# taz.de -- Klimaforscher über Gesundheitsgefahren: "Das Problem ist bislang n… | |
> Durch den Klimawandel werden sich eine Reihe von Krankheiten rasant | |
> ausbreiten. Die Gesundheitssysteme sind darauf unvorbereitet, sagt | |
> Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. | |
Bild: Vermehren sich lustig dank des Klimawandels: Zecken. | |
taz: Herr Schellnhuber, Sie warnen: "Klimawandel gefährdet die Gesundheit". | |
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? | |
Hans Joachim Schellnhuber: Als Leiter eines Instituts für | |
Klimafolgenforschung gehört es zu meinem Kerngeschäft, zu untersuchen, wie | |
sich Veränderungen des physikalischen Klimas auf natürliche, aber auch auf | |
soziale Systeme niederschlagen. Je stärker sich das Klima wandelt, desto | |
gravierendere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind zu erwarten. | |
Welche Krankheiten werden durch die Erderwärmung begünstigt? | |
Eine Zunahme von Parasiten wie Zecken und die Krankheiten, die sie | |
übertragen, sind bereits jetzt zu beobachten. Gleichzeitig wandern neue | |
Schädlinge und Infektionsüberträger ein. In Regionen, wo sowohl | |
Überschwemmungen als auch Dürren wahrscheinlich zunehmen, wird durch den | |
Mangel an sauberem Trinkwasser die Zahl der Magen-Darm- und | |
Durchfallerkrankungen ohne massive Gegenmaßnahmen steigen. In Gegenden mit | |
regelmäßigen, lang anhaltenden Hitzewellen müssen wir künftig mit einer | |
starken Steigerung von Kreislauferkrankungen rechnen. | |
Wer kann, wird fliehen aus solchen Regionen. | |
Wir müssen mit einem neuen Migrationstyp in der Größenordnung von vielen | |
Millionen Menschen rechnen. Sollen wir eine Green Card für diese | |
Heimatlosen einführen? Sie krankenversichern, auch gegen Depression als | |
Erkrankung in Folge möglicher sozialer Konfliktlagen? Oder ist uns ein | |
Stacheldraht um unsere Wohlstandsländer doch lieber? | |
Sind die Gesundheitssysteme auf die neuen Herausforderungen eingestellt? | |
Gesundheitspolitiker konsultieren die Klimaforschung kaum bis gar nicht. | |
Sie haben das Problem bislang wohl nicht erkannt. Auch in der medizinischen | |
Forschung spielt der Klimawandel bisher nur eine winzige Rolle. | |
Was genau ist zu tun? | |
Die Kombination aus rasantem Bevölkerungswachstum, Klimawandel und | |
chronischer Unterfinanzierung der öffentlichen Systeme ist ein höchst | |
ungesunder Mix. Wir brauchen Frühwarnsysteme, wir müssen die saisonalen | |
Vorhersagen verbessern und wir müssen die Quarantäne- und | |
Seuchenbekämpfungspläne neu überdenken, wahrscheinlich auch die Strukturen | |
des Gesundheitssystems allgemein. | |
Sie spielen auf die Kosten an. | |
Meine Befürchtung ist: Wenn wir im Gesundheitssystem künftig ähnliche | |
Standards haben wollen wie heute, dann wird sich dies immens verteuern. Ein | |
Krankenhausbett für einen älteren Menschen, der hitzschlaggefährdet ist, | |
kostet vermutlich bis zu 1.000 Euro pro Tag. Rechnet man dies hoch für | |
100.000 Menschen, bekommt man eine Vorstellung von den möglichen | |
Dimensionen. | |
Beunruhigend. Was können wir tun, um gegenzusteuern? | |
Die Menschheit bläst derzeit weltweit 35 Gigatonnen CO2 jährlich in die | |
Atmosphäre, und es wird immer mehr. Diesen Aufwärtstrend müssen wir rasch | |
stoppen, wenn wir die Erderwärmung auf ein gerade noch beherrschbares Maß | |
begrenzen wollen. Zum Umsteuern bleiben uns maximal zehn Jahre. Bis dahin | |
muss die globale Emissionskurve ihren Scheitelpunkt überschritten haben. | |
Und wenn das nicht gelingt? | |
Dann steuern wir auf den Klimawandel zu, der 4, 6, vielleicht sogar 8 Grad | |
Erderwärmung bringen kann. | |
Wie sähe unser Lebensalltag unter solchen Bedingungen aus? | |
Niemand kann das heute genau vorhersagen. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel. | |
Ich war dieses Jahr in Delhi, 46 Grad im Schatten. Wer es sich leisten | |
konnte, bewegte sich in einer klimatisierten Kunstwelt. Nicht jeder in | |
diesen Breitengraden aber kann eine eigene Klimaanlage haben … | |
… allein schon wegen des CO2-Ausstoßes! | |
Die Menschen, die draußen arbeiten müssen, sind arm dran. Wenn extreme | |
Hitze die Regel wird, dann muss das Gesundheitssystem über das | |
Alltagsverhalten von Milliarden Menschen nachdenken. Und prüfen, ob man ein | |
Arbeitssystem so umstellen kann, dass man durch veränderte Arbeitszeiten | |
der Hitze des Tages entgeht. Wir brauchen einen interdisziplinären | |
Forschungsansatz, um eine Systemantwort hierfür zu identifizieren. | |
12 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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