# taz.de -- Autor über argentinische Literatur: "Für die Jüngeren zu politis… | |
> Argentinien als Ehrengast: Am Dienstag wird die Frankfurter Buchmesse | |
> eröffnet. Ein Gespräch mit Damián Tabarovsky, Schriftsteller - und | |
> "Verleger neuen Typs". | |
Bild: Im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse: Pavillon des Gastlandes Argenti… | |
taz: Herr Tabarovsky, was sind Sie in erster Linie? Autor, Kritiker oder | |
Verleger? | |
Damián Tabarovsky: Früher musste man in Argentinien, wenn man das Land | |
verlassen wollte, ein Formular ausfüllen: Name, Alter, Beruf. Ich habe es | |
nie fertiggebracht dort Schriftsteller einzutragen, da es irgendwie | |
bedeutet hätte, auch davon zu leben. Ich fühle mich als Schriftsteller, | |
trotzdem würde ich nicht sagen, dass es mein Beruf ist. Alle meine | |
Tätigkeiten haben mit dem Lesen zu tun. Ich verstehe mich vor allem als | |
Leser. Das Problem ist, dass man davon nicht leben kann. Zunächst einmal | |
bin ich eine Person, die liest. Und danach jemand, der schreibt. | |
Die junge Generation argentinischer Schriftsteller charakterisierten Sie | |
so: "Sie sind zunächst einmal von der digitalen Kultur, den Blogs, der | |
Massenkultur beeinflusst, ihre Sätze sind kurz und schnell. Und ihnen sind | |
negative Vorurteile fremd, das gilt für viele der jungen Autoren, ganz | |
gleich, welches Thema sie bearbeiten …" Gehören Sie dazu? Falls nicht, | |
worin bestehen die Unterschiede? Schließlich klingt es nicht danach, als ob | |
Sie viel von dieser Generation halten würden. | |
Nein, ich gehöre nicht dazu. Ich bin älter. Ich betreibe keinen Blog und | |
bin nicht besonders vertraut mit der Technologie der neuen Medien. Für die | |
Jüngeren ist das ein ganz selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens. | |
Aber es stimmt nicht, dass ich keine Sympathie für diese Generation hege. | |
Die Hälfte der Veröffentlichungen bei Interzona waren Autoren dieser | |
Generation. Viele gefallen mir, andere nicht - das ist ganz normal. Im | |
Vergleich mit den Jungen, hat meine Generation eher Probleme mit ihrer | |
Identität. | |
Wir sind wie die jüngeren Geschwister derjenigen, die in den siebziger | |
Jahren politisch aktiv waren, ins Exil gingen, verschwanden oder gefoltert | |
wurden. Für diese Erfahrung sind wir zu jung. Wir sind zwar unter ihrem | |
Einfluss groß geworden, doch sind wir auch die Generation der Demokratie - | |
und in ihren Augen viel zu frivol. Trotzdem sind wir nicht in dem Maße | |
entpolitisiert wie die Generation nach uns. Für die Jüngeren sind wir zu | |
politisch und für die Älteren zu wenig. | |
Im Jahr 2002 gründeten Sie den Verlag Interzona Editora, um junge Autoren | |
und vergessene literarische Werke Südamerikas zu verlegen. Und das | |
ausgerechnet in einer der schwersten ökonomischen Krisen Argentiniens. Wie | |
kam das? | |
Ich habe Interzona nicht alleine geleitet. Damián Rios war bereits dort, | |
als ich dazustieß und wir den Verlag dann gemeinsam aufbauten, ohne | |
Besitzer von Interzona Editora zu sein. Es ist ziemlich unglaublich, was | |
damals in Argentinien geschah. Im Jahr 2001, als man das Gefühl hatte, | |
Argentinien würde sich auflösen, entstand im selben Moment ein sehr | |
intensives, kulturelles Leben - ein neues argentinisches Kino, ein neues | |
Theater und neue unabhängige Verlage wurden gegründet. | |
Im Fall der Verlage hatte es mit zwei Dingen zu tun: Zum einen fand zu | |
dieser Zeit ein kultureller Umbruch bei uns jungen Verlegern statt. Wir | |
verabschiedeten uns von der Idee der alten, renommierten Verlage und | |
suchten nach neuen Vertriebswegen und billigeren Produktionsformen. Wir | |
orientierten uns nicht mehr am Mainstream. Zum anderen ergaben sich durch | |
die Abwertung der argentinischen Währung plötzlich ganz neue Möglichkeiten. | |
Zuvor, in den neunziger Jahren, als ein Peso noch ein US-Dollar kostete und | |
alles sehr teuer war, haben ausländische Unternehmen unzählige | |
argentinische Firmen aufgekauft. Spanische Verlage wie Mondadori und | |
Planeta übernahmen das Monopol auf dem argentinischen Buchmarkt. | |
Nach der Abwertung des Pesos bekam man für einen US-Dollar vier Peso. | |
Papier und eine Menge anderer Dinge wurden auf einmal erschwinglich. Durch | |
die ökonomischen Veränderungen war eine neue Generation junger Verleger in | |
der Lage, in einer Art Guerillataktik und sehr schnell Bücher | |
herauszubringen, ohne auf Subventionen des Staats angewiesen zu sein. In | |
dieser Zeit gründeten sich viele kleine unabhängige Verlage, Interzona war | |
einer von ihnen. Mit der Gründung dieser Verlage tauchte in Argentinien ein | |
neuer Typ des Verlegers auf - jemand, der sich seinen Autoren und Büchern | |
gegenüber verpflichtet fühlt. So haben wir bei Interzona zahlreiche junge | |
Autoren entdeckt, aber auch bereits durchgesetzte wie Fogwill oder Cesar | |
Aira gewonnen. | |
Argentinien ist Ehrengast der diesjährigen Buchmesse, die heute im Beisein | |
der argentinischen Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner eröffnet | |
wird. Welche Rolle spielt die Literatur in der aktuellen argentinischen | |
Gesellschaft? | |
In der Öffentlichkeit spielt die argentinische Literatur bei überhaupt | |
keinem Thema eine wichtige Rolle. Die Literatur hat nichts mehr zu sagen - | |
so scheint es. Das kann erst mal ein Vorteil sein. Innerhalb der Literatur | |
ist aber das Thema der letzten Diktatur immer präsent geblieben. Die | |
Ersten, die unmittelbar nach der Diktatur darüber schrieben, waren die | |
Opfer, die Exilanten, die politisch Militanten. Fast die ganze Literatur | |
aus dieser Zeit ist schrecklich. Doch als man dachte, es gebe nicht mehr | |
viel zu dem Thema zu sagen, tauchte die Generation der Kinder der | |
Verschwundenen in der Literatur auf, mit einem ganz anderen Blick auf die | |
Geschichte, Autoren wie Félix Bruzzone. | |
Ist die Auseinandersetzung mit der Diktatur überhaupt noch ein | |
Konfliktthema? | |
Die Aufarbeitung ist tatsächlich zum offiziellen Thema der Regierung | |
Kirchner geworden. Ich habe dazu ein zwiespältiges Gefühl. Auf der einen | |
Seite teile ich deren Meinung, auf der anderen Seite habe ich genug davon. | |
Schließlich ist es sehr einfach, über Menschenrechtsverletzungen in den | |
siebziger Jahren zu diskutieren, aber nicht darüber zu sprechen, was in | |
jedem Polizeirevier der Provinz Buenos Aires heute passiert. Von den | |
Jugendlichen, die dort von der Polizei misshandelt werden, von den Armen, | |
die arm bleiben, von den Cartoneros … | |
Die Buchmesse informiert, dass die Deutsche Post eine Sonderbriefmarke | |
Jorge Luis Borges widmen wird. Welchem argentinischen Schriftsteller oder | |
welcher Schriftstellerin hätte Ihrer Meinung nach ebenfalls eine Briefmarke | |
gebührt? | |
Wahrscheinlich niemandem, da bin ich ikonoklastisch. Trotzdem finde ich es | |
korrekt, dass es Borges ist. Man muss jedoch sehen, dass Borges ein Genie | |
innerhalb eines größeren Zusammenhangs von Autoren, Poeten und | |
Intellektuellen war, die in den zwanziger und dreißiger Jahren alle ähnlich | |
wie Borges dachten. Auch wenn er unter ihnen der Talentierteste war, ist er | |
als Genie nicht vom Himmel gefallen. | |
In seinem Text "El escritor argentino y la tradición" argumentiert Borges | |
gegen den argentinischen Nationalismus und solche Bücher, in denen Gauchos | |
auftauchen. Und er sagt etwas sehr Witziges: "Im Koran gibt es keine | |
Kamele." Es ist nicht notwendig, weil alle wissen, dass es ein arabischer | |
Text ist. Und wir müssen auch nicht betonen, dass wir Gauchos sind, denn | |
wir sind bereits Argentinier. Für Borges und für viele andere an seiner | |
Seite war die argentinische Tradition eine universalistische. | |
5 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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