# taz.de -- Verschüttete Bergleute in Chile: Rettung und Präsident sind nah | |
> Schon am Samstag wollen die Bergungskräfte mit ihrem Bohrer zu den 33 | |
> Bergleuten vordringen. Seit zwei Monaten warten sie in knapp 700 Meter | |
> Tiefe auf Rettung. | |
Bild: Chiles Bergbauminister Laurence Golborne gibt eine Pressekonferenz zur Re… | |
Die Rettung der 33 verschütteten chilenischen Bergleute scheint unmittelbar | |
bevorzustehen. Stündlich melden die Nachrichtenagenturen die Zahl der noch | |
fehlenden Meter, die der Bohrkopf auf seinem Weg zu den 33 eingeschlossenen | |
Bergleuten noch durchdringen muss. Wenn alles läuft wie vorhergesagt, dann | |
wird im Laufe des Samstags der Durchbruch erfolgen. | |
Chiles Bergbauminister Laurence Golborne hat angekündigt, dass dann die | |
Fachleute prüfen müssen, ob die Wand des bis dahin 630 Meter tiefen | |
Bohrlochs stabil genug ist, um die Rettungskapsel hinabzulassen. "Das ist | |
eine rein technische Entscheidung", so Golborne. | |
Sollte das möglich sein, dann werde die Bergung zwei bis drei Tage dauern. | |
Muss die Bohrlochwand zunächst stabilisiert werden, dann wird mit weiteren | |
acht Tagen Wartezeit gerechnet. Die Bergleute, die nun seit über zwei | |
Monaten unter Tage festsitzen, werden dann weiter warten müssen. | |
Ebenso wie die Familienangehörigen und Freunde, die sich in dem Zeltdorf | |
Campamento Esperanza eingerichtet haben und die erwarteten 2.000 | |
Journalisten aus aller Welt, die sich für den Höhepunkt der Bergungsaktion | |
angesagt haben. | |
Während die Eingeschlossenen bereits beginnen, ihre Sachen zu packen, | |
laufen auch an der Oberfläche die Vorbereitungen auf Hochtouren. Am | |
Donnerstag wurde der Bergungsernstfall geprobt. An der Übung nahmen auch | |
die fünf Hubschrauber teil, die von der eigens angelegten Start- und | |
Landebahn ins nahe Krankenhaus von Copiapó flogen. Hierher sollen die | |
Geretteten nach einer ersten ärztlichen Untersuchung gebracht werden. | |
Die Reihenfolge der Bergung der Kumpel wurde auch schon festgelegt. Zuerst | |
soll ein physisch und psychisch stabiler Bergmann in die Rettungskapsel | |
steigen, damit auftretende Schwierigkeiten beim Hochziehen der 2,70 Meter | |
langen und nur 44 Zentimetern runden Kapsel nicht zu einer | |
Kurzschlussreaktion führen. | |
Das Timing wird auch diesmal so ausgelegt sein, dass Staatspräsident | |
Sebastián Piñera im schon legendären roten Anorak den ersten geretteten | |
Bergmann persönlich begrüßen wird. Auch die Nachricht, dass die 33 noch am | |
Leben sind und sich in an einen sicheren Ort in der Tiefe retten konnten, | |
war am 22. August stundenlang zurückgehalten worden, bis Piñera aus | |
Santiago bei der Mine eingetroffen war und dann den kleinen Zettel mit den | |
handschriftlichen Worten "Wir 33 sind wohlauf im Schutzraum" hochhalten | |
konnte. | |
Der laute Jubelschrei und das hörbare Aufatmen hallten zu Recht durch ganz | |
Chile. Sie übertönen seither aber auch die Kritik an den Sicherheits- und | |
Arbeitsschutzmaßnahmen in den chilenischen Bergwerken. | |
Die ständigen Meldungen und Ansagen von Bergbauminister Golborne täuschen | |
zudem darüber hinweg, dass die Regierung in Sachen Bergwerkssicherheit in | |
den letzten zwei Monaten nichts bewegt hat. Harsche Kritik kommt deshalb | |
auch von der Internationalen Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und | |
Fabrikarbeitergewerkschaften (ICEM), die nach eigenen Angaben 467 | |
Industriegewerkschaften in 132 Ländern vertritt. | |
In einem Brief der ICEM vom 4. Oktober heißt es: "Die in Chile angewandten | |
Methoden sind veraltet und schwerfällig. Die ICEM ist davon überzeugt, dass | |
jede auf die Rettung der 33 Arbeiter der Mine San José folgende | |
Untersuchung das bestätigen wird." | |
Die Botschaft der ICEM ist eindeutig: "Eine grundlegende Überholung der | |
Arbeitsplatzsicherheit und der Gesundheitsverfahren ist in Chile dringend | |
notwendig." | |
Dazu fordert die ICEM die chilenische Regierung auf, endlich seit 1995 | |
existierende ILO-Konvention 176 über die Sicherheit und Gesundheit im | |
Bergbau zu ratifizieren und die sich oftmals überschneidenden | |
Zuständigkeiten der verschiedenen Ministerien in einer einzigen Behörde | |
zusammenzufassen. Für Golborne haben Arbeitsplätze jedoch Vorrang. Chile | |
ist der weltweit größte Lieferant von Kupfer. | |
Als zwischen Juli und Dezember 2008 der Kupferpreis von 8.400 Dollar pro | |
Tonne auf 2.850 pro Tonne zerbröselte, bekam Chile die Auswirkungen der | |
internationalen Finanzkrise deutlich zu spüren. Heute sind die | |
Wirtschaftsaussichten bei einem Kupferpreis von über 8.200 Dollar pro Tonne | |
wieder beruhigend. | |
Sollte Chile in den kommenden Jahren alle seine Bergbauvorhaben umsetzen, | |
dann würde nach heutiger Schätzung 50 Milliarden Dollar investiert und rund | |
23.000 Arbeitskräfte benötigt werden. | |
Wenn die 33 Kumpel in den nächsten Tagen hoffentlich geborgen sind, dann | |
wird wieder ein Jubelschrei durch Chile gehen. Nach der Freude und | |
Erleichterung muss Chile jedoch auch international zur Ratifizierung der | |
ILO-Konvention 176 angemahnt werden. Sonst ist das nächste Grubenunglück | |
tatsächlich nur eine Frage der Zeit. | |
8 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |