand von Klein Gladebrügge würde nicht | |
gerade in eine Idylle einbrechen, fehlt es im Ort doch an allem, was ein | |
heimeliges Dorf ausmacht. Es gibt keinen Ortskern, keine Schule, keine | |
Kirche, keinen Bäcker, kein Geschäft. Nur die Landstraße 83 hält die Häuser | |
zusammen, ein lärmendes Band quer durch den Ort. Und es gibt den | |
Gieselteich. Kommt die Hochbrücke, könnte man von der kleinen Badebucht aus | |
direkt auf die Brückenpfeiler schauen. | |
Geht Hansen sein Rad schiebend durch den Ort, bleibt er hier und dort auf | |
einen Schwatz stehen und die Leute sagen Sätze wie "Der Arne, der kennt | |
sich aus mit Verkehr. Den können Sie alles fragen." Trotz dieser | |
Anerkennung wird Arne Hansen, der gebürtige Kölner, immer einer der | |
Zugezogenen bleiben. Auch wenn er mit seiner Lebensgefährtin und den zwei | |
gemeinsamen Kindern schon seit 1989 hier lebt. Auch wenn sie seine | |
Wählergemeinschaft AWG vor acht Jahren in die Gemeindevertretung und ihn | |
vor zweieinhalb Jahren zum Bürgermeister gewählt haben. | |
"Dort oben wird die Brücke sein", sagt Hansen am Ortsausgangsschild | |
angekommen und zeigt zu den Hochspannungsleitungen, die quer zur Landstraße | |
verlaufen. Zwei Kilometer durchs Gewerbegebiet sind es von hier bis nach | |
Bad Segeberg. "Auf dem Gemeindegebiet sind von dem Bau nur zwei Koppeln | |
betroffen", sagt Hansen. "Und die hat Bad Segeberg schon vor Jahren | |
gekauft." Aber auch wenn die Autobahn de facto nicht mehr auf dem Gebiet | |
von Klein Gladebrügge verläuft, werde die Lebensqualität deutlich | |
eingeschränkt. "Es gibt im Ort sicher dennoch Leute, die nichts gegen die | |
Hochbrücke haben", sagt Hansen. "Aber die werden das nicht laut sagen." | |
Es ist ein langjähriger Protest gegen das Unsichtbare. Noch ist von der | |
Brücke nichts zu sehen. Auf einem Feld sind zwar ein paar Poller | |
eingeschlagen worden, die den künftigen Verlauf markieren, aber auch die | |
sieht man im Gras nicht. Das einzig Sichtbare in diesem Streit ist ein leer | |
stehender Geflügelhof am Ortsausgang. Die Besitzer haben verkauft, und sind | |
weggezogen. | |
Gegenüber des vor sich hin rottenden Geflügelhofs baut sich Andreas Rehe | |
hinter seinem Elternhaus ein neues Haus. Die Trasse kommt ihm so nah wie | |
sonst niemand im Ort. "Ach, ich pflanze ein paar Bäume, und außerdem kann | |
ich ja unter der Brücke durchschauen", sagt der 44-jährige Zimmermann. Er | |
versteht die ganze Aufregung nicht: "Irgendwo muss die Autobahn doch | |
langführen und für Segeberg ist das gut." Dann habe es dort mit dem ewigen | |
Stau ein Ende. Sowieso sei der Verkehr auf der L 83 durch den Ort so laut, | |
schlimmer könne es kaum kommen. "Irgendwie stört die Autobahn die Leute, | |
die weiter weg wohnen, viel mehr", sagt er, ehe er die Kreissäge wieder | |
anwirft. | |
"Die Entscheidung für die Hochbrücke ist eine politische", sagt | |
Bürgermeister Hansen, "keine ökologisch sinnvolle." Die Planer wollten | |
möglichst wenig Widerstand, und was seien da schon 600 Klein Gladebrügger | |
gegen 16.000 Bad Segeberger? Jetzt hofft er erstmal auf die Klage - und auf | |
den Langmut der Dorfbewohner. Der Kampf gegen die Brücke ist teuer: Das | |
Gutachten hat 10.000 Euro gekostet, zusätzlich hat die Gemeinde noch mal | |
20.000 Euro zur Verfügung gestellt. Viel Geld für den kleinen Ort. | |
"Vielleicht können wir es so lange hinauszögern, dass wir das nicht mehr | |
erleben müssen", sagt Erich Kiecksee. Seine Frau schiebt die Unterlagen in | |
die Mappe und sagt: "Wir sind doch für den Ort verantwortlich." | |
1 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |