# taz.de -- Prêt-à-Porter-Schauen in Paris: Garderobe gegen das Gewedel | |
> Die Prêt-à-Porter-Schauen sind vorbei. Was geblieben ist, sind die | |
> Eindrücke: Kleine asiatische Blogger, zickige Chefredakteurinnen und die | |
> Farbe Weiß. | |
Bild: Konzeptionelles gab es von Martin Margiela. Die Reaktion des Publikums? E… | |
PARIS taz | Der nächste Frühling wird weiß. Die Pariser Modenschauen, die | |
letzte Woche zu Ende gingen, waren übermäßig, fast schon überbordend weiß. | |
Es gibt also tatsächlich noch Tendenzen. Bemerkenswert allerdings ist etwas | |
anderes: Zum ersten Mal verschwand die Modewoche hinter ihren | |
Berichterstattern. Im Netz sieht es aus wie immer. Glamour, Laufsteg, erste | |
Reihe und jede Menge Bilder von Schauenbesuchern. Für die Schauenbesucherin | |
selbst stellt sich die Sache anders dar. Sie sieht nur mehr | |
Glamourproduktion. Dokumentaristen in Echtzeit und Ereigniseinfänger, die | |
alles fotografieren, was sich bewegt. | |
Nach der Stella McCartney-Schau ist auf dem Vorplatz der Oper angespanntes | |
Lungern. Motive, Motive! Kleine asiatische Blogger ziehen ein | |
Einsneunundziebzig-Model am Etikett seines Shirts herunter. "Welches | |
Label?" Das Model weiß nicht, was es heute morgen aus dem Schrank gezogen | |
hat. Dann huscht Beth Ditto, The Gossip-Sängerin und Oversize-Liebling der | |
Modeszene, heraus. Behände trippelt sie auf die andere Straßenseite. | |
Behände flitzten ihr die Paparazzi hinterher. | |
Die Zahl der Berichte ist groß, in Paris manifestiert sie sich als | |
Platzproblem: Man dringt zu den Kleidern nur noch schwer vor. Die andere | |
Sache ist die Hysterie. Sie gilt heute auch den Chefredakteurinnen der | |
großen Modeblätter - Filmen wie "Der Teufel trägt Prada" oder der | |
US-Vogue-Dokumentation "The September Issue" sei Dank. Und plötzlich hört | |
man Leute über die Modezirkushaftigkeit der Mode lamentieren, die früher | |
genau deswegen nach Paris gekommen sind. Friseure schimpfen über die | |
"freudlosen, tablettensüchtigen, staksenden Weiber" und Chefredakteurinnen | |
über die "respektlosen" Gerüchte-Schreibseleien der "Entschuldigung: | |
fucking Blogs". "Was? Du schreibst eine tägliche Kolumne? Online?" Das | |
Gesicht der Schweizer Kollegin glitzert vor Verachtung. Wer dieser Tage auf | |
die Pariser Schauen fährt, der behält das Gesehene besser für sich. Denn - | |
berichten tun ja schon alle anderen. | |
Ist man nicht früher einmal genau deswegen hergefahren? Aber eben - das | |
war, bevor die Schauenbilder Stunden später online zu sehen waren. Die | |
Reporterpflicht ist hier ziemlich passé. Darüber hinaus gibt es nicht mehr | |
zwei Kollektionen jährlich, sondern acht. "Capter l'air du temps" - glaubt | |
wirklich noch einer, man könne dem Zeitgeist alle zwei Monate seine | |
Verfasstheit ablauschen? Saison, was für ein altmodischer Begriff! Dabei, | |
ein großartiges Kleid ist ja weiterhin fabelhaft. Man wünscht sich einfach | |
weniger Gewedel darum. | |
Und interessant: Genau diesen Wunsch sieht man auf den Laufstegen auch. | |
Ausgerechnet das weiße Hemd ist der Ausgangspunkt vieler Designer gewesen, | |
dieses schlichte, zentrierende, übersichtsheischende Basisteil der | |
Herrengarderobe. Am besten hat Phoebe Philo ihre Sache mit dem weiß gemacht | |
(Tendenz Nummer eins). In der letzten Saison wurde die Chloé-Chefdesignerin | |
für die Tragbarkeit ihrer Entwürfe hoch gelobt. Heute ist sie das | |
Modeszenen-Postergirl der modernen Frau. Philo widmete sich weitgehend dem | |
Kragenlosen. Maximale, fast operationssaalartige Schlichtheit in den | |
Oberteilen, enorme Weite in den Hosen (Oversize: Tendenz Nummer zwei). Auch | |
aus dünnem Denim war diese Kombination zu sehen (Denim: Tendenz Nummer | |
drei). | |
Dieser neue Modernismus wurde gewissermaßen von einer Art Mini-Kartell | |
fabriziert. Zu sehen war er bei Céline, Chloé und Stella McCartney. Der | |
Reigen geht so: Stella McCartney war Chefdesignerin bei Chloé, Phoebe Philo | |
ihre Assistentin. Dann wurde Philo Chefdesignerin von Chloé, und jetzt ist | |
sie Chefdesignerin von Céline. Sie hat wohl Spuren hinterlassen. | |
Die subtilsten Blumendrucke (Tendenz Nummer vier) zeigte Akris. Übergroße | |
Orchideen, Papageientulpen und Mohn waren von Nahem changierende | |
Farbflächen, auf mattes Doubleface-Leinen gedruckt. Das Schweizer Modehaus | |
zeigte auch eine der schönsten Erfindungen des nächsten Frühjahrs: eine Art | |
Stoffnudeln. Diese dicklichen, stabilen Fäden schlossen das | |
darunterliegende Kleid ein wie ein Käfig. Wie sie gemacht sind? | |
"Seidengeorgette, mit Wolle gefüllt", sagt Ute Kriemler, die Mutter des | |
Chefdesigners Albert Krimler. "Wir hoffen, dass wir jemanden finden, der | |
sie kommerziell herstellen kann." Nicht zu vergessen, Tendenz Nummer fünf: | |
Farben. Monochrome Kleidungsstücke, als Farbblöcke gegeneinander gesetzt. | |
Azurblau, ein kräftiges Grün, Koralle. Die Krise ist vorbei, so hat man die | |
Farben in Paris gelesen. | |
Bisweilen gab es eine Überdosis Konzeptuelles - wie bei der Schau der | |
Maison Martin Margiela. Was braucht es, damit sich eine Moderedakteurin auf | |
den Arm genommen gefühlt? Seit Martin Margiela sein Modehaus verlassen hat, | |
gibt es dort ein veritables Nachfolgerproblem. Margiela war das Phantom der | |
Modewelt und arbeitete stets sehr konzeptuell. Beides will das Haus am | |
Leben halten. Vom Band kam herzschlagartiges, dräuendes Klopfen, heraus | |
schritt ein zitterndes Model in einem hellblauen Hemd. An den Ärmeln eine | |
zusammengepresste Bügelfalte, wie Flügel sahen sie aus. Interessant waren | |
die Hosen mit versteiftem Bund: als habe man ein Lineal in die Vorderfront | |
eingelassen. Dann aber kam das Enigma knüppeldick. Ein Jackett war auf eine | |
Pappe aufgespannt und dem Model vor den Körper gebunden. So ging es weiter | |
mit Trenchcoats, mit Kleidern - alle auf der Pappfront. Kaum war das letzte | |
Model abgetreten, sprang das Publikum klaglos auf und verschwand. Man | |
reagiert in Paris nicht, wenn man hochgenommen wird. Man schlüpft einfach | |
davon. | |
Marc Jacobs hat für Louis Vuitton eine grandiose Ode ans Zuviel gezeigt - | |
und damit seinen Kommentar geliefert. Das Thema war Camp, im | |
Kollektionstext waren Auszüge aus Susan Sontags Essay "Anmerkungen zu Camp" | |
von 1962 zu lesen. Camp, die Lust an der großen Geste und dem | |
Überkandidelten, kam in Form von schillernden Fransenkleidern daher. | |
Zebramuster war zu sehen. Fächer mit dem LV-Monogram wurden wie eine | |
Bewegungshilfe des Femininen gehalten. Der "Camp-Geschmack", so wurde | |
Sontag zitiert, sei nur möglich in der Wohlstandsgesellschaft, in der | |
"Psychopathologie des Überflusses". War das tatsächlich Zynismus? Oder frei | |
flottierende Bedeutung, die sich dann doch nicht niederlassen wollte? Der | |
Konzern LVMH jedenfalls fährt mit dem Luxushaus Louis Vuitton seine größten | |
Umsätze ein. Nebenbei wurde auf dem Laufsteg deutlich, dass Asien in der | |
Modewelt immer wichtiger wird - in Form von chinesischen Models, | |
chinesischen Prints und dem chinesischen Etuikleid Qipao. Das war, in | |
bester Camp-Manier, sogar noch Qipao-hafter als sein Original. | |
Und doch war die grandiose Übersteigerung Randnotiz. Was kommen wird, ist | |
weiß. Darüber hinaus: Hosenanzüge, unbedingt mit hoher Taille. Falsches | |
Denim - einfach nur Jeansblau. Röcke, die auf halber Wadenlänge enden - die | |
Tendenz Nummer sechs. Oder Kleider ohne Kragen, aus festem Material. | |
Tatsächlich sind die weißen, weiten Kombinationen in ihrem Volumen und | |
ihrer Reduziertheit ziemlich neu. Das liegt daran, dass diese kragenlosen | |
Oberteile nach Stoffqualität zwischen Bluse, Jacke und Shirt changieren. | |
Man weiß nicht recht: Was ist das eigentlich? Dementsprechend ambivalent | |
ist ihr Effekt. Sie wirken angezogen und doch leger. Sie sehen ein bisschen | |
nach medizinischer Berufsbekleidung aus und sind gleichzeitig in ihrer | |
Schlichtheit elegant. | |
Vor allem aber sind diese neuen Hose-Oberteil-Ensembles entschieden – so | |
diktatorisch, wie ein Designer heute noch sein kann. Sie wollen, so scheint | |
es, genau so getragen werden, wie sie auf dem Laufsteg zu sehen waren: | |
schlicht. Aufregungslos. Es ist die Garderobe gegen das Gewedel. | |
10 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Katrin Kruse | |
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